Schulproteste. Seit 2020 sagen Bildungsexpert_innen, dass Schüler_innen unter dem Covid-Management leiden. Jetzt reden sie selbst. Lina Hadi (16) und Julian Neubauer (18), Schulsprecher_innen im Gymnasium Hegelgasse 12, im Gespräch über Distance Learning, Schichtbetrieb und Warnstreiks gegen die Hilflosigkeit.
Interview: Lisa Bolyos
Foto: Carolina Frank
Was fordert ihr?
Julian Neubauer: Das Recht, dass unsere Stimme gehört wird.
Und wenn man euch zuhört, was hört man da?
Lina Hadi: Vor allem Hilflosigkeit. Es waren harte Jahre für alle, und es ist ein Fakt, dass es vielen Schüler_innen nicht gut geht. Jetzt müssen wir die Möglichkeit ergreifen, was zu ändern.
Man hört seit Jahren von Bildungsexpert_innen, dass Schüler_innen unter dem Covid-Management leiden. Die jetzigen Proteste eröffnen die Chance, es direkt von euch zu hören: Was sind die größten Probleme im Schulalltag?
LH: Es gibt Schüler_innen, die Angst vorm Distance Learning haben. Es wird unterschätzt, was die Situation mit uns macht: Man sagt, du musst ja nur daheim sein und vor dem Computer sitzen – sofern man einen Computer hat –, aber dieses Alleinsein, dieses Mit-sich-selbst-Sein, ich glaube, davon wurden viele psychische Erkrankungen ausgelöst. Auf der anderen Seite gibt es Schüler_innen, die Angst vor Corona haben und gerne im Distance Learning wären, weil sich das für sie am sichersten anfühlt, aber sie trauen sich nicht.
Warum nicht?
LH: Weil sie zu Recht Angst haben, schlechtere Noten zu bekommen. Es gibt Lehrer_innen, die dich besser behandeln, wenn du in den Präsenzunterricht kommst. Ein paar Lehrpersonen haben zu meiner Klasse gesagt: Ihr dürft euch nicht über Distance Learning aufregen, wenn ihr daheimbleibt, obwohl ihr eh in die Schule gehen könntet.
JN: Bei den derzeitigen Infektionszahlen ist es eine Zumutung, Schüler_innen zu sagen, dass sie in die Schule gehen sollen. Natürlich steht auf dem Papier, sie müssen nicht, aber da muss man nur eine Sekunde in den Schulalltag hineinschauen, um zu merken, dass ein irrsinniger Druck von den Lehrer_innen ausgeht.
Warum sind gute Noten wichtig?
LH: Diese eine Zahl von eins bis fünf macht für einen selber voll viel aus; du beziehst diese Bewertung auf dich, vielleicht bin ich ja so unintelligent, weil diese Note da steht? Dabei hat Intelligenz nichts mit Noten zu tun! Was sagt ein Zeugnis darüber aus, was ich für ein Mensch bin?
JN: Wir lernen von der Volksschule an, dass gute Noten wichtig sind. Und die Lehrer_innen gehen mit den Schüler_innen auch so um: Wer schlechte Noten hat, wird herablassend behandelt.
Du bist selbst einmal sitzengeblieben, aber du wirkst nicht gerade unbeliebt.
JN: Mir ging es im Rahmen vom Lockdown sehr schlecht. Ich wollte die Schule eigentlich abbrechen, ich bin ein ganzes Jahr nicht mehr hingegangen. Ich war schon vorher der Art und Weise abgeneigt, wie Schule funktioniert, aber das Distance Learning und den Leistungsdruck habe ich dann nicht mehr ausgehalten.
Was wäre eine sinnvolle Art, zu unterrichten?
LH: Das Schichtsystem war sicher am angenehmsten: Wir sind da, wir sind präsent, aber wir sind nicht so viele.
