Die Wiener Linien privatisieren ihre Klos
Du Heisl! ist gemeinhin kein Kompliment. Aber wo das Heisl fehlt, hat auch niemand eine Freude. Christian Bunke erkundet die Klos der Wiener Linien, die nicht nur schwinden, sondern bald auch Eintritt kosten werden. Fotos: Lisa Puchner
Wenn das Thema «öffentliche Toiletten» auf den Tisch kommt, werden schnell Zahlungen ans Phrasenschwein fällig. Es geht um «dringende Bedürfnisse», die Wiener Linien sprachen in einer Aussendung von «öffentlicher Erleichterung» ob der Tatsache, dass die Nutzer_innen der Wiener Linien sich nun über neue U-Bahn-WCs freuen dürfen. Fünf Millionen Euro sollen investiert werden.
Vereinfachte Kloverwaltung.
Tatsächlich wirken die Wiener U-Bahn-Klos wie ungeliebtes Beiwerk. Wenn vorhanden, sind sie oft in den hinteren Winkeln der Station versteckt. Es sind unfreundliche Orte. In der U6 Alser Straße besteht das Männer-WC aus einem einsamen und mit Fäkalien verstopften Sitzklo. Das Waschbecken funktioniert sowieso nicht. Dabei muss man sich glücklich schätzen, wenn es überhaupt eine Toilette gibt. Siebzig Standorte sind vorhanden, viele davon aber gesperrt. Auch zahlreiche barrierefreie Toiletten sind betroffen, wie von Interessenverbänden wie BIZEPS – Zentrum für selbstbestimmtes Leben schon seit Jahren kritisiert wird.
Dazu muss man wissen, dass zwischen den Wiener Linien und dem Land Wien in den letzten Jahren ein regelrechter Toilettenstreit getobt hat. Bis Ende Februar 2014 war die MA 48 für die Reinigung der sanitären Anlagen in den U-Bahnen zuständig. Doch dann wurde diese Verantwortung an die Wiener Linien übertragen. Der Magistrat begründete das seinerzeit laut diversen Medienberichten mit einer «Verwaltungsvereinfachung».
Privatisierung des Öffi-Klos.
Als ausgelagertes Unternehmen der Stadt Wien konnten die Wiener Linien mit dieser Maßnahme aber nur wenig anfangen. Dort fühlte man sich lange nicht zuständig. Auch heute legen die Wiener Linien wert auf die Feststellung, dass die Kernkompetenz darin liege, «Menschen sicher, schnell und bequem an ihr Ziel zu bringen», so Unternehmenssprecherin Barbara Pertl. «WC-Anlagen in unseren Stationen sind ein Zusatzangebot, das wir unseren Fahrgästen aber gerne anbieten möchten.»
Mit der Verantwortungsübertragung an die Wiener Linien verschwanden die U-Bahn-Klos buchstäblich aus dem öffentlichen Raum. Für sie ist nun das Privatunternehmen verantwortlich, das in den Stationen auch das Hausrecht hat. Da ist nebensächlich, dass sich die Wiener Linien (noch) zu 100 Prozent in städtischem Eigentum befinden. Deshalb tauchen U-Bahn-WCs auch nicht mehr in der Online-Auflistung öffentlicher Toiletten der MA 48 auf. Ganz nebenbei: Auch bei den noch gelisteten WCs ist der private Sektor auf dem Vormarsch. So werden in der Josefstadt Bierlokale am Benno- und Hamerlingplatz als öffentliche Toiletten aufgeführt. Schleichend, aber doch stiehlt sich die Stadt Wien aus ihrer sanitären Verantwortung im öffentlichen Raum.
Kloblockade in der Josefstadt.
Aus siebzig WC-Standorten machen die Wiener Linien nun vierzig. Sechs von ihnen sollen zukünftig betreute Standorte sein: an den Stationen Westbahnhof, Karlsplatz, Volkstheater, Schwedenplatz, Stephansplatz und Praterstern. Eine Station, die bis zu ihrer Generalsanierung ein WC hatte, ist die U6 Josefstädter Straße. Jetzt sucht man dort vergeblich. Neben den Toiletten ist auch die Stationsaufsicht verschwunden. «Diese Station wird fernüberwacht», heißt es lapidar auf einem kleinen Schild am nun leerstehenden grünen Stations-
wartskammerl.
