Seine 150. Ausgabe hat das Fußballmagazin ballesterer mit einem dramatischen Appell versehen. Chefredakteur Jakob Rosenberg und Nicole Selmer, die Stellvertreterin, erläutern die aktuelle Rettungskampagne. Interview: Andreas Fellinger, Foto: Daniel Shaked
Ihr habt soeben die 150. Ausgabe publiziert und betitelt das Jubiläumsheft mit ballesterer brennt! Das deutet wohl in zweiter Linie darauf hin, dass ihr unvermindert für die Sache, also die vielen Schönheiten des Fußballs brennt, und in erster, dass es um eure wirtschaftliche Situation nicht besonders gut bestellt ist.
Nicole: Ja, wir feiern, und wir brennen, kurz gesagt. Unsere Krise ist nicht von heute auf morgen gekommen, das wirtschaftliche Umfeld ist für kleine unabhängige Medien schon lange sehr schwierig. Das geht von den Vertriebsmöglichkeiten über den schwankenden Anzeigenmarkt bis zu neuen Lesegewohnheiten in der Printkrise. Wir schleppen schon länger Schulden mit uns herum, trotzdem haben wir es geschafft, weiterhin zehn Ausgaben im Jahr zu produzieren – allerdings zum Preis der Selbstausbeutung von vielen Menschen, die am ballesterer arbeiten. Jetzt geht es nicht mehr. Das Jubiläum ist der Aufhänger für unsere Rettungskampagne.
Jakob: Die Kampagne ist auch eine Art Belastungstest. Wir wissen, dass es uns nur gibt, weil wir sehr vielen Leuten ans Herz gewachsen sind. Gäbe es unsere Leser_innen nicht in der Anzahl, hätten wir keine Chance. Üblicherweise finanzieren sich Magazine zu zwei Dritteln aus Anzeigen und zu einem Drittel aus dem Verkauf, bei uns ist es umgekehrt. Den ballesterer gibt es nur dank seiner Leser_innen schon seit 20 Jahren. Wir hoffen, dass sie dafür sorgen werden, dass es uns auch in 20 Jahren noch gibt.
Aus eigener Erfahrung weiß ich, was ein so langer Atem für ein autonom erzeugtes, für kommerzielle Zudringlichkeiten halbwegs immunes Medium bedeutet. Wie würdet ihr die bisherige Geschichte des mit Abstand besten Fußballmagazins dieses Landes skizzieren?
Jakob: Die Geschichte ist fast zu schön, um wahr zu sein. Mein Vorgänger Reinhard Krennhuber hat das Magazin im Rahmen eines Uniseminars konzipiert, dann hat er es gemeinsam mit einer Gruppe von Freunden einfach umgesetzt. Sie haben Texte geschrieben, Fotos gesucht und layoutiert, dann haben sie das ausgedruckt, sind damit in den Copyshop gegangen und haben es 300 Mal kopiert, um den ersten ballesterer vor den Stadien zu verkaufen. Mit der Zeit sind neue Leute dazugekommen, und der ballesterer hat sich langsam vom klassischen Fanzine zum Fachmagazin entwickelt. In unserer Entwicklung gibt es einige Meilensteine, wie den bundesweiten Vertrieb, die Erhöhung der Erscheinungsweise und die redaktionelle Professionialisierung. Wir kommen zwar aus der Nische, genießen mittlerweile aber eine sehr hohe Anerkennung. Früher haben wir zum Beispiel um Interviews und Akkreditierungen heftig kämpfen müssen, heute sind wir als Medium längst akzeptiert.
Man muss kein Prophet sein, wenn man in absehbarer Zukunft ökonomische Engpässe für Medien vorhersieht, die sich nicht in den Händen von Wirtschaftsmagnaten befinden – und selbst die beginnen schon zu jammern bzw. den Betrieb auf Sparflamme zu fahren, wenn nicht gleich einzustellen. Wie geht ihr mit den erwartbaren oder gar schon aktuellen
finanziellen Schwierigkeiten um? Und welche Strategien zu ihrer Bewältigung habt ihr euch überlegt?
Nicole: Wir haben uns für die Kampagne sicher andere Rahmenbedingungen vorgestellt als den Ausbruch einer Pandemie. Plötzlich sind andere Dinge deutlich wichtiger als Fußball und Fußballmagazine. Wir haben sie trotzdem gestartet, wir haben auch keine Wahl. Was die Folgen von Corona betrifft – für wirkliche Prognosen ist es zu früh. Wir fahren, wie so ziemlich alle derzeit, auf Sicht. In den ersten Tagen der Ausgangssperre haben wir angefangen, online ein kleines Corona-Tagebuch mit Nachrichten aus der Fußballwelt zu führen und Inhalte früherer Hefte online zu stellen – nach demokratischer Abstimmung. Es ist wichtig, sich gut zu informieren über Corona und die damit verbundenen Entscheidungen, aber es ist auch wichtig, an andere Dinge zu denken und sich abzulenken. Das ist etwas, wobei wir helfen können. Die wirtschaftlichen Corona-Folgen können wir noch nicht abschätzen. Es wird sicher deutlich schwieriger: Einige Anzeigenkunden haben ihre Buchungen für die nächsten Ausgaben schon storniert. Und im Trafikverkauf werden wir es sicher auch deutlich spüren, dass die Leute zu Hause bleiben müssen.
