Lokalmatadorin
Ruba Diab führt nun in Meidling einen Beauty-Salon. Zuvor war sie in Damaskus erfolgreich. Von Uwe Mauch (Text) und Mario Lang (Foto)
Im vorderen Bereich des Salons, zur Straße hin, werken junge Männer mit Scheren und Rasiermessern, im hinteren Bereich legen die Frauen Hand an. Sie waschen, schneiden und fönen Haare, und sie bereiten auch dem lästigen Haarwuchs mittels Laser ein Ende.
Alle haben alle Hände voll zu tun. Auch die Inhaberin. Schön zu beobachten: Ihr Schönheitssalon «Loreen» in der Schönbrunner Straße Nr. 271 ist heute ein Fixpunkt im Stadtbild. Er ist auch an diesem Freitagvormittag gut besucht.
«Loreen heißt meine Tochter», verrät die Inhaberin, Ruba Diab. Ihre Tochter war gerade einmal vier Jahre alt, und sie selbst 24, als sie in ihrer Heimat, dem Bürgerkriegsland Syrien, alles aufgeben und Richtung Europa flüchten musste. Das war im Frühjahr 2015.
Der Krieg hat sie zu einer alleinerziehenden Mutter gemacht. Aber der Reihe nach: Frau Diab erzählt, dass sie an der Universität in Damaskus Management studiert und nach dem Studienabschluss im Zentrum der syrischen Hauptstadt einen großen, einen gut gehenden Beauty-Salon mit zwanzig Mitarbeiter_innen geführt hat. Sie war erfolgreich. Und sie war glücklich: mit ihrer kleinen Tochter und ihrem geliebten Mann, einem Zollbeamten.
Über das Meer.
«Doch dann begann bei uns der Krieg.» Die junge Witwe will, sie kann heute nicht mehr sagen: «Mein Mann wurde gekidnappt und danach nicht mehr gefunden.» Alleine die Erinnerung schnürt ihr die Kehle zu. Gut, dass neue Kundinnen den Salon betreten. Die Arbeit lenkt ab, wenngleich nur für kurze Zeit.
Im Frühjahr 2015 kratzt sie ihr Erspartes zusammen und fliegt mit ihrer Tochter und ihrem jüngeren Bruder zunächst in die Türkei. Von dort muss sie mit den Kindern eine moderne Todeszone durchqueren – das östliche Mittelmeer. Und wir dürfen in Anbetracht der friedlichen Atmosphäre in ihrem Salon von Glück reden, dass die Mittelmeerschließer_innen sie nicht stoppen und zurückschicken konnten.
Die Fahrt übers offene Meer gestaltete sich auch ohne deren Zutun als lebensgefährlich: «Der Schlepper hat uns ein großes Schiff versprochen. Doch dann im Hafen erwies sich dieses große Schiff als ein kleines Schlauchboot. Die Kinder und ich hatten keine andere Wahl, wir mussten einsteigen.»
Wir bohren an dieser Stelle nicht weiter in Wunden. Es ist irgendwie gut gegangen: Von der Insel Chios gelangte die syrische Geschäftsfrau mit beiden Kindern aufs griechische Festland, und von dort weiter – im März 2015 – nach Wien. «Wien war von Anfang an mein Ziel», erklärt Ruba Diab. «Denn ich wusste meinen Cousin und meine Cousine hier in der Stadt.»
Zwei Kinder an ihrem Ärmel, kein eigenes Einkommen, keine Wohnung, auch kein soziales Netz in der großen fremden Stadt, fremde Menschen, fremde Sprache, fremde Kultur – alles war für sie in Wien ungewohnt, unangenehm: «Ich war am Anfang völlig orientierungslos, verzweifelt, auch nicht sicher, ob mich die Leute hier akzeptieren werden.»
Nachbarschaftshilfe.
Doch da hilft ihr eine Nachbarin. In der Person von Somia Babiker, die beim Verein NACHBARINNEN als Sozialassistentin angestellt ist. Babiker spricht ihre Sprache, macht ihr Mut, begleitet sie zu den Ämtern, den Schulen der Kinder und beim Formulare-Ausfüll-Marathon. Bestärkt sie auch, wieder einen eigenen Salon zu eröffnen. Dankbar sagt Ruba Diab heute: «Sie ist für mich ganz wichtig in meinem Leben.»
Mit den ersten Etappensiegen im Alltag kehrt das alte Selbstbewusstsein langsam zurück. Nach weniger als einem Jahr in Wien steht die Asylberechtigte beruflich wieder auf eigenen Beinen. Ihr Neustart mit «Loreen» gelingt auf Anhieb. Die neue Selbstständigkeit ist ein wichtiger nächster Schritt in ihrem neuen Leben: «Ich habe zuvor kein gutes Gefühl dabei gehabt, Geld von einer Gemeinschaft anzunehmen, für die ich noch nichts geleistet hatte.»
Heute gibt die Jung-Unternehmerin sich selbst, vier Angestellten, zwei Lehrlingen und immer wieder Praktikant_innen Arbeit. «Heute braucht sie mich nicht mehr», sagt Somia Babiker zufrieden.
«Ganz im Gegenteil, heute brauche ich sie.» Wenn sie die Geschichte von Ruba Diab und ihrem Comeback in Wien erzählt, kann Babiker den Frauen, die sie betreut, Mut machen: «Was Ruba geschafft hat, könnt auch ihr schaffen!» Und wenn sie wieder einmal für eine der Frauen Arbeit sucht, kann sie bei «Loreen» anfragen.
Kein Zurück.
Ruba Diab, die jeden Tag von 9 bis 18 Uhr in ihrem Salon die Fäden zieht und mitanpackt, würde gerne allen Arbeit geben. Sie träumt davon, einen zweiten und einen dritten Salon zu eröffnen: in Wien. Sie hat sich das gut überlegt, wie sie betont: «Auch wenn mein Vater weiterhin in Syrien lebt und arbeitet, für uns gibt es kein Zurück mehr. Wir passen nicht mehr in unser eigenes Land. In Damaskus wäre ich heute eine Fremde, in Wien habe ich viele nette Menschen kennen lernen dürfen. Hier fühle ich mich jetzt zuhause.»