«Wir hatten Gräber und ihr hattet Siege»Artistin

Heinz R. Unger – Die Freiheit, politisch zu dichten

Am 12. Feber starb Heinz Rudolf Unger im Alter von 79 Jahren. Der Autor von Zwölfeläuten und der legendären Proletenpassion sah sich zeitlebens als Dichter, denn: «Schriftsteller füttern den Geist, Dichter machen ihn hungrig.» Karl Weidinger erinnert sich.

Foto: www.ossifant-foto.at 

Unger lieferte Texte von (Klassen-)Kampf und Widerstand über die historischen Epochen. Der Geschichte der Herrschenden eine Geschichte von unten entgegenzustellen, das war der Anspruch. «So mancher Streik war nicht erfolgreich, aber das Lied darüber wurde zum Selbstläufer und wird auch Jahrzehnte später immer noch gehört.»

Von der Macht des politischen Liedes wusste bereits Goethe. Heinz Rudolf Unger setzte diese Tradition fort und nahm sich die Freiheit, politisch zu dichten. Einen seiner letzten öffentlichen Auftritte hatte er anlässlich der Wiederaufnahme seines Epochalwerks im Meidlinger Werk X. Da gab es auch wieder die seit den 1970er-Jahren so beliebten und ob ihrer Endlosigkeit auch gefürchteten Podiumsdiskussionen.

Passion als Leidenschaft.

 «Die Schmetterlinge waren eine aufstrebende Musikgruppe und bekamen die Einladung, in einer Kirche ein Konzert zu geben», erinnerte sich der Autor im Radio-Augustin-Gespräch, «also machten wir so eine Art Passion. Nur haben wir die linke Position reingebracht.» So entstand die Geschichte mit der Passion als Leidenschaft.

«Nichts bringt uns zum Stehn, die Strecke wird genommen. Wir wissen, wohin wir gehn, weil wir wissen, woher wir kommen. Wir lernen im Vorwärtsgehn.» Nach der Uraufführung vor etwa 42 Jahren und den Tourneen durch den gesamten deutschen Sprachraum bekam das Werk rasch Kultstatus und wurde zum ohrwurmtauglichen Wegbegleiter für Generationen. «Aber wie schreibt man die Geschichte fort? Und: Will überhaupt noch jemand so ein Revolutionstheater?», fragte sich der Autor, bevor er ans Werk der Neuadaptierung ging. Keine leichte Aufgabe, auch nicht für Regisseurin Christine Eder und die übrigen Beteiligten auf der Bühne wie etwa Claudia Kottal, Tim Breyvogel und Bernhard Dechant.

Ein Phänomen. 

Vier Jahrzehnte nach der Originalfassung setzte Unger seine Texte fort. Die Produktionsbedingungen: Nicht nur bei Marx wichtig, sondern auch im Theater. «Damals hatten wir eine Vorbereitungsphase von zwei Jahren. Die Neufassung (2015, Anmerkung) dauerte nur wenige Monate, was heute durchaus üblich ist. Gemacht und gespielt von Leuten, die damals noch gar nicht auf der Welt waren», sagte Unger dazu.

Die Globalisierung hat rasant Fahrt aufgenommen, die Menschheit hat sich seit Entstehung der Proletenpassion fast verdoppelt. Die Bauernkriege dauerten Jahrhunderte. Im Vergleich dazu ist der proletarische Kampf ein kurzer, bisher.

«Das Tempo hat sich vervielfältigt, ist immer schneller geworden, bis in unsere Gegenwart. Jetzt haben wir eine globale Welt, und auch das Kapital war damals bei der Uraufführung bei weitem noch nicht so perfide und mächtig, wie es heute ist.»

Das Proletariat lässt sich nicht mehr nur auf Arbeiterschaft und Erwerbstätigkeit beschränken, auch «Working Poor», prekär Beschäftigte und Menschen, die marginalisierte künstlerische oder gemeinnützige Tätigkeiten versehen, die den Lebensunterhalt nicht mehr finanzieren können, gehören nun dazu.

«Wir haben den technischen Fortschritt, aber zugleich einen ethischen Rückschritt, mehrere Jahrhunderte zurück eigentlich. Wenn man sich anschaut, wie die Ausbeutung heute funktioniert, wird man an die früheren Kolonialzeiten erinnert. Und wenn man sich überlegt, dass man in sklavenähnlichen Umständen lebt, dann sieht man, dass sich da eine Kluft aufgetan hat zwischen einem gigantischen technischen Fortschritt und einem sozialen Rückschritt.»

Umstand. Aufstand. Widerstand.

Und natürlich Sympathie für die Selbstermächtigung der Unterdrückten und Unterprivilegierten. Heinz. R. Unger sagte damals abschließend: «Was die Proletenpassion heute dazu sagen kann, ist nicht ‹Revolution, Revolution! Auf die Barrikaden!› – weil man ja nicht weiß, wie es danach weitergehen soll. Und weil man auch diesen gesamten globalen Prozess nicht überschauen kann von unserem heutigen Standpunkt aus. Aber was die Proletenpassion sagt, ist: ‹Widerstand, Widerstand› – im Sinne von Widerstehen gegen die Manipulation des eigenen Lebens.» 

2013 veröffentlichte er seinen 10. Lyrikband Der schweigende Sprachraum. Bis zu seinem Tod am historischen 12. Februar, dem Beginn der Aufstände gegen die Austrofaschisten im Jahr 1934, stellte Unger für seinen 80er eine Sammlung von politischer Lyrik zusammen. Diese Kompilation aus vier Jahrzehnten wird jetzt vorgezogen und ehebaldigst im Mandelbaum-Verlag unter dem Titel Die Freiheit des Vogels im Käfig zu singen erscheinen.

«Wir hatten Gräber und ihr hattet Siege», heißt es in der Proletenpassion. Zu ergänzen wäre: Jetzt kommt ein weiteres am Zentralfriedhof dazu.

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