Da vielleicht nicht alle AUGUSTIN-Leser_innen den ballesterer abonniert haben, frage ich euch, worum es bei euch grundsätzlich geht. Welche Inhalte liegen euch besonders am Herzen?
Nicole: Eine Besonderheit des ballesterer ist, dass wir über Fußball aus vielen unterschiedlichen Perspektiven schreiben, allein schon deshalb, weil bei uns nicht in erster Linie hauptberufliche Journalist_innen dabei sind, sondern Menschen mit ganz verschiedenen Zugängen und Ausbildungen, denen der Fußball am Herzen liegt. Bestes Beispiel dafür ist unsere «Notfallambulanz», in der der Doktor Pennwieser, er ist wirklich Arzt, jeden Monat Sprechstunde hält. Diesmal geht es um Schulden und Schuldgefühle. Außerdem sind Fanthemen und die gesellschaftlichen Verhältnisse rund um den Fußball ein Markenzeichen. Wir haben 2019 zum Beispiel einen Schwerpunkt zu Stadionverboten gemacht, mit dem fiktiven Tagebuch eines Fans mit Stadionverbot, und eine Ausgabe mit einer Coverstory zu Klimaschutz im Fußball. Es gibt kein anderes Medium, in dem solche Texte zu lesen sind.
Jakob: Ich glaube, dass neben dem Fanthema auch unsere historischen Texte sehr prägend waren. Gerade unsere Rubrik «Fußball unterm Hakenkreuz» war ganz wichtig. Um das an einem Beispiel festzumachen: Rapid hat die wissenschaftliche Aufarbeitung der eigenen Rolle im Nationalsozialismus erst in Auftrag gegeben, nachdem ein kritischer Hinweis aus unserer Redaktion gekommen ist. Mein Kollege Georg Spitaler und ich – wir sind beide gelernte Politikwissenschafter – durften diese Studie dann durchführen. Solche Geschichten bekommen dann oft auch großartige Eigendynamiken: Andere Leute, die sich für ähnliche Dinge interessieren, melden sich bei uns und publizieren im ballesterer, was unseren Ruf bei gewissen Themen dann weiter stärkt.
Wie seid ihr eigentlich organisiert? Seid ihr ein Verein, eine GmbH, ein Einzelunternehmen – oder etwas ganz anderes? Und wie sieht euer redaktioneller Alltag aus?
Jakob: Wir sind alles Mögliche. Wir haben einen Verein, der als Herausgeber fungiert. Er bestimmt die Blattlinie und wählt den Chefredakteur. Daneben gibt es seit 2009 eine GmbH als Verlag, die die wirtschaftlichen Tätigkeiten betreibt. Und dann gibt es die Redaktion, in der sich eigentlich jede_r einbringen kann. Neben einem sehr aktiven redaktionellen Kern gibt es viele, die einmal mehr, einmal weniger machen. Da gibt es Leute, die eher selten zu ihren Spezialthemen schreiben, oder welche, die mit Journalismus gar nicht so viel am Hut haben, uns aber immer wieder einmal Berichte von ihren Groundhoppingtouren schicken.
Nicole: Der redaktionelle Alltag schaut im Grunde so aus, dass wir möglichst früh – also meist etwa ein halbes Jahr im Voraus – bei unseren Klausuren Schwerpunktthemen und -teams definieren. Weil die Schwerpunkte recht umfassend sind, braucht es da eine recht lange Vorlaufzeit. Jakob und ich koordinieren das ebenso wie das restliche Heft. Rund zwei Wochen vor Druck ist der Redaktionsschluss, wir redigieren die Texte und schauen, dass es mindestens eine Feedbackschleife mit den Autor_innen gibt. Dann kommen die Texte ins Layout, wir koordinieren die Gestaltungsideen mit den Grafikdesignern. Abschließend gibt es noch ein letztes Korrektorat, und wir gehen in Druck. Dann bereiten wir die Website für den Release vor und beginnen parallel, an der nächsten Ausgabe zu arbeiten. Und dazwischen passieren immer einige ungeplante Dinge, die wir dann auch zu lösen versuchen.