Wir geben und vergebenArtistin

Musikarbeiter unterwegs … befreit von Schatten auf den Rücken

Nach einem erstaunlichen Debüt legt das Quartett Culk ein noch erstaunlicheres zweites Album vor.
Text: Rainer Krispel, Foto: Mario Lang

Von dieser Band war hier schon einmal die Rede. Im Zusammenhang mit dem Jubiläum ihres Labels Siluh Records (15 ist er, der liebe Musik-Racker!) gab Sängerin und Texterin Sophie Löw – auf dem neuen Album spielt sie dazu Gitarre und Synthesizer – Einblick in die Welt von Culk. Wegen eh schon wissen wurde die große Siluh-Live-Sause dazu verschoben (Optimist_innen notieren: 21. Februar 2021, WUK). Was stattfand und abgeschlossen wurde, ist die Arbeit der Band an Zerstreuen über Euch, neun neue Lieder von Culk (Johannes Blindhofer: Gitarre, Benjamin Steiger: Bass, Christoph Kuhn: Schlagzeug), umgesetzt mit Produzent Wolfgang Möstl.

Wir hören ihre Lieder.

Sophie Löw reflektiert den Entstehungsprozess: «Es ist noch sehr frisch, durch den Lockdown hat sich das verzögert, im Juni haben wir aufgenommen.» Gitarrist Johannes ergänzt: «Ein großer Unterschied zum ersten Album ist, dass wir drei Viertel der Lieder noch nicht live gespielt haben.» Was an der Sogwirkung der neun Lieder nichts ändert. Vom eröffnenden Titelsong bis zum abschließenden Bronzeguss findet sich eine Ambition von Culk konsequent umgesetzt: «Songs, die zünden, die einen bei sich behalten.» Beim Gespräch an einem herrlichen Spätsommertag streuen die beiden Musiker_innen von Culk diesbezüglich Wolfgang Möstl Rosen, loben dessen Aufmerksamkeitsspanne im Studio ebenso wie dessen Ohr für Details. Ohne das Debüt kleinzureden, ist die Band selbst noch einmal bewusster an die Musik herangegangen und sieht ihren Ansatz mit dem fertigen Zerstreuen über Euch konsequent umgesetzt. Sophie, im Brotjob Grafikerin, textete, anders als noch bei Culk, ausschließlich Deutsch. Nicht nur Lieder wie Dichterin («deine Nicht-Worte für mich/führen mich in die Ohmacht») oder Jahre später («Ich lasse Dinge mit mir passieren/und dir wird nichts passieren/weil ich nicht weiß/was mit mir passiert.»), die Single-Vorboten, verweben dabei Musik – etwa als originäre zeitgemäße Post-Punk-Paraphrase ungenau zu beschreiben – und Text auf eine in der derzeitigen Musiklandschaft selten gehörte Art miteinander. Im Ganzen erzeugt die Musik eine atmosphärische Dichte, eine Geschlossenheit, die einen anzieht und dazu einlädt, die Nuancen und Fugen, die Facetten dieser Klangwelt, zu erforschen. Eine mit jedem Hören faszinierender schimmernde Antithese zu den Feelgood-Playlists gängiger Streamingdienste. Musik, die etwas will und etwas kann. Ermöglicht auch dadurch, dass Culk als Kollektiv ganz hinter ihrem Tun stehen. Nicht nur beim Proben, wo sich in einem «Wall Of Noise» die Lieder entwickeln, diskutieren sie die Balance, das angestrebte Korrespondieren von Form und Inhalt. Johannes: «Es ist nicht so, dass, wenn Sophie bei einem Interview nicht anwesend wäre, wir dann sagen – so, jetzt reden wir Männer von den Gitarren …» Sophie: «Das würde sich auf der Bühne auch völlig falsch anfühlen.»

Im Leisen stark sein.

«Manches ist schon aus meinem Leben, aber nicht alles, es ist nicht automatisch autobiografisch», nähert sich die Text-Sprache und Stimme der Band unprätentiös dem Verlauf von künstlerischer Reflexion und dem reportierenden Abbilden von Erlebtem in Texten und Positionen der Culk-Musik. Dass sich manche, oft näherstehende Freund_innen Sorgen um sie machen, ist bei manchen Zeilen durchaus nachvollziehbar: «(…) und Frauen fragen viel zu lange/was ist gut, was gefällt dir?», singt sie zum Beispiel in Helle Kammer, ein anderes Lied heißt Starrsinn und Wahnsinn. Am Schluss von Helle Kammer singt Sophie «(…) und Frauen fragen nicht mehr lange …» Denn gerade im Setzen der Stimme, die sehr leise und unangestrengt agiert, die fast wie in einer offenen Diskussion mit sich selbst und mit der Musik durch die Texte und Klänge wandelt, (auch) suchend und fragend, ist dieses Album von einem großen feministischen Selbstbewusstsein und Ausdruck geprägt. Sophie Löw: «Was widerspiegelt: Wenn man gehört werden will, muss man mitspielen. Wenn man gehört werden will, soll man laut sein. Das ist auch im Feminismus eine Frage – mit und nach den Regeln agieren? Im besten Fall kann man es auf die eigene Art und Weise machen und wird trotzdem ernst genommen.» Was ob der Qualität von Zerstreuen über Euch ein vielleicht fordernder, aber definitiver Genuss ist.

Culk: Zerstreuen über Euch (Siluh Records, ab 9. Oktober)
Live: 30. Oktober
WUK, 9., Währinger Straße 59
instagram.com/culkmusic