Wirf den Kopierer anArtistin

Zeitschriften selber machen? Das tun Künstler_innen spätestens seit der Moderne. Das Genre der «Zines» wird trotz digitalem Zeitalter immer beliebter. Im Mai laden Deniz Güvensoy und Deniz Beşer in die Nordbahnhalle zur Fanzineist Vienna. Christian Egger hat mit ihnen gesprochen. Illustration: Silke Müller

Dadaist_innen, Situationist_innen, Expressionist_innen – historisch gesehen gab es keine künstlerische Avantgardebewegung, die nicht auch selbstgemachte Publikationen in kleiner Auflage herausgab. Bei «Fanzines», in der Kurzform «Zines», handelt es sich um kleine Zeitschriften oder Büchlein mit geringer Auflage, mit keinem bis wenig Geld im Eigenverlag selbst geschrieben, bebildert, gebastelt, vervielfältigt, welche von Literatur über Filme, Science Fiction, Kunst und Musik, bis hin zu Sex, Hobbys und Politik, je nach Herausgeber_innen-Laune oder seltener Vorliebe die unterschiedlichsten Felder und Formate behandeln können. Von Fans für Fans gemacht, so der Ursprung des Begriffs aus dem Englischen, bei dem auch mitschwingt, dass es sich nicht um kommerzielle Veröffentlichungen handelt, sondern um ein subkulturelles Phänomen. Stets waren solche Publikationen wichtige Mittel für Ausdruck und Agitation.

