«Wir brauchen eine Roma-Willkommenskultur»Artistin

Kunst, Musik und ein temporäres Mahnmal – ein Festival im Juni

Ein Roma-Mahnmal? Gibt es in Wien nicht. Das Festival E Bistarde – Vergiss mein nicht, das anlässlich des 80. Jahrestages des Anschlusses zum Gedenken an die Opfer stattfindet, will das ändern. Jella Jost hat sich mit den Organisatorinnen Simonida und Sandra Selimović unterhalten.

Foto: Servet Vollmann

Herausragende Frauen und politische Aktivistinnen gibt es viele in Wien. Die beiden Künstlerinnen Sandra und Simonida Selimović ergreifen und erarbeiten sich in der Wiener Szene eine immer stärkere Position. Sandra lernte ich vor 14 Jahren kennen, damals war sie blutjung, wurde zur selben Zeit wie ich am Schauspielhaus Wien engagiert, sprang jedoch wieder ab, da die Produktion Der Familientisch ihr damals zu persönlich, zu heikel war.

Sandra lernte Schauspiel und erhielt ihre ersten Rollen ziemlich schnell, auch Simonida ist Schauspielerin. Beide sind im Juni im Volkstheater mit ihrem Stück Roma Armee zu sehen, das vergangenen Herbst am ­Berliner Maxim Gorki Theater Premiere hatte. Das Stück ist Teil des Festivals E Bistarde – Vergiss mein nicht, das die beiden Schwestern mit dem von ihnen gegründeten Theater-Verein Romano Svato in Wien organisieren. Der Verein thematisiert seit mehreren Jahren mit Theater, Performances, und Interventionen im öffentlichen Raum Anti-Romaismus, Rassismus und Sexismus. Unter dem Namen Mindj Panther machen Simonida und Sandra Selimović auch Hip-Hop und rappen etwa gegen das Bettelverbot.

E Bistarde ist ein Festival für ein Roma-Mahnmal – welches immer noch nicht existiert, nicht in Wien. Aber in Berlin. Ja, dort. Beim hiesigen Bundeskanzleramt wurde darüber geredet, aber es wurde nichts gemacht. Immer noch nicht. Zu der Haltung scheint zu passen, dass die Produktion Gadsche-Roma, die ich 2008 leitete und bei der Sandra mit dabei war, zwar sehr viele Besucher_innen ins Semperdepot zog, aber nur mit geringen finanziellen Mitteln ausgestattet wurde. Mein Antrag auf Förderung wurde von einer der Theater-Kuratorinnen damals mit «Wozu brauch‘ ma des!» negiert.

Geschichte weitergeben.

«Wir sind immer nur geduldet worden», schildert Simonida. «Aber es ist eine andere Zeit gekommen für unsere Aufarbeitung. Wir verlieren unsere Vorfahren, die Zeitzeugen sind. Wenn wir uns verstecken, geht unsere Kultur verloren. Man weiß so wenig über uns. Wir müssen uns nicht verstecken. Wir entwickeln eine andere, moderne Strategie. Wir sind stolz auf das, was wir sind, und wollen nicht mehr die Verleugnung aufrechterhalten. Wir als junge Generation setzen uns mit der alten auseinander, um Geschichte weiterzugeben und in die Zukunft zu blicken und uns einen Platz in der Gesellschaft wieder zu nehmen, nicht mehr am Rande zu stehen und stehen zu bleiben. Vor allem aus der Solidarisierung mit den Alten können wir Kraft schöpfen und nach außen bringen. Wir wollen keine Altersunterschiede betonen. Bei uns ist es ja so in der Community, dass bei einer Feier sich immer alle einer Generation zusammenfinden, da ist niemand ausgeschlossen. Und deshalb wurde dieses Foto mit Alfred Ullrich und uns am Romaplatz im 21. Bezirk gemacht.»

Alfred Ullrich ist ein Künstler, der in Floridsdorf aufgewachsen ist, am Romaplatz, dort hat er seine ersten Jahre verbracht. Und am Ringelseeplatz, bei der Wagensiedlung. Die Roma und Romnija, die durchgereist sind, lebten dort mit österreichischen Roma und Romnija, die angesiedelt waren. Delaine Le Bas, eine englische Romni und bekannte Künstlerin der dortigen Szene, und Alfred Ullrich werden für das Festival das temporäre Mahnmal gestalten. Mittlerweile befindet sich an dem Ort ein Schulsportplatz, der für die Veranstaltung nicht zu bekommen war. In diesem Bezirk wurden die Roma gejagt, enteignet, umgebracht. 1944 sind sie deportiert worden. Es gibt keine genaue Zahl, denn wenige hatten Dokumente, deshalb ist es so schwer, die vielen Toten anzuerkennen. Sagt man. Meint man. Glaubt man noch immer.

