„Wir spürten beide Irritation“tun & lassen

Vater Bruno Kreisky und Sohn über die Sozialdemokratie...

Kreisky.jpgDas Doppeldilemma, das Dilemma schlechthin nennt Peter Kreisky die mangelnde Auseinandersetzung der Sozialdemokratie mit Rechtspopulismus und Neoliberalismus und ihren jeweiligen Verknüpfungen. Er erinnert sich an das große Engagement seines Vaters Bruno Kreisky und dessen Verzweiflung über die Androschisierung seiner Partei. Heute wirke Haiders rabiater Österreich-Chauvinismus tief in SPÖ und ÖVP hinein, sagte er im Augustin-Interview.

Du wirkst immer wie ein politischer Mensch, der aber direkt mit der Politik nichts zu tun hat jetzt in dem Sinne von Politik ist gleich das, was Politiker machen. Wolltest du nie Politiker werden?

Nicht wirklich, weil ich relativ früh die Grenzen der offiziellen Politik besonders bevor es noch die Grünen gegeben hat erlebt habe. Und zwar aus der Froschperspektive sozialistischer demokratischer Studentenorganisationen in den 60er Jahren. Mag sein, dass es ein Fehler war, sich nie direkt einzubringen, weil eben viele in der SPÖ links begonnen haben, aber von dem Linken wenig geblieben ist. Manchmal verkehrte es sich sogar ins Gegenteil, wenn ich an Minister Schlögel oder den Beamten Matzka denke Mir haben Bürgerinitiativen, NGOs verschiedenster Art oder kritische Projekte aber nicht nur mehr Spaß gemacht, sondern ich hatte auch das Gefühl, dass da letztendlich mehr bewegbar ist. Bei allen Grenzen der Notwendigkeit der formellen Politik ist die Umsetzung oft schwierig. Jahrelang war ich stellvertretender oder erster Vorsitzender der kleinen sozialdemokratischen Fraktion der Beschäftigten in der Arbeiterkammer nicht zu verwechseln mit der großen, in der Haberzettel Vorsitzender ist.

War es für dich als Kind abschreckend, mit einem Politiker zu leben?



Nein! Weil mein Vater ja lebenslänglich hoch engagiert war. Daher habe ich einen starken Impetus. Ich erlebte oder vermutete auch bei anderen ähnliches Engagement, aber viele waren mir zu konfliktscheu, zu wenig auf inhaltliche Substanz aus. Selbst wenn ich, was ab und zu der Fall war, auch öffentlich im Konflikt mit meinem Vater war nicht nur als Person, sondern mit Initiativen, Gruppen, Strömungen , war fast immer sein grundsätzliches Engagement sichtbar und nicht so diese Leisetreterei, diese Überanpassung, dieses Ja nichts riskieren. Das habe ich bei ihm kaum erlebt. Obwohl das aus seiner Rolle heraus nicht einfach war, weil er ja zum Glück in einem relativ demokratischen Land nicht als Alleinherrscher agieren konnte und natürlich auch nicht wollte. Und sehr wohl abhängig war von Meinungsbildungen, Gruppen, inner- und außerparteilichen Kräfteverhältnissen.

Glaubst du, dass Exil und Emigration eine große Rolle spielten, dass er sich so stark seine eigene politische Meinung bildete?