Do-it-yourself in Wien. Mit der Verbreitung erschwinglicher Kopiermaschinen Mitte der 1970er-Jahre erlebte das Format Zine einen Höhenflug, der sich hervorragend mit der zu dieser Zeit aufkommenden Do-it-yourself-Philosophie der Punkbewegung kurzschloss.
Auch Wien beheimatete über die Jahre ein große Anzahl an unterschiedlichsten, passioniert hergestellten Kleinodien zum kleinen Preis: Das musiklastige Der Gürtel, das literarisch experimentelle Das Fröhliche Wohnzimmer, das künstlerische Artfan, das schon früh cyberspace-affine Monochrom, die sympathischen und dieser Tage ihr zwanzigjähriges Bestehen feiernden Murmel Comics, Stefanie Sargnagels Extrem deprimierende Zines oder das aus dem Fernsehen bekannte Rokko’s Adventures. Vertrieben wurden und werden die Zines bei der jeweiligen Release-Party anlässlich neuer Ausgaben, über Kunstbuch-Shops, über Freund_innen, bei Vernissagen, durch Gratis-Verteilung und andere formelle und informelle Kanäle.
Zu Beginn dieses Jahrtausends entwickelten sich erste Messen, die die Vielfalt der selbstverlegerischen Praxis auf niederschwellige Weise einer Öffentlichkeit präsentierten. Nach mehreren Ausgaben der Messe Zine*Fair in der Kunsthalle Wien, mittlerweile sehr etablierten Formaten wie Friends with Books oder Miss Read in Berlin, hat mit der Fanzineist Vienna ein ursprünglich in Istanbul beheimatetes Projekt Ende Mai in der Wiener Nordbahnhalle seine Premiere. Im AUGUSTIN-Gespräch erzählen die beiden Organisator_innen Deniz Güvensoy und Deniz Beşer über Ziele und Hintergründe der Messe.
Was ist die Geschichte der Fanzineist?
Deniz Beşer: Fanzineist wurde 2016 zum ersten Mal als Zine Festival (Independent Publishing Festival) organisiert. Als erstes unabhängiges Verlagsfestival von Istanbul wurde es zu einem wichtigen internationalen Treff- und Anziehungspunkt. Es war eine Low-Budget-Non-Profit-Organisation, die Zine Culture verbreiten und einen interkulturellen Dialog zwischen Zine-, Artbook-Macher_innen, Künstler_innen und Sammler_innen schaffen sollte. Bei unserer ersten Ausgabe im Jahr 2016 empfingen wir mehr als 80 Künstler_innen und Filmschaffende aus Spanien, Schweden, Griechenland, Österreich, Bulgarien, Italien und der Türkei. 2017 waren es bereits mehr als 135 Teilnehmer_innen aus 10 verschiedenen Ländern. In der Presse stieß das auf großes Interesse, und über 1000 Menschen besuchten die Messe. Es war eine Herausforderung, ein so großes Unterfangen ohne Budget zu stemmen. Ganz allgemein ist es wirklich schwer, Unterstützung und Sponsoren dafür in Istanbul zu finden.
Wie viele Teilnehmer_innen erwartet ihr für die Fanzineist Vienna?
Deniz Güvensoy: Bisher haben sich über 45 Verlage aus vielen verschiedenen Ländern beworben. Wir freuen uns sehr, dass wir so viele internationale Teilnehmer_innen haben, nicht nur aus Europa, sondern auch aus Übersee.
Deniz Beşer: Die Vielfalt der sexuellen, ethnischen, kulturellen, nationalen, sozialen, politischen Orientierungen, Sprachen, künstlerischen Formen und Visionen wird auf der Fanzineist Vienna sichtbar sein. Jede einzelne Künstler_in und Verleger_in ist für uns etwas Besonderes. Sie produzieren einzigartige Publikationen, die uns überraschen.
Warum gibt es trotz der Vielzahl an Kommunikationsmöglichkeiten der digitalen Kultur ein sich stets erneuerndes Interesse an Self-Publishing und Fanzine-Produktion?
Deniz Güvensoy: Ich kann nicht einschätzen, ob das Interesse an Eigenveröffentlichung neu ist oder zunimmt. Das Self-Publishing hatte auch vor dem digitalen Zeitalter seinen Platz in der Kultur, aber vielleicht war das nicht so sichtbar, weil globalisierte Informationstools nicht so verbreitet waren. Im Gegensatz zur allgemeinen Annahme glaube ich, dass die Digitalisierung einen positiven Effekt auf analoge, unabhängige Veröffentlichungsmethoden hat, weil sie ihren Bekanntheitsgrad erhöht. Heute nutzen alle Verlage Social Media, um sich selbst zu bewerben, und du kannst Informationen zu allen Kunstbüchern und Zine-Events aus aller Welt erhalten.
Deniz Beşer: Manche Menschen haben eine bestimmte Verbindung und Leidenschaft für gedruckte Materialien. Und ich kann dieses Gefühl total verstehen. Dieses Analoge bedeutet uns weiterhin eine Art Rebellion in der digitalen Ära.
Für Leute, die noch nie eine Fanzine-Messe besucht haben: Was erwartet sie?
Deniz Güvensoy: Nun, es wird wirklich viel zu sehen geben. Unsere Messe umfasst nicht nur Zines, sondern eben auch Künstlerbücher. Ein Künstlerbuch ist nicht nur ein Buch über Kunst. Es ist eine Originalveröffentlichung, die eine limitierte Auflage hat und von Künstler_innen entworfen, hergestellt und reproduziert wird. Es kann als Kunstwerk in Form eines Buches betrachtet werden. Zines sind allgemeiner, sie können von jedem produziert werden, der sich Künstler_in nennt oder auch nicht, und es kann sich um alles handeln. Ein Zine ist eine Publikation, die unabhängig von herkömmlichen Mainstream-Verlagen produziert wird.
Was macht Self-Publishing für viele Künstler_innen so interessant?
Deniz Güvensoy: Als Künstler mag ich an Künstlerbüchern wirklich ihre «Portabilität». Als Teenager hatte ich viele Skizzenbücher, in denen ich gemalt, geschrieben, meine Gefühle und Ideen geteilt habe. Ein eigenes Buch zu erstellen ist weitaus emanzipativer als die Präsentation großformatiger Kunstwerke in einem herkömmlichen Galerieraum. Du kannst es überall hin mitnehmen und es so vielen Menschen zeigen.
Gibt’s Stereotypen der Fanzine-Kultur, die ihr für nicht zutreffend haltet?
Deniz Beşer: Einige Leute denken, dass Zines nur ein Werkzeug sind, aber meiner Meinung nach haben Zines mehr Bedeutung. Sie sind Medium meiner Kunstpraxis, weil ihre Form sehr flexibel ist. Als Fotokopiematerial ist ein Zine billig und leicht herzustellen, besteht dabei aber aus reichhaltigem Inhalt.
Neben der Möglichkeit, Verleger_innen zu treffen und ihre Zines zu kaufen, was bietet die Fanzineist Vienna noch?
Deniz Güvensoy: Wir werden eine Reihe von Vorträgen zum Thema Independent Publishing anbieten. Wir stellen zudem Künstlerbücher und Zines aus, die wir von Künstler_innen erhalten haben, die nicht an der Messe teilnehmen können. Und es gibt Performances, Filmvorführungen, Workshops und auch DJs.
Eine letzte Nachricht an die Leser_innen des AUGUSTIN?
Deniz Güvensoy & Deniz Beşer: In art books and zines we trust!

Fanzineist Vienna
24.–26. Mai, Fr, 14–22 Uhr, Sa, 12–21 Uhr,
So, 12–19 Uhr
Nordbahnhalle, 2., Leystraße 157/Ecke Taborstraße
fanzineist.com

Christian Egger ist Mitherausgeber des Art-Fanzines ztscrpt; www.ztscrpt.net

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