Raiffeisen: Der «große Chef» verteilt Schulnoten
«Solidarität gibt Österreich Kraft» war der Titel eines Vortrags, zu dem Raiffeisen-Generalanwalt Dr. Christian Konrad lud. Wer sich auf Grund des Titels ein Fest an Kampfrhetorik erwartete, wurde enttäuscht. Konrad gab einen Überblick, der ein wenig in das Seelenleben des obersten Raiffeisenmanagers blicken ließ.
Ernst Schreiber vom Club Niederösterreich, einer Vorfeldorganisation der ÖVP Niederösetrreich, erläuterte in seiner Einleitung die Bezeichnung «Generalanwalt», indem er auf das deutsche «Handelsblatt verwies, das den Begriff mit «großer Chef» übersetzte.
Daraufhin trat Konrad ans Rednerpult, um auszuteilen: Die USA hätten Lehman Brothers nicht aufgefangen, weil der Schaden europäische Kunden wesentlich stärker als amerikanische getroffen hätte. Kein Wort ließ Konrad dabei über die fragwürdigen Kundenberatungen der europäischen Banken fallen.
Der neue italienische Premier Mario Monti bekam den Segen des NÖ-Jägermeisters: «Der ist gut, und vor allem hat er gute Leute um sich.» Aus dem Lob für Montis Experten-Kabinett konnte, wer wollte, Konrads Verachtung des aktuellen politischen Personals hierzulande heraushören. Später wird der oberste Raiffeisianer sagen: «Die Politik kann entscheiden, aber der Markt kann sich auch anders bewegen.»
Schnell kam der Aufsichtsratsvorsitzende von Raiffeisen Zentralbank (RZB) und Raiffeisen International (RI) auf die Bankenrettung der Republik Österreich zu sprechen: Das Partizipationskapital hätte man nehmen müssen, der Zinssatz von 8 Prozent sei «sündteuer». Raiffeisenkunden, die ihr Konto überziehen und wesentlich höhere Zinsen blechen müssen, werden sich denken, der Herr Generalanwalt messe mit zweierlei Maß.
Geld geben und Geld nehmen ist das klassische Bankgeschäft. Dabei wird die Republik erwähnt mit einem Lamento über das «Jahrzehnte lange Schuldenmachen der öffentlichen Hand». Klingt gut, wenn die Verschuldung der öffentlichen Haushalte kritisiert wird, wirkt aber zwiespältig, weil der Kritiker Aufsichtsratspräsident einer Bank ist, die über die Anleihen der Republik fette Zinsen kassiert. Das Verhältnis mit der Republik darf nicht zu weit gehen. Sollte nochmals «Partizipationskapital» nötig sein, wäre das schlecht für die Bank. Dann wären Regierungsvertreter Herren über Teile des Stammkapitals und «sitzen herinnen». «Wir wollen das Heft selbst in der Hand halten!»
Die Ostaktivitäten der RI Experten befürchten wegen des hohen Anteils von Fremdwährungkrediten einen Knall sieht Konrad fern von jedem Schlamassel: Zu Beginn der Krise 2008 waren demnach große europäische Banken eifersüchtig auf die heimischen Institute, weil sie im Osten reüssierten, während andere diese Chance verschlafen haben. Österreich sei ins Gerede gebracht worden, aber Josef Pröll sei als damaliger Finanzminister und Vizekanzler in den Osten gereist und habe alles wieder in Ordnung gebracht. Wird ein Wunschnachfolger vorweg abgefeiert? Konrad betont: «Wir waren jederzeit in der Lage, das Risiko im Bankgeschäft aus Eigenem abzudecken!» Ernste Miene des Vertragenden, als wäre es notwendig, dieser Aussage besondere Glaubwürdigkeit zu verleihen. Kein Wunder. Zwei Tage später sprach Ewald Novotny, Gouverneur der Nationalbank, von einem zusätzlichen Vorsorgebedarf von Raiffeisen & Co. wegen der Ostgeschäfte.
Zu einer Tour dhorizon, wie man Konrads Überblick hochtrabend nennen könnte, gehört es, große Namen fallen zu lassen, um die eigene Bedeutung hervorzustreichen: «Ackermann hat mir unlängst erzählt » oder «Die slowakische Premierministerin sagte mir »
Die ständigen Konsultationen der europäischen Regierungen betrachtet der Generalanwalt als mühsam, kompliziert und wünscht sich eine europäische Wirtschaftsregierung. Von Griechenland seien die österreichischer Banken kaum betroffen. (Anmerkung der Redaktion: Wenn man von der raiffeisen-eigenen Uniqa mit einem Abschreibebedarf von 300 Millionen Euro absieht.) Der Fall Italien berge hingegen gewaltige Risiken für österreichsiche Kreditinstitute wie für die gesamte Weltwirtschaft.
In dieser AUGUSTIN-Serie (Nr. 307/2011) wurde die Malaise diverser niederösterreichischer Gemeinden dokumentiert, die sich mit Hilfe der Raiffeisen Landesbank Wien NÖ auf hochriskante Fremdwährungswetten eingelassen haben und ins Straucheln geraten sind. Konrad, das Unschuldslamm: Raiffeisen werde sich künftig nur mehr durch Bedrohung mit vorgehaltener Waffe auf derartige Geschäfte einlassen.
Es gehört offenbar zu Konrads Naturell, Raiffeisen-Kapos öffentlich abzuwatschen: So gab er zum Besten, RZB-Vorstandschef Walter Rothensteiner habe ihn gefragt, ob er als Aufsichtsratschef kein schlechtes Gewissen habe, weil er, Rothensteiner, deutlich weniger verdiene als die Kollegen von der Ersten. Darauf habe er geantwortet, dass es dem RZB-Mann unbenommen bleibe, die Firma zu wechseln.
Ebenfalls zu Konrads Naturell gehört es, sich über die Kritik der Personalrochaden zwischen Staat und Raiffeisen zu «wundern». In einem «Standard»-Gespräch wies der Wirtschaftssprecher der Grünen, Werner Kogler, darauf hin, dass Mitarbeiter der Finanzmarktaufsicht immer wieder zu Raiffeisen wechseln. Konrads Replik: «Na entschuldige! Dass Beamte Job wechseln wo ist das Problem?»
*) Konrad wörtlich im «Standard», 19./20. November 2011