PROTOKOLL: SÓNIA MELO
DOLMETSCH: BLAGOVESTA NIKOLOVA
Ich heiße Milen Dimitrov, bin 35 Jahre alt und aus Ruse in Bulgarien. Ich bin seit fast 10 Jahren in Wien, seit drei verkaufe ich den Augustin. Eineinhalb Jahre habe ich darauf gewartet und war sehr froh, als ich meinen Augustin-Ausweis bekommen habe. Denn davor habe ich gebettelt, und das möchte ich nicht mehr machen.
Am 22. Oktober, als ich den Augustin an meinem zugewiesenen Platz beim Neuen Markt vor einem Supermarkt verkaufte, kam die Polizei – drei Polizisten und eine Polizistin – auf mich zu, kontrollierten meinen Reisepass, schauten im System etwas nach und nahmen mich fest. Ich war ein paar Tage in Schubhaft, bevor ich per Flugzeug nach Bulgarien abgeschoben wurde. Bei der Festnahme behielten sie meinen Rucksack – mit Zeitungen, Augustin-Ausweis und ein paar Kleidungsstücken. Bevor ich in das Flugzeug einstieg, habe ich gefragt, ob ich meinen Rucksack zurück haben kann, aber sie meinten, sie haben ihn nicht, er sei weg. Am 2. November reiste ich wieder an – mit dem Bus.
Vor zwei Jahren hat mir ein Polizist meinen Reisepass abgenommen, aber ich konnte ihn mit Willis Hilfe (Rechtsberater pro bono für den Augustin, Anm. d. R.) zurückbekommen. Früher, als ich noch gebettelt habe, habe ich ständig Strafen bekommen – wofür, das weiß ich nicht – und musste die Strafen sofort bezahlen, manchmal bekam ich dafür eine Rechnung, manchmal nicht.
Ich würde gerne arbeiten, aber dafür brauche ich eine Anmeldebescheinigung, für die ich wiederum eine Arbeit bräuchte, also einen Einkommensnachweis. Ein ewiger Teufelskreis. Ich habe viele Jahre in Griechenland gelebt, bevor ich nach Österreich kam. Dort habe ich in einer Bäckerei gearbeitet, hatte keine Probleme mit dem Aufenthalt, von dort wurde ich nie nach Bulgarien abgeschoben. Ich weiß nicht, warum das hier so ist, Bulgarien ist doch EU!?
Ich heiße Miroslav Yordanov, bin 30 Jahre alt und auch aus Ruse in Bulgarien. Milen und ich sind Halbbrüder – gleiche Mama, anderer Papa. Am 7. März 2025 wird es drei Jahre, dass ich den Augustin verkaufe. Es ist gut, ich bin zufrieden. Ich habe eine sehr nette Kundschaft, freundlich, manche geben mirTrinkgeld, andere geben mir etwas zu trinken oder essen.
Neulich haben mich zwei Securitys der Wiener Linien von der Station Hütteldorfer Straße an der U3 rausgeschmissen – ich würde dort mit meinem Hund Benji nicht stehen dürfen. Obwohl er Maulkorb hatte und ich mit ihm in einer erlaubten Verkaufszone stand. Einer der Securitys wurde sogar handgreiflich. Ich kam zum Augustin und erzählte Matthias, was passiert war, er hat sofort bei den Wiener Linien angerufen und den Vorfall gemeldet. Seitdem verkaufe ich dort wieder ungestört.
Als Milen in Schubhaft war, rief er mich an, er müsse 70 Euro Strafe bezahlen, habe das Geld aber nicht, ob ich es hinbringen kann. Ich bin sofort hingefahren, um die 70 Euro zu bezahlen, und als ich dort ankam, hieß es: Jetzt sind es nochmal 70 Euro, also 140 Euro. Ich weiß nicht warum und wofür.
Unsere Schwester Vasilka verkauft auch den Augustin. Vor einigen Monaten wurde sie von einer Polizistin bei der U6-Station Thaliastraße aufgehalten, als sie die Zeitung verkaufte, sie solle ihr 40 Euro geben, sonst würde sie eine Strafe bekommen, sagte die Polizistin zu ihr. Nachdem Vasilka ihr das Geld gab, forderte sie meine Schwester auf «zu verschwinden und nicht mehr hier aufzuscheinen».
Diskriminierung erleben wir immer, immer! Alles dabei: Ein Passant hat mir neulich den Mittelfinger gezeigt; ich wurde schon angespuckt, beleidigt, angeschrien, beschimpft. Wir sind keine Kriminelle, werden aber allzu oft als solche behandelt.