Mein Vater befand sich in der Mitte der Zwischenkriegs-Sozialdemokratie, er bezeichnete sich als Zentrist. Das war eine lebensgefährlich exponierte Aktivität, wenn auch noch nicht vergleichbar mit den Risken der Nazizeit, aber schon in der Dollfuß-Schuschnigg-Zeit und zum Teil auch schon davor, gab es, was viele gar nicht wissen, auf der Universität Tote. Unter dem Schlachtruf der militanten Burschenschafter: Juden und Sozialisten raus aus der Universität! Einen abgeschwächten Nachhall davon erlebte ich noch in den frühen 60er Jahren rund um Borodajkewycz und dieser sehr eingefrorenen, antidemokratischen Grundhaltung der meisten Studenten und Hochschullehrer bis Mitte oder Ende 1960. Da konnte ich schon erahnen, wie die Verhältnisse in der Zwischenkriegszeit waren. Insofern war mein Vater mit diesem tiefen Engagement in gewisser Weise eine Leitfigur, aber es gab immer wiederkehrende inhaltliche, zum Teil auch generationenbedingte Konflikte. Plus Erfahrungen aus dem tiefen Versagen der staatskommunistischen Parteien und dem der meisten sozialdemokatischen Parteien. Letztere waren nicht so direkt mörderisch, aber doch indirekt für viele Fehlentwicklungen zwischen den beiden Kriegen und danach verantwortlich. Die dritte Welt war ein schwaches Thema bei den Sozialdemokraten; teilweise vertraten sie eine alte oder Neo-Kolonialpolitik. Karl Blecha und Rainer Holzinger, ein Eisenbahntechniker im Verkehrsministerium, initiierten Ende der 50er Jahre eine Solidaritätsinitiative mit der Befreiungsbewegung in Algerien, und ich bekam noch zu meiner Schülerzeit etwas davon mit. Ich war nie Kommunist, außer man geht vom Begriff des Bundes der Kommunisten aus, einem utopischen, demokratischen Sozialismus.



War deine Mutter ein politischer Mensch?



Nicht so sehr. Sie wurde in Schweden geboren. Ihre Eltern waren Zuwanderer aus Mitteleuropa nach dem Ersten Weltkrieg, aber keine Vertriebenen, sondern Wirtschaftsauswanderer. Sie war eine Liberale. Mein Vater erzählte, dass bei einer Wahl das Wahlhäuschen auf der anderen Seite eines Meeresarmes lag, von unserem gemieteten Sommerhäuschen aus gesehen. Mein Vater, der schon in Stockholm gewählt hatte, wo er beruflich tätig war, sagte zu meiner Mutter, sie müsse selber hinüberrudern, denn sie wollte von ihm aus Bequemlichkeit gerudert werden. Er meinte, na, also das müsse sie schon selber machen, wenn sie liberal gegen die Sozialdemokraten wählen wolle. Ich glaube schon, dass er in Schweden diese reifere demokratische Kultur kennen lernen konnte, die trotz harter Klassenauseinandersetzungen bis in die Gegenwart hinein besteht. Ich arbeitete kürzlich an einer Vergleichsstudie Österreich-Schweden mit, die auf Englisch in einem deutschen Verlag erschienen ist.



Welche Rolle spielte Olaf Palme?

Palme war in der Vietnam-Auseinandersetzung eine wichtige, symbolisch stützende Leitfigur innerhalb der Sozialdemokratie, weil er den Konflikt mit der damals wirkenden US-Administration voll riskiert hat. Es kam zur Androhung von Wirtschaftskrieg. Die diplomatischen Beziehungen sind von seiten der USA still gelegt worden. Ich habe einen Verdacht, auch ohne es beweisen zu können, dass Palmes Verhalten rund um die Befreiung von der Apartheid plus sein Versuch, mit Willy Brandt, der norwegischen Ministerpräsidentin Brundland, Mitterand und meinem Vater eine Art dritten Weg zu initiieren, zu seiner Ermordung führte.

Dieser erneuerte dritte Weg wird jetzt wieder spruchreif, und zwar zwischen einem staatsbürokratischen Sozialismus und einem rabiaten Kapitalismus. Für diesen dritten Weg sollten Selbstverwaltungs- und genossenschaftliche Strukturen eine große Bedeutung spielen. Es gibt gar nicht so schwache Ansätze dazu, etwa in Mexiko und in Spanien. Gar nicht unbedeutend sind auch die konsumgenossenschaftlichen Bewegungen und Kooperativen in der Schweiz, in Großbritannien, Italien und Skandinavien.



Versuchte der Vater, dich anzuleiten?