«Es ist mir unverständlich, warum die Josefstädter Straße kein WC bekommt», meint Bezirksvorsteherin Veronika Mickel-Göttfert. Sie spricht von einer «Blockadepolitik» durch die Wiener Linien. «Ich bin regelmäßig mit den Sozialarbeiter_innen hier in Kontakt. Auch die halten ein öffentliches WC für sinnvoll und notwendig.» Auf Nachfrage hätten die Wiener Linien immer gesagt, es gebe keinen Platz. «Dabei kann man doch in der Stationsaufsicht ein WC einrichten, wenn sie nun schon leer steht.» Während die Bezirksvorsteherin vermutet, dass die Entscheidung der Wiener Linien mit den Menschen zusammenhängen könnte, die die hier angesiedelte Tageseinrichtung für Obdachlose Josi nutzen, verweisen die Wiener Linien selbst auf ihr WC-Konzept, welches Abstände von zwei Stationen zwischen den jeweiligen U-Bahn-WCs vorsieht. Die Josefstädter Straße fällt da scheinbar «zufällig» in die Lücke.
Billige Jahreskarte, teures Klo.
Kein Zufall ist, dass man bald für die Toilettennutzung zahlen muss. 50 Cent darf zukünftig blechen, wer «muss». Die Wiener Linien rechtfertigen das damit, dass die Jahreskarte um 365 Euro den Betrieb der Toiletten nicht decken könne. Aber keine Angst: 30 Cent davon kriegt man zumindest bei den betreuten Anlagen als Bon zurück. Die darf man dann beim Bäcker einlösen, um sich ein ermäßigtes, hoffentlich schön heißes und fettiges Gebäck zu ergattern, welches dann in der U-Bahn genüsslich verspeist werden kann. Ach so. Das ist ja jetzt verboten.
Den Schmäh mit dem Bon hat das Unternehmen Sanifair erfunden, das die internationale Ausschreibung für den Betrieb der sechs betreuten Toiletten gewonnen hat. Die Ausschreibung für die übrigen Anlagen läuft noch, hier wird es auch keine Ermäßigungsbons geben. Sanifair ist jedenfalls eine interessante Wahl. Es handelt sich um eine Tochtergesellschaft des deutschen Autobahnraststättenbetreibers Tank und Rast GmbH.
Tank und Rast war ursprünglich im Besitz des deutschen Staates, bis das Unternehmen 1998 privatisiert wurde. Seitdem beschäftigt sich der Verbraucherschutz regelmäßig mit dem Konzern. Zuletzt war im August 2018, als die deutsche Bundeszentrale für Verbraucherschutz anmahnte, Tank und Rast betreibe «Abzocke an Kunden» und nutze deren «Zwangssituation» aus. Laut den Wiener Linien betreibt Sanifair 550 WC-Anlagen an Autobahnen, in Einkaufszentren und Bahnhöfen. Was nicht gesagt wird: Zumindest an Raststätten betreibt Tank und Rast nicht nur die Klos, sondern auch das Catering. Wer einen Bon einlöst, um ermäßigtes Essen zu kaufen, füttert den Konzern zusätzlich mit Geld.
Umkämpfte Klobranche.
In Österreich gibt es Sanifair bislang erst dreimal, in Wien betreibt der Konzern das WC am Hauptbahnhof. Doch die Branche ist ein umkämpfter Wachstumsmarkt. Die Ausschreibung der Wiener Linien hatte sich unter anderem deshalb mehrfach verzögert, weil ein unterlegener Mitbewerber beim Verwaltungsgericht Beschwerde gegen die Vergabe an Sanifair eingereicht hatte – offensichtlich ist das privatisierte Klo ein lohnendes Geschäft.
Für die Wiener Linien gilt Sanifair als «Branchenexperte», an den man die Verantwortung für die Toiletten gerne abgibt. Dabei sind die Verkehrsbetriebe auf anderen fachfremden Gebieten längst selbst unterwegs: Um unerwünschtes Publikum aus den U-Bahnen zu vertreiben, haben sie einen eigenen Sicherheitsdienst geschaffen. Hier scheint das hauseigene Wissen also vorhanden zu sein. Genau wie die Essverbote trägt der Sicherheitsdienst zur zunehmenden «Nicht-Willkommenskultur» in den Räumlichkeiten der Öffis bei. Die Bezahlschranke bei den WCs ist ein weiterer Schritt in diese Richtung.