«Damals war unsere Sprache geheime Kommunikation, und es war lebensrettend, weil niemand verstand, was gesprochen wurde. Aber wir brauchen da eine Art Auferstehung, einen Neubeginn. Wir wollen uns nicht unterkriegen lassen. Wir wollen uns trauen. Und wir müssen mit unseren Familien aufarbeiten, da gibt es so tiefe Verdrängung. Das KZ in Serbien, in Niš, das ist in der Nähe, wo ich aufgewachsen bin, meine halbe Familie wurde dort umgebracht. Man hat nie darüber geredet. Ich habe als Kind gefragt ‹Was ist das am Arm, die Tätowierung, diese Nummer?› Man hat mir gesagt, ich solle nie wieder fragen, und selbst mein Vater hat gesagt: ‹Nein, das stimmt alles nicht, was da erzählt wird, nein, wir haben nie gelitten.› Es ist die Scham …», erzählt Simonida.

Das Konzentrationslager Crveni krst wurde von den Nazis während des Zweiten Weltkrieges betrieben. 30.000 Personen wurden Schätzungen zu Folge festgehalten und rund 12.000 ermordet. Die Opfer waren vor allem Serb_innen, Jüd_innen, Roma und Romnija, Tito-Partisan_innen sowie Mitglieder der Kommunistischen Partei und deren Sympathisant_innen.

Simonida erzählt weiter: «Meine Urgroßtante hatte gerade ein Baby, und man wollte es ihr wegnehmen und hatte ihr beide Arme gebrochen, aber sie hat das Kind mit den Zähnen bis zu den Nachbarn getragen und ist geflohen, und die Nachbarn haben das Kind versteckt. Später ist sie im KZ gelandet. Aber sie hat überlebt. Doch nach dem Krieg ist sie bald gestorben.»

Realpolitische Anerkennung.

Am 10. Februar 2016 wurde von den Grünen in der Bezirksvertretung Floridsdorf ein Antrag an die Kultur- und Benennungskommission gestellt. Fast alle Parteien stimmten zu, die FPÖ lehnte ab. In ganz Wien gibt es nun noch immer keine einzige zentrale Gedenkstätte oder ein Mahnmal für die Roma und Sinti. «Nun ist es Zeit für ein temporäres Mahnmal, ein Zeichen, das die Zeit wieder auflösen wird, das verwittert, verfällt, vergeht, als Sinnbild für das, wie mit uns umgegangen wurde und wird», spricht Simonida.

Zwischen 14. und 17. Juni 2018 wird E Bistarde – Vergiss mein nicht am Romaplatz veranstaltet. Konzerte, Performances, Lesungen, Diskussionen – es ist ein dichtes Programm, das die Verschiedenartigkeit der Roma und Romnija offenbart. Samuel Mago etwa liest aus seinem Buch e baxt romani – glücksmacher, Singer/Songwriterin Riah Knight kommt aus England, um aufzuspielen, Willi Horvath gibt eine historische Führung und vieles mehr.

«Das Bild der Medien über uns zeigt ein verzerrtes Bild der Roma. Als ob wir zum Beispiel nur Straftaten vollziehen würden. In jeder Volksgruppe gibt es Menschen, die Straftaten begehen, nicht wahr? Während des NS-Regimes wurden alle Besitztümer weggenommen. In den 60er Jahren enteignete die Stadt Wien wiederum die Roma vom Besitzrecht. Wir brauchen dieses Festival und ein Mahnmal dringend, um unseren Schmerz zu verarbeiten und das geerbte Bild der Roma zu transformieren. Wir brauchen diese künstlerischen und solidarischen Ausdrucksmöglichkeiten, aber nicht nur das, wir brauchen auch realpolitische Anerkennung. Wir brauchen eine Roma-Willkommenskultur. Das Festival bietet historische Führungen, eine Gedenktafel in der Franklinstraße 24 soll errichtet werden und vieles mehr. Das Festival, das anlässlich des 80. Jahrestages des Anschlusses Österreichs an Nazi-Deutschland stattfindet, und zum Gedenken an die Opfer, markiert auch den Beginn der Verfolgung der Roma und Sinti in Österreich. Darum würden wir das gerne auch am Ballhausplatz machen, wo man uns sieht und nicht vorbeigehen kann.»

 

E Bistarde – Vergiss mein nicht

14.–17. Juni

21., Roma Wiese und Ringelseeplatz

7., Volkstheater Wien,

Arthur-Schnitzler-Platz 1

Roma Armee ist am 16. und 17. Juni im Volkstheater zu sehen

www.romanosvato.at

www.volkstheater.at

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