«Alle sollten sicher sein»
PROTOKOLL: SÓNIA MELO
Ich bin Felix Jeff, komme aus Nigeria, aus dem Bundestaat Delta, seit 2019 Augustin-Verkäufer. Ich ersuche seit einem Jahr um die Rot-Weiß-Rot-Karte, damit ich endlich arbeiten darf. Eine Zusage für eine Stelle als Kfz-Mechaniker habe ich, nur die Arbeitserlaubnis fehlt. Hoffentlich klappt es bald, das A2-Deutschniveau habe ich bereits.
Beim Augustin werde ich als Mr. Nice-Man begrüßt. Es begann, als ich einmal Zeitungen gekauft habe. Als ich merkte, ich bekam mehr Zeitungen als ich bezahlte, machte ich die Kollegen im Augustin-Vertrieb darauf aufmerksam – und gab die unbezahlten Zeitungen zurück. So kam es zu diesem Spitznamen, der stand sogar auf meinem alten Augustin-Ausweis und steht in meiner Verkäufer-Kartei noch immer: Mr. Nice-Man.
Derzeit ist mein Verkaufsplatz vor einem Supermarkt in der Nähe der Kettenbrückengasse. Eines Tages letztes Jahr im Sommer, nach einer Polizeirazzia mit 15 Polizisten in der Nähe, kamen einige davon auf mich zu. Nachdem mein Ausweis in Ordnung war, wollten sie wissen, wo ich wohne und kamen mit mir zu meiner Wohnung in der Nähe. Sie sprachen auch mit meinen Mitbewohnern, ob ich wirklich dort wohne, fragten sie. Als es klar war, dass wir nicht gelogen haben, entschuldigten sie sich bei mir für die Unannehmlichkeit. Wochen später wurde ich wieder von der Polizei an meinem Verkaufsplatz kontrolliert. Heuer erneut, da stand ich schon mit Zeitung in einer Hand und Personalausweis in der anderen da, nachdem ich die Polizisten von der Ferne in meine Richtung kommen sah.
Von zwei Supermarkt-Kunden, die regelmäßig dort einkaufen, erlebe ich andauernd rassistische Übergriffe. Eine Kundin hat mich sogar schon angespuckt, mir gesagt, sie habe die Supermarktdirektion mehrmals angeschrieben, ich solle da nicht mehr verkaufen, ich sei illegal hier. Das stimmt aber einfach nicht. Einmal hat sie sogar die Zeitung, die eine Kundin gerade gekauft hatte, auf den Boden geworfen, mich gedemütigt, beschimpft, beleidigt, mit Parolen wie «Ausländer raus!». Sie sagt auch zu anderen Passanten, dass ich da weg soll, sie sollen mir die Zeitung nicht abkaufen. Ihren Regenschirm schließt sie oft demonstrativ in meiner Nähe, und zwar auf eine Art, dass ich das Wasser abbekomme. Das macht mich wütend, aber vor allem traurig. Ich habe aber auch eine nette Kundschaft, die mich ermutigt, nicht zu reagieren, sie zu ignorieren. Ein anderer Kunde hat mir einmal ins Gesicht gesagt: «Eine Frau aus China ist hier willkommen, eine aus Afrika nicht.» Ich schaute weg und versuchte, ruhig zu bleiben.
Ich will meinen Verkaufsplatz nicht wechseln, ich wohne in der Nähe und habe eine gute Stammkundschaft. Auch die Supermarkt-Mitarbeiter sind nett zu mir. Ich erlebe rassistische Übergriffe und Polizeikontrollen ausschließlich beim Augustinverkauf, sonst nicht. Ich habe den Eindruck, dass es so ist, weil manche vielleicht denken, alle Augustin-Verkäufer würden Probleme mit dem Aufenthalt haben. Zudem: Kontrolliert die Polizei oft Schwarze Menschen, fühlen sich andere vielleicht berechtigt, Schwarze Personen für illegal zu erklären, ihnen das Recht auf das Hiersein abzusprechen. Manche werfen uns ohne Wissen um unseren Aufenthaltsstatus vor, wir würden nicht arbeiten wollen. Das ist so nervig, natürlich will ich arbeiten! Nur: Ich darf es nicht. Das ist ein Problem. Wir sollten alle – unabhängig von Herkunft oder Hautfarbe– ein sicheres Leben führen können. Dann hätten wir eine bessere Gesellschaft.
