«Wir sind wie Vögel»tun & lassen

Next Generation: Seit rund zwanzig Jahren findet das Treffen der Romn:ja in St . Pölten statt (Foto: © Jana Madzigon)

Neulich in Niederösterreich. Wer reisende Rom:nja-Gruppen begleitet, erfährt von offenem Antiziganismus, Klischees und gegenseitigen Vorurteilen, aber auch von Solidarität und Freund:innenschaft.

St. Georgen am Steinfelde ist ein beschaulicher Stadtteil von St. Pölten mit rund 3.500 Einwohner:innen. Am Gelände des stillgelegten ÖBB-Bildungszentrums St. Pölten – Wörth ist aber seit einigen Tagen Leben eingezogen. Über 100 Wohnwägen bilden ein kleines Dorf mit allem, was dazugehört: Generatoren schnurren, im Laderaum von Kombis drehen sich die Trommeln von Waschmaschinen. Die Wägen sind in einer Art Rondeau aufgestellt. Die Vorgärten der Wohnmobile sind liebevoll mit Pflanzen dekoriert und Blicke ins Innere verraten kitschig-pompöse Einrichtungen. Auf den Wäscheständern findet sich viel Babykleidung. Kinder und Frauen huschen zwischen den Wohnwägen herum, Männer sind nicht ­viele zu sehen. Zwischen den Schleppern der Camper – kräftige Kombis – blitzen immer wieder Bentleys, Porsches und sportliche Mercedes auf. Es sind viele französische Kennzeichen, aber auch einige aus Deutschland, Schweden und Österreich.

Glaubliche Leute

Neben dem Rondeau wurde ein angemietetes Zelt aufgebaut, mit Bühne, einer potenten Tonanlage und Stühlen mit rotem Stoffbezug. Es wird für die Zeit des Aufenthalts als Kirche dienen. Während Organisator Pastor Baba erklärt, sie seien eine evangelische Freikirche, «Gents de Voyage», Rom:nja, und würden morgen ihren europäischen Präsidenten Carlos erwarten, werden im Zelt in beachtlicher Lautstärke Kirchenlieder geprobt, die mehr an lateinamerikanische Schnulzen erinnern denn an sakrale Klänge. Die Sprache der Lieder ist aber Romanes. Im Zelt treffen wir auf einen weiteren der insgesamt fünfzehn Pastoren. Pastor Josef will uns etwas sagen: «Die Leute sollen keine Angst haben vor uns, weil wir sind normale Menschen wie andere auch. Wir sind evangelische Leute, wir glauben an Gott. Wir dürfen nichts tun, was nicht schön ist: klauen, betrügen, jemanden über den Tisch ziehen. Wir sind fair und wollen fair bleiben. Deshalb sind wir so glaubliche Leute.»

Ein freies Leben

«Der Herr kümmert sich um uns. Weil die Bibel sagt, wenn Sie glauben und wenn der Glaube groß ist, dann bekommen Sie. Wir haben alles, was wir brauchen. Wir gehen einkaufen, nicht betrügen», betont Pastor Josef. Die Gruppen seien ganzjährig unterwegs, im Sommer auch im Ausland. Womit kann man dann sein Geld verdienen? «Manche machen Werkzeugreparaturen, Messer schleifen, Geschäfte mit Teppichen, keine falschen Teppiche, Perser!», das ist Pastor ­Josef wichtig. Tatsächlich wird in St. Georgen von Angeboten erzählt, Messer zu schleifen oder Fassaden oder Dächer zu reinigen. Gehen die Kinder in die Schule? «Wir haben eine eigene ­Schule», sagt Pastor Josef. «Wir haben ein ­freies Leben. Wir sind wie Vögel. Wir landen, wo wir wollen. Wir freuen uns über ­unser Leben. Aber wir freuen uns mehr, dass der Herr bei uns ist, wir sind glaubliche Leute. Wir glauben sehr, sehr hoch!» Mit wem man auch immer spricht, wird man bald auf seinen Glauben angesprochen. Ein missionarischer Eifer ist nicht zu verkennen.

Acker, Parkplatz, Bahngelände

Das Gelände der ÖBB war nicht der erste Standort in St. Pölten, aber der erste, an dem sie nun mehrere Wochen bleiben können. Denn zunächst hatte die Gruppe einen Acker im Stadtteil Spratzern gemietet. Der Bauer freute sich zwar über das Geld, er hätte sein Grundstück in einem Brunnenschutzgebiet aber gar nicht vermieten dürfen. «In einem Brunnenschutzgebiet sollte nicht einmal ein Hündchen die Notdurft verrichten», ärgert sich Vizebürgermeister Harald Ludwig. Als der überforderte Vermieter von Anrainer:innen unter Druck gesetzt die Polizei rief, schaltete sich die Stadtverwaltung ein. In einem ersten Schritt wurde der Gruppe ein Parkplatz beim Veranstaltungszentrum VAZ in St. Pölten zugewiesen. Da dieser Platz aber dann für ein Volksfest benötigt wurde, wandte sich Harald Ludwig an die ÖBB mit der Bitte, die Rom:nja in St. Georgen unterzubringen. «Es war ein Anliegen der Stadt St. Pölten, dem wir gerne nachgekommen sind», bestätigt ÖBB-Sprecher Christopher Seif auf Nachfrage des Augustin. Ein Bahngrundbenützungsvertrag für 14 Tage wurde abgeschlossen. Verunreinigungen und Beschädigungen hätten sich im Rahmen gehalten.