Mein Vater hat mich nie direkt angeleitet oder gedrängt, wir spürten beide Irritation. Die sozialistischen Mittelschüler waren damals ein linker Ausläufer der sozialdemokratischen Jugendbewegung der Zwischenkriegszeit, von Karl Blecha gegründet und als Alternative gegen diese ziemlich konservative Parteijugend gedacht. Mein Vater war noch Außenminister und nicht in der Innenpolitik, außer in Niederösterreich. Er wurde dann 1966 Oppositionsführer. Manche junge Linke nach unserer Generation waren halt manchmal naiv und etwas anfällig für spätstalinistische Losungen (lacht). Für uns ergab sich damals noch vor 1968 eine Annäherung an die frühen innerparteilichen KPÖ-Kritiker um Ernst Fischer. Mein Vater und ich, wir waren beide mit unseren jeweiligen Parteistrukturen mehr oder weniger unzufrieden. Es tat sich dann rund um 68 einiges, es sind auch Leute aus dem katholischen oder protestantischen Milieu wie Werner Vogt, Stefan Schulmeister, die Dantines oder Kurt Lüthi zu unserer überparteilichen radikaldemokratischen Bewegung gestoßen.

Aber er ließ dich deinen Weg suchen?

Es gab schon Konflikte und Druck, aber es war eine herausfordernde intellektuelle Auseinandersetzung, auch mit seiner Lebenserfahrung. Da bin ich ihm dankbar, manchmal hat es uns ziemlich eingebremst. Was er dann später bereut hat, denn er hätte sich mehr kritische, radikale Impulse im Sinne von basisdemokratischer, basissozialististischer Erwiderung der Androschisierung gewünscht dieser gemäßigt neoliberalen, bürgerlichen, technokratischen Konturlosigkeit, dieser Doppelanpassung in Richtung Rechtspopulismus und Neoliberalismus. Sich inhaltlich weder eine Auseinandersetzung mit dem neuen Rechtsradikalismus und Rechtspopulismus noch mit dem Neoliberalismus zuzutrauen, das ist bis heute das Dilemma. Dieses Doppeldilemma, das Dilemma schlechhin, zwischen diesen beiden objektiv gesehen oft verbundenen demokratiepolitischen und sozialpolitischen Gefahren. Diesen beiden Hauptströmungen, die nicht so gegensätzlich sind, wie uns manche glauben machen wollen. Sie sind nicht identisch, das wäre übertrieben, aber

Jörg Haider versuchte beides zu verbinden, das ist ihm nicht geglückt. Neoliberalismus mit einer Art National-Kapitalismus, angelehnt an das schaffende und raffende Kapital der Nazis. Zuerst quasi deutsch, dann hat er den Chauvinismus auf Österreich umgemünzt, er hat die österreichische Nation als Missgeburt bezeichnet. Als Haider sah, das kommt bei einer großen Mehrheit der Bevölkerung nicht an, hat er dann eine Art rabiaten Österreich-Chauvinismus kreiert. Diese beiden Milieus oder Ideologien und Tendenzen wirken tief in die Sozialdemokratie und in die ÖVP hinein. Ohne klarere experimentierfreudige basisdemokratische Institutionen, Szenarien oder Optionen zu entwickeln, wird die Sozialdemokratie zerrieben. Auch exkommunistische Parteien wie in Italien sind zwischen diesen beiden demokratiegefährdenden Polen zerrieben worden. Die nötige Kombination von sanfter Kulturrevolution plus Umwälzung der sozialökonomischen Verhältnisse braucht viel Zeit. Da kann man immer noch einiges aus Skandinavien lernen, manches auch aus den 70er Jahren in Österreich. Es gab wechselseitige Anleihen, das rote Wien war für skandinavische Reformpolitik in den 30er Jahren ein wichtiger Impuls, umgekehrt war dann wieder ab 1945 Skandinavien ein Vorbild für die zentraleuropäische Arbeiterbewegung. Weniger Vormundschaft, mehr Selbsttätigkeit, eine Mischung aus progressiver Reformpolitik von oben und Politik von unten, durch die Menschen selber, sozusagen ein Wechselspiel wäre die Idealkonstellation. Das geht natürlich nie reibungslos.