Wir und ihrDichter Innenteil

Manchmal könnte ich explodieren vor Wut, vor Hass, vor Trauer.

 

Manchmal lässt sie mich erstarren. Verzweifeln.

 

Ich will mich verstecken, unsichtbar machen. Gleichzeitig gesehen werden. Und gehört.

Keine Angst haben müssen, wenn ich meinen Mut zusammenreiße, um zu sprechen. Zu erzählen. Von meinen Erfahrungen. Meinen Gefühlen.

 

Ihr habt keine Ahnung, was das bedeutet.

 

Für uns Kinder aus Ländern, die auf Arbeitsmigration angewiesen sind, ist es Normalität, wenn Eltern nicht zusammenleben oder Kinder komplett ohne Eltern aufwachsen. Was euch dazu als Erstes einfällt, ist die Fernbeziehung unserer Eltern in Frage zu stellen. Warum die überhaupt zusammen sind, wenn sie sich eh nie sehen. «Die lieben sich doch nicht.» «Das ist doch nur eine Zweckehe.»

 

Aber das ist ja noch das Harmloseste. Ankotzen tut’s mich trotzdem.

 

Jahrzehntelang haben wir unsere Traumata hinuntergeschluckt und uns eurer «Normalität» angepasst, wo unser Schmerz keinen Platz hatte. Ihr wolltet nichts von unseren Verletzungen wissen, die ihr und eure Vorfahren uns angetan habt – sei es aktiv oder durch Schweigen, Nichtstun, Wegsehen.

 

Um hier überleben zu können, verlangt ihr von uns, unsere Vergangenheit auszulöschen. Ihr sagt es zwar nicht – und geilt euch ab und zu an unserer «Exotik» auf, wenn es euch gerade passt – aber unser Dasein wird nie von euch als gleichwertig betrachtet.

 

Ihr sagt, es kann ja nicht einfach jeder hierherkommen und hinterfragt nie, warum ihr mehr ein Recht habt, hier zu sein, als wir – wenn ihr doch nichts dazu beigetragen habt, als hier geboren zu werden.

Und weiß zu sein.

 

Es gibt ein Wir und ein Ihr. Ihr wollt diese Unterschiede nicht anerkennen, damit ihr unsere Erfahrungen weiterhin ungültig machen könnt. Alles was ihr nicht seht, alles was ihr nicht erleben müsst, existiert für euch nicht. «Ich sehe keine Unterschiede» und «Ich sehe keinen Rassismus» bedeutet nichts anderes als: «Ich will mir meine Privilegien nicht nehmen lassen.» Und: «Das ist schon ok, wenn du anders behandelt wirst.»

Warum es ok für dich ist, wenn ich anders behandelt werde, ersparst du dir zu Ende zu denken. Komm, ich schreib’s für dich auf:

 

Weil ich nicht weiß bin.