Wir kaufen uns die Welttun & lassen

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100.000 Euro hätte Ernst Strasser gerne genommen, dafür, dass er als Abgeordneter Gesetze für seinen Auftraggeber beeinflusst. Britische Undercover-JournalistInnen haben diese Art von gekaufter Politik aufgedeckt. Strasser wird jetzt als Sündenbock durchs Dorf getrieben. Hinter Strasser versteckt sich aber ein grundlegenderes Problem, nämlich das von Machtungleichgewichten in der Demokratie. Auf Ebene der europäischen Kommission sind aktuell 11 von 25 Expertengruppen im Finanzbereich von der Finanzindustrie dominiert. In einigen sitzen mehr Vertreter der Finanzbranche als verantwortliche Beamte. Viele der 191 VertreterInnen von Unternehmen und Banken aus dem Finanzmarkt sitzen dort zugleich als «Experten», z. B. in der hochrangigen Expertengruppe für Bankenregulierung der Goldman-Sachs-Banker Robert Charnley, aber auch ING, Pricewaterhouse Coopers, der Royal Bank of Scotland, der HSBC und Barclays.So kann das aber nicht weitergehen. Arbeitslose, Alleinerzieherinnen, prekär Beschäftigte, Opfer der Finanzkrise, Familien, die sich im Alltag abstrampeln, haben diesen Einfluss nicht. Sichtbar wird dieses Machtungleichgewicht gerade am sog. Stabilitätspakt, den die Finanzminister vorgelegt haben. Diese derzeit geplanten Rechtsakte zielen auf Abbau sozialstaatlicher Leistungen sowie Infrastruktur und werden die Löhne unter Druck bringen. Die Finanzminister missbrauchen das europäische Projekt für die Interessen weniger. Die Vorschläge des Pakts bekämpfen nicht die Krisenursachen: Deregulierung der Finanzmärkte, Leistungsbilanzungleichgewichte zwischen Staaten und die Schere zwischen Arm und Reich. Diese Faktoren werden völlig ignoriert. Arbeitslosigkeit, geringe Wirtschaftsleistung, Bankenrettungspakete und die Stützung des Finanzsektors haben große Budgetlöcher geschlagen. Die Schuldenquote der Eurozone sank vor der Krise von 72 % 1999 auf 66 % im Jahr 2007. 2011 nach der Krise aber wird sie um 20 % höher liegen, bei rund 86 %. Irland oder Spanien hatten vor der Krise Budgetüberschüsse und niedrige Schuldenquoten. Was sie nicht davor bewahrt hat, jetzt unter Druck der Finanzmärkte zu kommen. Das wird jetzt versucht zu verschleiern. Damit die Verursacher der Krise sich nicht an den Krisenkosten beteiligen müssen, damit es keine Regulierung der Finanzmärkte gibt, damit die klaffende Schere zwischen Arm und Reich nicht angegangen wird, damit alles so weitergeht wie vorher. Business as usual. Mit denselben Konzepten, die in die Krise geführt haben, soll es jetzt hinausgehen. Eine Therapie, welche die Krankheit selbst ist, die sie zu heilen vorgibt. Lösungen, die selbst das Problem sind.

Denn in Wirklichkeit braucht es mehr Europa und mehr Demokratie: Das europäische Parlament zeigt, dass es auch anders geht; in seinem Vorschlag zum Stabilitätspakt sind auch wirtschaftspolitische Daten zur Arbeitslosigkeit, Qualität der Jobs und zu sozialen Entwicklung enthalten, aber auch zur Steuerstruktur. Mehr Europa und mehr Demokratie heißt: nicht nur für die Stabilisierung des Finanz- und Bankensektors eintreten, sondern auch für die Stabilisierung des sozialen Ausgleichs.

Tipp:

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www.corporateeurope.org