In offenen Briefen an Bildungsminister Polaschek schreibt ihr: «Kommen Sie Ihrer Verantwortung nach!» Was sind eure Forderungen an die Bildungspolitik?
JN: Die freiwillige mündliche Matura; eine Einschränkung des Maturastoffs; sinnvoll gestaltetes Distance Learning; und Anlaufstellen für Schüler_innen, die in einem Umfeld leben, das nicht ideal ist, um zu Hause zu bleiben.
LH: Beziehungsweise braucht es Information über Anlaufstellen wie Rat auf Draht oder die Corona-Hotline. Ich habe noch nie von der Schule direkt gehört: Wenn du Hilfe brauchst, kannst du dich dorthin wenden.
Warum ist die Forderung nach der freiwilligen mündlichen Matura so zentral?
JN: Es ist sehr schwer, Dinge zu fordern, die es noch nie gab – zum Beispiel die Matura komplett abzuschaffen. Was die freiwillige mündliche Matura so greifbar macht, ist, dass es sie schon gab. Und den jetzigen achten Klassen, die genau die gleichen Konditionen hatten wie die Klassen davor und quasi die gesamte siebte Schulstufe im Distance Learning waren, ist einfach unklar, warum dieselbe Situation heuer anders beurteilt wird als beim letzten Mal.
Wie schätzt ihr die Chancen ein, diese Forderung noch durchzusetzen?
LH: Bisher hat Polaschek noch nicht reagiert, aber genau darum müssen wir weitermachen. Wir sagen: Hey, wir werden gesehen, wir nützen das jetzt!
Ihr habt selber eine Demonstration organisiert – wie ist euch das gelungen?
JN: Ich habe mich ins Versammlungsrecht eingelesen, um zu wissen, wie man eine Demo anmeldet. Weil wir vor allem unsere Schule dabeihaben wollten, haben wir die Demo direkt nach Unterrichtsende angesetzt, mit einer kurzen Route bis zur Urania. Am Tag nach der Anmeldung bin ich zur Polizei vorgeladen worden, um die Strecke noch einmal durchzugehen, da war die Kommandoleitung und einer von den Wiener Linien, und die haben gesagt: Ok, wenn genug Leute kommen, geht ihr den Ring entlang, und ansonsten auf der Nebenfahrbahn.
Und so ist das also passiert. Übelst abstrakt!
LH: Obwohl zweieinhalb achte Klassen nicht dabei sein konnten, weil es so viele positive Fälle gibt, dass sie alle in Quarantäne mussten – so viel dazu, dass alles bestens ist und sie Matura machen können –, waren wir gemeinsam mit anderen Schulen genug Leute, um am Ring zu gehen.
Sind Schüler_innen politisch gut repräsentiert?
JN: Nein, überhaupt nicht. Es braucht eine direkte Wahl der Bundesschüler_innenvertretung. Dann kennen sie mehr, und ihre Meinung hat mehr Gewicht. Wenn hunderttausende Schüler_innen ihre Vertretung wählen und die dann von der Bildungspolitik nicht gehört wird, gibt es mehr Zorn.
Macht der Widerstand Spaß?
LH: Mir tut es sehr gut, mal rauszuschreien, was wir wollen. Das Gruppengefühl ist da, und es ist schön, gemeinsam zu gehen, zu rufen und gehört zu werden.
Es gab schon einen bundesweiten Schulstreik. Ist das eine mögliche Strategie, um der mündlichen Matura zu entgehen – nicht auftauchen?
JN: Ja, das wäre möglich, aber da wären zu wenige Leute dabei. Durch die Noten ist man so abhängig von den Lehrer_innen, dass man sich schwer gegen sie auflehnen kann.
Das ist bei der Arbeitsniederlegung im Betrieb nichts anderes – die Chefin freut sich nicht, wenn man streikt.
JN: Aber Schüler_innen sind halt Jugendliche, noch dazu ohne Streikrecht.
LH: Darum machen wir erst einmal Warnstreiks.