Sigmund Freud und die BettelLobbyWien zu den U-Bahn-Durchsagen
Indes scheint es für das Management der Wiener Linien aktuell eine weit größere Gefahr zu geben: das vereinzelte Erscheinen von Bettlerinnen und Bettlern, die ihr Glück im Abweiden der U-Bahn-Waggons suchen, was wie in dieser Branche üblich saisonbedingt mit wechselndem Erfolg absolviert wird. Im Advent sind die Fahrgäste großzügiger. Diese Großzügigkeit beziehungsweise die Spendenbereitschaft überhaupt wird seitens der Geschäftsführung des Verkehrsunternehmens fast in ein unmoralisches, ja gesetzwidriges Eck gerückt. Nicht anders sind die in den letzten Wochen penetrant wiederholten Anti-Bettler-Durchsagen zu interpretieren: Viele Fahrgäste fühlen sich durch organisiertes Betteln in der U-Bahn belästigt. Wir bitten Sie, dieser Entwicklung nicht durch aktive Unterstützung Vorschub zu leisten, sondern besser durch Spenden an anerkannte Hilfsorganisationen zu helfen. Sie tragen dadurch zur Durchsetzung des Verbots von Betteln und Hausieren bei den Wiener Linien bei.
Legitimiert wird diese Dauerberieselung mit dem Argument der sich häufenden KundInnen-Beschwerden über die Belästigung durch bettelnde Personen. Wie die Wiener Linien mit der Augustin-Anfrage umgehen werden, ob diese Beschwerdeflut offengelegt oder sonstwie bestätigt werden könne und in welchem Maße gegenteilige KundInnen-Reaktionen vorlägen, bleibt abzuwarten. Jedenfalls wird die Redaktion gelegentlich mit Kopien von Briefen an die Verkehrsbetriebe versorgt, in denen sich Fahrgäste über Gestus und Inhalt der Anti-Bettler-Durchsagen beschweren (siehe auch Fanpost-Seite). Was tun denn diese Menschen?, heißt es in einem dieser Statements, dessen Autor die Wiener Linien mit dem Jean-Paul-Bonmot, wonach der Held wohl seine Narben zeigt, aber nur der Bettler seine Wunden, zu einer rationaleren Sicht der Dinge bewegen will:
Diese Menschen machen Eigenwerbung für sich und machen auf ein gesellschaftliches Phänomen aufmerksam. Sie lassen uns teilhaben an einem Leben, das nicht immer sehr gradlinig verlaufen ist Nun, wenn ich das nicht aushalten kann, dann müsste ich wohl in einem Reservat für Bestverdiener leben sozusagen Cluburlaub im Alltag all inclusive! Sie, die Wiener Linien, rufen mit Ihren Lautsprecherdurchsagen und diese zählen für mich zu einer Form von verbaler Umweltverschmutzung zu einer sozialen Apartheid auf. Und das ist nicht die Aufgabe von Wiener Linien! (aus dem Brief von Thomas Fröhlich, Wien 5).
Ein neues Netzwerk: Pro BettlerInnen
Die BettelLobbyWien (BLW), ein neu entstandenes Netzwerk von SozialaktivistInnen rund um die Beratungsstelle Sozialarbeitergasse, die NGO socialATTAC und die Straßenzeitung Augustin, hat sich Ende des abgelaufenen Jahres erstmals mit einer Stellungnahme zur Durchsage der Wiener Linien zum Thema Bettelverbot vorgestellt. Vor der Lektüre empfiehlt sich ein genaues Durchlesen des oben zitierten offiziellen Durchsagetextes. Das im Folgenden wiedergegebene Statement ist bis Redaktionsschluss dieser Augustin-Ausgabe vom Empfänger nicht beantwortet worden.
Zu unserem Bedauern haben wir festgestellt, dass die Fahrgäste im U-Bahn-Bereich durch eine Durchsage aufgefordert werden, kein Geld an bettelnde Menschen zu spenden gerade in der spendenfreudigen Weihnachtszeit eine irritierende Maßnahme.
Zu dieser Durchsage ist aus unserer Sicht Folgendes anzumerken:
1. In der Durchsage wird unterstellt, dass alle bettelnden Menschen organisiert sind. Durch diese Verallgemeinerung bezeichnen Sie diese Menschen indirekt als Kriminelle, da mit organisiert nur Banden oder mafiaähnliche Organisationen gemeint sein können.
2. Die Durchsage strebt eine Verhaltensänderung der Fahrgäste an. Sie stellt einen Aufruf zu unsolidarischem Verhalten dar, da direkte Spenden an bettelnde Menschen als unerwünscht und somit als etwas Schlechtes dargestellt werden. Wir sind der Meinung, dass die Fahrgäste auf diese Bevormundung verzichten und selbst entscheiden können, wann, wo und an wen sie spenden.
3. Die Empfehlung, bettelnde Menschen besser durch Spenden an anerkannte Organisationen zu unterstützen, zeugt von Unwissenheit und erscheint zynisch, da es in Wien keine Organisation gibt, die bettelnde Menschen direkt unterstützt.
4. Wenn wir schon über Belästigung sprechen: Bitte belästigen Sie Ihre Fahrgäste nicht durch Unterstellungen, Bevormundung und zynische Empfehlungen!
Mit freundlichen Grüßen,
die BettelLobbyWien
PS: Auch mit Sigmund Freud ließe sich trefflich gegen die Armenbekämpfer aus der Geschäftswelt des öffentlichen Verkehrs argumentieren. Der Ausschnitt aus seinem 1926 verfassten Text Die Frage der Laienanalyse liest sich wie ein wunderbar vorweggenommenes Manifest gegen die unsoziale Lautsprecherkampagne:
In unserem Vaterlande herrscht von alters her ein wahrer furor prohibendi, eine Neigung zum Bevormunden, Eingreifen und Verbieten, die, wie wir alle wissen, nicht gerade gute Früchte getragen hat. Es scheint, dass es im neuen, republikanischen Österreich noch nicht viel anders geworden ist. () Ich meine, dass ein Überfluss von Verordnungen und Verboten der Autorität des Gesetzes schadet. Man kann beobachten: Wo nur wenige Verbote bestehen, da werden sie sorgfältig eingehalten; wo man auf Schritt und Tritt von Verboten begleitet wird, da fühlt man förmlich die Versuchung, sich über sie hinwegzusetzen. Ferner, man ist noch kein Anarchist, wenn man bereit ist einzusehen, dass Gesetze und Verordnungen nach ihrer Herkunft nicht auf den Charakter der Heiligkeit und Unverletzlichkeit Anspruch haben können, dass sie oft inhaltlich unzulänglich und für unser Rechtsgefühl verletzend sind oder nach einiger Zeit so werden und dass es bei der Schwerfälligkeit der die Gesellschaft leitenden Personen oft kein anderes Mittel zur Korrektur solch unzweckmäßiger Gesetze gibt, als sie herzhaft zu übertreten.
Infos:
Website der BLW im Aufbau:
bettellobbywien.wordpress.com
Infos zu den Scheingeschäften des Cross-Border-Leasings, in die auch die Wiener Linien verstrickt sind, am besten über die Website des Filmemachers Erwin Wagenhofer:
www.letsmakemoney.at