Über den weltfremden Versuch der Stadt, die Drogenpolitik der Polizei zu überlassen
Jede größere Stadt hat eine offene Drogenszene. Die in Wien ist relativ klein. Trotzdem versucht die Stadt sie loszuwerden, mit massivem Polizeieinsatz und Baumaßnahmen.Eine vierköpfige Familie spaziert lachend durch die lichtdurchflutete Passage, der Jüngste auf den Schultern des Vaters sitzend. Auf der anderen Seite des Ganges schwingt eine junge Frau ihre Einkaufstasche. «Das neue Gesicht der Karlsplatz- und Opernpassage ab Anfang 2013» steht über den Schaubildern. Sie kleben auf den Spanplatten, welche die ersten Umbau-Arbeiten am alten, düsteren Gesicht der Karlsplatz- und Opernpassage verdecken.
Von einer «Kulturpassage» ist die Rede, an Stelle der kleinen Geschäfte (nur ein Aufbäcker, der Junkfood-Dealer und Coffee to go dürfen bleiben) sollen in Zukunft Ausstellungsflächen und eine 70 Meter lange «Lichtkunstwand» die Untergrundkorridore aufwerten. Die Nahverkehrs-Drehscheibe Wiens (mit täglich 200.000 Passantinnen und Passanten) soll laut Stadtplanern zu einer «hochwertig gestaltbaren Kunst- und Kulturdrehscheibe» werden, «hohes Sicherheitsgefühl» inkludiert.
Am rechten unteren Rand der Bilder von den sprachlich und optisch aufpolierten Durchgängen steht der Wiener-Linien-Slogan «Die Stadt gehört Dir». Doch die Stadt gehört nicht allen in gleichem Maße. So beschlossen z. B. die Wiener SPÖ, ÖVP und FPÖ «vor einem Jahr eine Erweiterung der Gründe für eine Wegweisung (wir haben mehrfach darüber berichtet), sodass seitdem Personen, die allein schon durch ihr «Auftreten» eine «Verunsicherung der Bürger und Bürgerinnen» auslösen, von öffentlichen Räumen und Einrichtungen weggewiesen werden können. Das Ziel war eindeutig: Als Beispiele wurden im Vorfeld «Suchtmittelabhängige, Obdachlose und Bettler» genannt. Die Wiener SPÖ initiierte dieses Gesetz nicht zufällig zu Beginn des Wahlkampfes. Sie wollte dem Wahlvolk ein «sauberes Stadtbild» präsentieren. Wer da nicht reinpasste, musste weg.
Für den Karlsplatz bedeutet diese Politik: Seit Juni 2010 wird dort der sogenannten offenen Drogenszene, die diesen zentralen Ort seit 1982 als Treffpunkt bevorzugt, das Leben schwer gemacht. Ein Großaufgebot der Polizei sorgt für unzählige Perlustrierungen, Wegweisungen und Festnahmen. Die von der Szene gut angenommene Anlaufstelle «Streetwork» darf keine Spritzen mehr tauschen (früher waren es 4500 pro Tag). Und als erste «Baumaßnahme» wird die öffentliche Toilette gegenüber dem Junkfood-Lokal geschlossen, von der es ein offenes Geheimnis war, dass mensch sich hier in Ruhe einen Schuss setzen konnte. Es war ein inoffiziell geduldeter Drogenkonsumraum (mangels eines offiziellen, hygienischen), ein Quasi-Drogenkonsumraum in spezieller privatwirtschaftlicher Obhut, der seinen Benutzern jeweils einen Extra-Euro kostete und von seinen Benutzerinnen gelegentlich mit einem Blowjob bezahlt werden musste.
Paradigmenwechsel ohne Plan?
Gibt es einen bewussten Paradigmenwechsel in der Drogenpolitik, von einer mehr oder weniger akzeptierenden Drogenarbeit zurück zu einer Kriminalisierung, oder passiert er der Wiener SPÖ gerade irgendwie? Weil sie zu feig ist, den weltfremden Prohibitions-Rufern der FPÖ Paroli zu bieten? Weil sie der Bevölkerung keine sachliche Diskussion des Themas zutraut? Weil sie die Stadt als Unternehmen betrachtet und nach der Logik des Marktes regiert, also unrentable Klientel von den attraktiven Standorten verdrängt? Oder stimmt es gar, dass wie bei abgeschaltetem Mikrofon gern erzählt wird die Frau eines bekannten Politikers, die bei ihrer täglichen Karlsplatzquerung nicht mehr den Anblick von Drogenkonsumenten ertragen will, den Anstoß zu all dem gab?