«Hier gibt es nur Armut»
PROTOKOLL: SÓNIA MELO
DOLMETSCH: CRINA-ROXANA ȚIPLEA
Ich bin Mihaela Onea, 57 Jahre alt und komme aus Câmpulung, eine kleine Stadt im Kreis Argeș in Rumänien, hier bin ich geboren und aufgewachsen. Ich habe sechs Kinder – vier Söhne und zwei Töchter. Heute vor einem Jahr habe ich meinen Augustin-Ausweis bekommen. Ich habe lange hoffnungsvoll darauf gewartet, beim Augustin aufgenommen zu werden. Ich war sehr glücklich, als es endlich soweit war, ich dachte, alles ist rechtens. Ich verstehe nicht, warum ich abgeschoben wurde, ich wurde nicht einmal wegen Schwarzfahrens jemals bestraft.
Ich stand an meinem Verkaufsplatz vor einem Supermarkt im 14. Bezirk, mit der Zeitung in der Hand, den Augustin-Ausweis um den Hals gehängt, als die Polizei kam. Es war am Montag, 4. November, um 11.30 Uhr, sie waren zu dritt, zwei Polizisten und eine Polizistin – zivil gekleidet, sie haben sich ausgewiesen und fragten mich nach meinem ID. Ich habe meinen Personalausweis gezeigt, sie kontrollierten auch meine Tasche. Ich habe weder gebettelt, noch bin ich auf dem Boden gesessen, ich war auf den Beinen. Zu dem Zeitpunkt habe ich mit meinem Sohn telefoniert, die Polizistin hat mir mein Handy weggenommen, ohne irgendetwas zu sagen, sie haben mich ins Auto verfrachtet und dabei mit gekreuzten Händen gestikuliert. Und so wusste ich: Ich bin festgenommen. Ich wurde in die Polizeidirektion gebracht, dort habe ich darum gebeten, beim Augustin anzurufen. Fast zwei Tage war ich im Polizeianhaltezentrum in Schubhaft, am Mittwoch um 4 Uhr brachten sie mich zum Flughafen, um 6 Uhr ging der Flug nach Rumänien.
Ich habe zwar Unterlagen bekommen, die ich aber nicht verstehe, ich weiß nicht, warum ich nun zum zweiten Mal des Landes verwiesen wurde, mir wurde nichts erklärt, es gab keine Übersetzungen. Das erste Mal, als ich beim Augustinverkauf im Mai festgenommen und dann abgeschoben wurde, hatte ich 370 Euro in der Brieftasche, die Polizei nahm mir das Geld weg, aber dafür habe ich eine Rechnung bekommen.
Ich würde gerne in Österreich arbeiten, aber niemand nimmt mich, ich habe gesundheitliche Probleme, Diabetes und eine Herzerkrankung und kann leider kein Deutsch. Mein jüngster Sohn ist sehr krank, er hat einen Knochentumor am linken Bein. In Rumänien muss man für alles bezahlen und ich kann mir die vielen Operationen und die medizinische Versorgung schlicht nicht leisten. Deswegen möchte ich weiterhin den Augustin verkaufen, weil das eine Tätigkeit ist, der ich nachgehen kann. Ich möchte nach Österreich zurück, denn in Rumänien gibt es keine Arbeit, nur Armut. Deswegen will ich zurück, ich will nicht betteln, ich will den Augustin verkaufen und dabei ein bisschen was verdienen.
Ich habe keine Familie in Wien, alle meine Kinder und sonstigen Familienangehörigen leben hier, in Rumänien. Ich war in Wien bei Bekannten untergebracht, die Adresse habe ich auch den Polizisten gegeben, aber ich war dort nicht gemeldet.
Diesmal hat mir die Polizei die 30 Euro, die ich bei mir hatte, abgenommen, das war das Geld, das ich durch drei Kalender und eine Zeitung an dem Tag verdient hatte, aber die bekam ich zurück. Unterstützung habe ich damals und jetzt von den Mitarbeitern vom Augustin bekommen. Ich kenne sonst niemanden, auch keine anderen Organisationen; Hilfe bekomme ich nur dort. Ich habe auch sehr nette Kundschaft in Wien, viele Kundinnen lachen mit mir gemeinsam, nehmen mich in den Arm, sind freundlich zu mir, ich hatte nie Probleme.
Es ist sehr unangenehm, als Frau in einer Zelle alleine zu sitzen, ohne überhaupt zu wissen warum, ohne zu verstehen, was mit mir passiert. Mein ganzes Leben lang hatte ich nie Probleme mit der Polizei. Das ist einfach sehr unangenehm.