Der Versuch, ein (chauvinistisches) Wir-Gefühl in Zeiten der Finanzkrise heraufzubeschwören, muss zwangsläufig scheitern.
Ich hab den Chefkommentar aus Österreich herausgerissen und kann nun nirgends ein Erscheinungsdatum finden. Es wäre identisch mit einem Erleuchtungsdatum gewesen, denn die plötzliche Einsicht in die Jämmerlichkeit dessen, was sich österreichischer Journalismus nennt, empfand ich als eine Art profaner Erleuchtung. Jedenfalls war es im Mai dieses Jahres, als Wolfgang Fellner in seinem Kommentar Das sagt Österreich folgendes notierte:
Franz Stronach und sein geniales Mastermind Sigi Wolf sind unbestritten die Helden dieses Jahres. Der Opel-Deal ist ihr Erfolg. Die beiden haben (…) nie gejammert, nie um Staatshilfe gebettelt (…) Der Sieg von Stronach und Sigi Wolf ist auch ein Erfolg für Österreich und das beste Zeichen, warum wir Ösis in der Krise viel besser sind als die Piefkes Während in Deutschland in Zeiten wie diesen die Erbsenzähler regieren und jedes Unternehmen in den Tod rechnen und jammern, zeigen bei uns Stronach, Mateschitz und Co., wie wichtig der Unternehmergeist ist. Wir sollten auf unsere Stronachs stolz sein. Wir sollten unseren Unternehmern auch politische Freiheit geben. Wir kleinen Ösis haben den Deutschen gezeigt, wie man die Krise meistert. Erstmals übernehmen wir einen deutschen Großkonzern. Wir sind die Krisengewinner wir sind Opel.
Der Herausgeber des Gratisblattes Österreich, Wolfgang Fellner, trägt seinen Ösi-Minderwertigkeitskomplex wie einen Bauchladen vor sich her. Selbst wenn das doppelte Wir im theatralischen Schlusssatz der Chefrubrik nicht die Ösis im Allgemeinen, sondern die politische Elite Österreichs meint, deren Partikel Fellner zweifellos ist, kann der Satz nicht stimmen. Genauso wenig wie die anderen Sätze. Wie es aussieht (knapp vor Redaktionsschluss dieses Blattes), hat bei Opel zukünftig eine Russland-Connection das Sagen. Zwar sprechen deutsche Politiker, wenn sie von der Opel-Rettung reden, am liebsten von einer deutsch-österreichisch-kanadischen Kooperation, doch das Konzept sieht lediglich eine 20%-Beteiligung von Magna vor. Wir sind Opel das können mit besserer Berechtigung die vom russischen Staat kontrollierte Sberbank und der russische Autoproduzent GAZ sagen. Bloß wird das Auto dann nicht mehr Opel heißen, sondern Wolga neu oder so, und es werden wohl kaum deutsche Opelaner sein, die das Auto zusammensetzen. Im Falle einer Zerschlagung des Mutterkonzerns General Motors gehen die Opel-Anteile an den Meistbietenden. Als solcher kann die Sberbank – mit dem russischen Staat im Rücken – ohne große Probleme künftig die alleinige Macht über den Opel-Konzern erhalten. So zeigen die Ösis den Deutschen, wie man die Krise meistert. Wir sind GAZ. Keine Erbsenzählerei in Rüsselsheim! Der Held des Jahres heißt Oleg Deripaska. Der Oligarch, Schwiegersohn der einflussreichen Tochter Boris Jelzins, galt noch vor einem Jahr als reichster Mann Russlands. Er wird die Zukunft Opels mehr prägen als die kleinen durch Stronach repräsentierten Ösis. Wir sollten diesem Unternehmergeist politische Freiheit geben. Damit er den Piefkes zeigt, wie man Krisengewinner wird. Er wird es ihnen auf deutsch-österreichisch-kanadische Weise zeigen. Er ist der Staat. Er wird nie um Staatshilfe betteln. So wie Stronach nie um Staatshilfe gebettelt hat. Denn Stronach muss nicht betteln. Er weiß, dass der österreichische Staat mit 300 Millionen Euro haftet, wenn beim Opel-Deal was schief geht. Wir sind stolz auf solchen Unternehmergeist.
Genug. Ich bin nur Redakteur einer Wiener Straßenzeitung. Zwar bin ich verspielt, jedoch nicht ausreichend weltwirtschaftlich kompetent, um mich mit Wolfgang Fellners Kolumnenfüllmaterial, ich meine mit dem Material dieser oben zitierten Kolumne, zu spielen. Außerdem, je länger ich spiele, desto mehr schlägt meine ausgeprägte Slawophilie zu, und ich schlage mich auf de Seite der Russen wider mein besseres Wissen, dass die Ethnie hier irrelevant ist, dass dem Kapital die Kategorie Nation nicht viel sagt, dass also die russisch-deutsch-österreichisch-kanadische Befreiung vom Kapital nur durch eine Weltrevolution gelingen kann, und zwar am besten unter der Losung: Die einzige Nation, die wir akzeptieren, ist die Kombination, gemeint ist natürlich die Kombination von allgemeinem Ignorieren des Fellnerstyle-Journalismus und von In-den-Tod-rechnen des kompletten Systems des Neoliberalismus.
Geschrieben für DIE SEITEN, Zeitschrift des promedia Verlages