Nachdem am Anfang offen von einer «Räumung» und «Zerschlagung der Drogenszene» die Rede war, und Wörter wie «Zwangstherapie» (Stenzel), «Säuberung» und «Bereinigung des Karlsplatzes» (Fekter) fielen, hört man heute eher von einer «Reduktion» und «Verlagerung» und einem «Integrieren» der Drogenkranken in Tageszentren. Die Sucht- und Drogenkoordination Wien (SDW) spricht auf ihrer Website davon, «eine Entlastung des öffentlichen Raumes zu schaffen» und vom «Anbieten besserer Betreuungsverhältnisse». Doch bei einem «Angebot», zu deren Annahme man mit Platzverweisen, Geldstrafen und Gefängnisaufenthalten «überredet» wird, erreicht das Schönreden bereits den Status der zynischen Lüge.
Auch bei Nachfrage bleibt Angelina Zenta vom SDW bei der sprachlichen Umdeutung der Vertreibung zu einem Naturereignis. «Von Vertreibung kann nicht die Rede sein. Der Karlsplatz verändert sich. Durch den Umbau gibt es einfach weniger Platz und unser Weg ist, Alternativen anzubieten.» Die Alternativen sind das provisorische Tageszentrum «TaBeNo» (plus Notschlafstelle mit 26 Betten) am Wiedner Gürtel und die sozialmedizinische Beratungsstelle Ganslwirt. 150 bis 160 «Kontakte» zählen die beiden Einrichtungen nun täglich, der Spritzentausch kann nur noch dort durchgeführt werden. Spritzensets tauchen nun vermehrt am Schwarzmarkt auf, erzählen Sozialarbeiter. In der Anlaufstelle «Streetwork» am Karlsplatz schrumpften die «Kontakte» im Laufe des letzten Jahres von täglich 700 auf 70 bis 80. Ende 2011 sollen TaBeNo und Ganslwirt in einem neuen Zentrum am Gumpendorfer Gürtel zusammenfinden, an dem schon zügig gebaut wird.
Strafe: vier Tage Sportkanal
«Man kann Drogenkranke nicht in ein Ghetto stecken. Sie wollen sich im öffentlichen Raum aufhalten, und dort muss es auch ein möglichst niederschwelliges Betreuungsangebot geben», sagt Birgit Hebein, Sozialsprecherin der Wiener Grünen, und fordert eine sachlich differenzierte Diskussion. «Der Karlsplatz muss für alle da sein», sagt auch Roland Reithofer vom Verein Wiener Sozialprojekte. Doch die ganze Diskussion verlaufe seiner Meinung nach falsch. Das Thema müsse lauten: Was brauchen diese Menschen, und was können wir für sie tun? «Wir sprechen hier von kranken Menschen mit ihren individuellen Geschichten, nicht selten Missbrauchsgeschichten.»
Und wo ist die Karlsplatz-Szene heute? In Bewegung, sagt Reithofer. Entlang der U-Bahn-Linien und -Stationen, sagen die Sozialarbeiter, die ihnen nun nachfahren müssen. Einige landeten vor dem Obdachlosen-Tageszentrum in der Josefstädter Straße (siehe Augustin Nr. 297) und lösten dort einen massiven Polizeieinsatz aus (der nun schon zweieinhalb Monate andauert) und das Bestreben nach einer «baulichen Aufwertung» dieses Gürtelbereichs als «Problemlösung». Sogar die legalen Drogendealer der Gegend, die Betreiber der Gürtelbogenlokale, beschweren sich mittlerweile.
Vereinzelt kehren die Drogenkonsumenten teils noch immer und teils schon wieder zum Karlsplatz zurück. Einer von ihnen spricht mich an, will wissen, für wen ich hier fotografiere. Vor kurzem bekam er ein Platzverbot, erzählt er, und wurde noch vor Ablauf der zwölf Stunden wieder am Karlsplatz erwischt. Also weitete die Polizei die Wegweisung auf 72 Stunden aus und verhängte eine Strafe von 210 Euro. Die «bezahlte» er mit vier Tagen Gefängnisaufenthalt. Das einzig Schlimme daran: vier Tage Sportkanal schauen. Die «Alten» hätten ihm erzählt, dass es am Karlsplatz schon viele Versuche gab, sie zu vertreiben. «Es ist ihnen noch nie gelungen. Wir kommen immer wieder!»