Musikarbeiter unterwegs … als city dweller mit alpine dweller(s)
Seit fünf Jahren machen Alpine Dweller gemeinsam Musik. Ihr Album-Debüt Among Others berührt mit der imaginären Folklore des weitgereisten Trios. Von Rainer Krispel (Text) und Mario Lang (Foto)
Gerade noch gingen mir «das Alpine» und «das Land» ordentlich auf den Geist. Der leibhaftige Alpenrocker hatte zu einer Messe des eingetrübten Verstandes gerufen. Wo so viel Tracht aus- und aufgeführt wird, ist die Niedertracht nicht weit. Mir taten vor allem die Kinder leid, herausgeputzt in Geiselhaft einer Reaktion, die nicht einmal weiß, was sie ist. Es mutete nicht wenig wie eine dümmlich grinsende (vorgeglüht war geworden, hoffentlich mit in Wien erworbenen Alkoholika), aber nichtsdestotrotz feindselige Übernahme Wiens an. Das nicht trachtisierte, vermutete Mutter-Tochter-Paar, das hilflos der Jüngeren Mobilfon um Orientierung anflehte, rührte mich dennoch. «Gabalier?» Sie nickten, beinahe schuldbewusst. Ich wies ihnen den Weg, Karmapunkte galore. Zwei Tage später sitzen die Musikarbeiter mit Alpine Dweller – Matthias Tschinnerl, Joana Karácsonyi und Flora Geißelbrecht – an einem Tisch in OTK, wieder ist die Rede vom «Alpinen» und von Land und Bergen, doch diesmal tun sich (nicht nur musikalische) Horizonte auf. Etwa, wenn von Ägypten oder Nepal die Rede ist, wo Alpine Dweller schon gespielt haben. Ermöglicht durch ihre künstlerische Qualität und The New Sound Of Austrian Music, kurz NASOM, ein Förderprogramm des Außenministeriums.
Jomaflo wäre zu putzig.
«Ich seh’ mich schon als Bergjunge», erzählt Matthias Tschinnerl, der singt, saitet (Gitarre und Ukulele) und zur Maultrommel greift, «den Begriff habe ich mitgenommen». Aus einem «Dörfl» in der Oststeiermark stammend, auf 1000 Meter Höhe, tritt er vor fünf Jahren in Wien gemeinsam mit Joana Karácsonyi (Cello, Stimme, Perkussion), die aus Nußdorf am Attersee stammt, und Flora Geißelbrecht (Stimme, Bratsche, Harfe) auf, deren Wurzeln im oberösterreichischen Eferding («nicht sehr bergig») liegen. Joana: «Wir haben zusammen gespielt und noch nicht gewusst, dass wir eine Band sind.» Das Zusammenziehen der ersten Silben der Vornamen schien als Bandname bedingt geeignet, als klar war, dass die drei weiterspielen würden. So wurde es der Alpine Dweller, wörtlich übersetzt «der/die Bergbewohner_in». Wobei es dem Trio weder spezifisch um österreichische Berge oder österreichische Musik geht. «Wir haben ja selber Landflucht betrieben, sonst würden wir nicht jetzt hier sitzen.» Sie nennen den Begriff der «imaginären Folklore», den Béla Bartók geprägt hat. Diese komplexe Worthülse, die im Detail tagelang zu besprechen wäre, füllen sie mit einer sehr beweglichen und vielfältigen Musik, die einen mit den zehn Stücken von Among Others, mit so schönen Titeln wie Fleish Au Lait, Girl In The Oil, The Owls oder Sonne (!) geradezu einnimmt, zu sich hinzieht. Da schwingt dazu noch etwas mit, was im Musiksprech gerne als «Indie-Sensibilität» beschrieben wird, was ich fast schon grob als bewusste Abkehr von musikalischen Mainstream-Diktaten und Klang-Konventionen übersetzen würde. Die befriedende Zartheit des Album-Openers Change erinnert (mich) an Lambchop, eine gewisse Klangverwandtschaft kann ich mit/zu Fräulein Hona hören. Dabei ist die Musik der drei Musiker_innen, deren instrumentale Zugänge von «vollstudiert» (Flora) bis zu «Autodidakt» (Matthias: «Ich würde mich als Lagerfeuer-Gitarrist bezeichnen») reicht, voller eigenem Charakter. Joana: «Eine gute Wolke».
Change.
«Vor fünf Jahren war das ein ganz anderes Gespräch auf der Bühne, als das, was wir jetzt führen» umreißt Matthias die Entwicklung von Alpine Dweller. Dabei spielen die Situationen, in denen die Musik gespielt wird, immer eine Rolle, koppeln zurück, egal ob im Wohnzimmer oder auf der Straße, so wie die Menschen, die sie hören. «Gerade spielen wir noch vor vielleicht 20 Menschen in Wien, und auf einmal sind wir in einem ägyptischen Opernhaus, wo uns 1000 Menschen zuhören.» Alpine Dweller spielen im «Punkschuppen» ebenso wie unter Umständen, die sich «Matinee oder Empfang» betiteln. Im Studio mit David Furrer galt es diese Offenheit, diese Lust an der Improvisation zu bewahren, für imaginierte, nicht anwesende Zuhörer_innen eine Form zu finden, die sich diesen nachhaltig erschließen kann. Was mit Among Others definitiv gelungen ist, mensch hört das Nicht-Gespielte mit, ahnt oder «weiß», dass die Stücke ausufern könnten, weiter und anders fließen, als sie dies auf dem im Eigenverlag veröffentlichten Album in den jeweiligen Versionen tun. So ziehen Alpine Dweller zur Präsentation die Formation Saitenfalter (Margit Gruber, Tobias Pöcksteiner, Raphael Schuster, www.saitenfalter.com) hinzu. Matthias: «Wir wissen noch gar nicht, was wir genau machen werden …» Joana: «Wir machen auf jeden Fall was!»
Alpine Dweller: Among Others (No Fear Records)
Live: 19. 9., Theater an der Gumpendorfer Straße, Album-Präsentation
www.alpinedweller.com