Ein Platz für Rom:nja

«Gott sei Dank, wir haben wunderbare Menschen in St. Pölten getroffen, auch von Seiten der Polizei, auch vom Bürgermeister», erzählt Pastor Duval Karol und meint damit Vizebürgermeister Harald Ludwig und Gemeinderätin Birgit Becker (beide SPÖ), mit denen die Gruppe in regem Austausch stand. «Seit zwanzig Jahren kommen wir nach Österreich, zwei bis dreimal, mit dreißig bis einhundert Wohnwägen», erklärt der Pastor. «Es wäre gut, wenn sie es so machen wie die Stadt Linz und andere Städte in Österreich. Die haben einen Platz speziell für Landfahrer gebaut.» Diese Plätze wären mit Strom, Wasser und Sanitäranlagen ausgestattet. Nachdem die Rom:nja dafür bezahlen, rechnet er vor, würde sich so ein Platz in wenigen Jahren selbst finanzieren. Diesen Platz gäbe es beim VAZ, antwortet Vizebürgermeister Ludwig, er wäre nur heuer zu dieser Zeit nicht verfügbar gewesen. «Mir ist es wichtig zu sagen, dass die Roma und Sinti für die städtischen Aufwendungen aufkommen. Für Müll, Strom und Wasser wird regelmäßig bezahlt», zerstreut er Gerüchte, wonach hier öffentliche Gelder verwendet werden.

Saurer Apfel Menschenrecht

«Den euro­päischen Werten verpflichtet zu sein, ist in St. Pölten nicht nur ein Lippenbekenntnis, sondern auch die Grundlage für unser politisches Handeln als sozial­demokratische Stadtführung», setzt ­Harald Ludwig im Politiker:innen-Sprech an. Daher müsse man auch «in den sauren Apfel beißen» und «der Euro­päischen ­Menschenrechtskonvention konform für eine gewisse Zeit eine Heimstätte für das fahrende Volk» sein. Denn er wolle kein Schönredner sein. «Es gibt immer Konflikte. Aber mit ein bisschen Hausverstand ist das auch zu machen.» Dank der ÖBB und der Toleranz der wenigen Anrainer:innen habe alles ganz gut funktioniert, obwohl die Gruppe wesentlich größer war, als ursprünglich angenommen. «Die Erwartungen für das Miteinander werden oft nicht eingehalten», erklärt sich Harald Ludwig, warum es immer wieder Konflikte gibt. So habe etwa ein nächtliches Straßenrennen für einen Polizei-Einsatz gesorgt oder verstellte Zufahrten hätten verärgert. Die Emotionen gingen dabei immer schnell auf beiden Seiten hoch. Nicht jede Vereinbarung halte, meint Ludwig. Dass kein größerer Platz zur Verfügung stehe oder der Aufenthalt auf zwei Wochen beschränkt werden musste, habe die Gruppe aber akzeptiert.

Feindbilder abbauen

«Was mich erschreckt hat, war dieser geballte, ­kollektive Hass», erzählt Gemeinderätin Birgit Becker, die für die Sektion St. Georgen zuständig ist und die Gruppe von Anfang an auf Augenhöhe begrüßen wollte. Weil sie das Rom:nja-Camp regelmäßig besuchte, musste sie sich auch einiges anhören. «Es waren interessanterweise Menschen, die eher weit weg waren. Die direkten Anrainer haben sich nicht beschwert. Die haben ja die Menschen dahinter gesehen.» Und somit ist für Birgit Becker klar, wie Feindbilder abgebaut werden können: mit Begegnungen. Für Beschwerden über laute Gesänge aus dem Kirchenzelt hat sie kein Verständnis: «Also bitte, was ist beim Frequency? Was ist beim Feuerwehrfest? Die Toleranz bei solchen Veranstaltungen ist wesentlich höher.»

Eine Frage der Zeit

Beim Besuch des Camps erzählt ein Rom, er habe für einige Pastoren versucht, Zimmer in einem Hotel in der Nähe zu reservieren. Als er die Schlüssel abholen wollte, wurde ihm die Reservierung storniert. Das sei glatte Diskriminierung. Auf Nachfrage im Hotel heißt es, dass die Identitäten der Personen unklar seien und die Reservierung deswegen storniert und ein Ersatzquartier vorgeschlagen wurde. Das wäre ein üblicher Vorgang, unabhängig davon, wer die buchenden Personen sind. Dass es sich um Roma handle, habe man gar nicht gewusst. Birgit ­Becker wundern diese «Missverständnisse» nicht. Das für manche nicht verständliche Verhalten der Rom:nja sei ein Schutzmechanismus nach vielen negativen Erfahrungen. Und dass sie oft diskriminiert werden, sei nicht zu übersehen. Diese Menschen habe sie als tief religiös erlebt, während des Aufenthalts in St. Pölten habe es fünfzehn Taufen gegeben.
Pastorinnen, die in der evangelischen Kirche ja vorgesehen sind, sucht man hier allerdings vergebens. Das gehe mit der Tradition der Rom:nja nicht, erklärt Pastor Duval Karol. Aber es sei auch eine Frage der Zeit, bis sich das ändere, ergänzt er. Hier geben auch lieber die Männer Interviews.
Zurück zu Birgit Becker: Als Lehrerin habe sie der unglaubliche Familiensinn fasziniert. Alle sprechen fließend Deutsch und Französisch. Für sie sei bei ihren vielen Besuchen Freund:innenschaft entstanden. Birgit Becker ist klar, worauf es ankommt: «Es muss sich jemand drum kümmern. Es braucht eine Ansprech­person.» Und die war sie gemeinsam mit Vizebürgermeister Harald Ludwig gerne, selbst wenn die Telefone heiß liefen.

Translate »