Wiener Wirtschaft: Wenn Wahlen etwas verändern würden, oder …tun & lassen

... geht’s uns allen gut?

92 Folgen lang haben wir kritisch über die Machenschaften des mächtigsten österreichischen Konzerns berichtet, über seine unkontrollierten Monopole und seine engen Verflechtungen mit den politisch Herrschenden. Aber Raiffeisen ist beileibe nicht das einzige Problem im kapitalistischen Österreich. Nachdem der Augustin vor allem in der Bundeshauptstadt gelesen wird, wenden wir uns in Zukunft der «Wiener Wirtschaft» zu.

Illu: Much

Der Titel unserer Serie ist nicht zufällig der gleiche wie der Name der Zeitung der Wiener Wirtschaftskammer. Und auch das Mitschwingen der abwertenden Bedeutung – «A so a Wirtschoft!» – ist durchaus gewollt. Unter diesem schillernden Begriff also planen wir, wie auch bereits in der Raiffeisen-Serie, die (zu) engen Verbindungen von Wirtschaft und Politik unter die Lupe zu nehmen, die großen und kleinen Schweinereien des Wiener Kapitalismus, sei es als Skandal oder im Rahmen seines «Normalbetriebs».

Dass im Rahmen der «Wiener Wirtschaft» angesichts der Jahrzehnte andauernden Dominanz der SPÖ diesmal die «andere Reichshälfte» verstärkt ihr Fett abbekommen wird, ist klar. Dass wir die anderen Player dabei nicht aus dem Blick verlieren, versprechen wir hiermit hoch und heilig. In diesem Sinne braucht ihr, liebe Leser_innen, auch keine Angst haben, auf Raiffeisen-Kritisches verzichten zu müssen. Im Zentrum unserer Serie werden jedenfalls die Auswirkungen auf die sogenannten «kleinen Leute» ebenso stehen wie ihre Widerstandsformen – getreu dem schönen Motto, das vor einigen Jahren auf einer Demonstration den berühmt-berüchtigten Slogan der Wirtschaftskammer wunderbar karikierte: Geht’s uns allen gut, geht’s uns allen gut!

Komplizierte Freiheit(liche)

Apropos Wirtschaftskammer: Auch in dieser Institution des korporatistischen (Rest-)Sozialstaats wird gewählt. In der Bundeshauptstadt rangen eine Vielzahl unterschiedlicher Listen um Mandate. Wer die Wirtschaftskammerliste der wirtschaftsfreundlichen rechtsextremen FPÖ wählen wollte, musste sich dabei besonders gut auskennen: Die offizielle FP-Fraktion nennt sich nämlich «FPÖ pro Mittelstand», der «Ring freiheitlicher Wirtschaftstreibender» (RfW) wiederum verwandte all seine Energie auf die Feststellung, mit der Partei gleichen Namens nichts, aber rein gar nichts zu tun zu haben. Es ist eben alles sehr kompliziert.

Inhalte? Ja, Inhalte gab es auch: Im Wesentlichen waren dies Bürokratieabbau und Bürokratieabbau, und dann auch noch die Öffnung der Schanigärten im Winter. Signifikante Unterschiede zwischen den Fraktionen waren nicht zu erkennen. Blassrot und Grün setzen etwas mehr auf bessere soziale Absicherung und Klein(st)unternehmer_innen, die rechten Fraktionen hingegen auf das «richtige» Kapital. Fragen von solidarischer Ökonomie oder gar eine Kritik des menschen- und umweltvernutzenden kapitalistischen Wirtschaftssystems finden wir naturgemäß nicht. Und so ist es auch nicht verwunderlich, dass die Unternehmer_innen nicht die «Schmiedeln» wählen, sondern gleich den «Schmied»: Bundesweit konnte der ÖVP-nahe Wirtschaftsbund seine Zweidrittelmehrheit halten, ebenso seine Absolute in Wien. Es wird uns also wohl auch noch weiter allen gutgehen.

Doch bereits kurz nach Bekanntgabe des Wiener Endergebnisses meldete Volker Plass von der «Grünen Wirtschaft» Einspruch an: Über 4000 Stimmen der parteiübergreifenden «Einheitslisten» seien dem Wirtschaftsbund zugerechnet worden, ebenso etwas mehr als 1000 des «parteifreien» RfW – und so wurden aus 36,7 mit einem Schlag 50,61 Prozent. Die VP-dominierte Kammer dementiert und bezeichnet das Ergebnis als «transparent, korrekt und gemäß dem Wirtschaftskammergesetz».

Seltsame Einheit: Sozialdemokrat_innen und Freiheitliche

Was aber sind die ominösen «Einheitslisten»? So heißen Zusammenschlüsse unterschiedlicher Fraktionen zu einer Wahlliste. Die Durchsicht des Wiener Wahlvorschlags bringt Erstaunliches zutage: Zahlreiche Einheitslisten zwischen schwarzem Wirtschaftsbund und dem blassrosa Wirtschaftsverband SWV, u. a. bei Banken*, Baumeisterinnen, Malern und Tapeziererinnen, Holzbau und Trafikantinnen, aber auch Kooperationen zwischen Wirtschaftsbund, SWV und dem «Ring freiheitlicher Wirtschaftstreibender» – unter anderem bei den Schuhmachern und im Drogerie-Einzelhandel. Weit her ist es übrigens mit der «Parteifreiheit» des RfW nicht. 2009/10 kam es zum Bruch der Strache-FP mit dem zuvor BZÖ-lastigen RfW, juristischer Kleinkrieg und «Ausschlussorgie» (laut «profil») inklusive. Strache organisierte seine Getreuen fortan in der Liste «FPÖ pro Mittelstand». So viel zur Nicht-Zusammenarbeit der Wiener SPÖ mit der extremen Rechten. Da kann sogar der Niessl noch was lernen.

* Rätselhaft ist, warum sogar die «Fachvertretung Wien der Raiffeisenbanken» eine schwarz-blassrosa Einheitsliste braucht – nicht zuletzt aufgrund des im Wahlvorschlag davor stehenden Passus: «In dieser Fachorganisation wird nicht gewählt.»