Wirtschaftskrise macht erfinderischtun & lassen

Tauschsysteme anderswo

In Argentinien erfreut sich eine neue Art der Markterfahrung, die sogenannten „Knoten“, zunehmender Beliebtheit. Im Mittelpunkt steht dabei der Austausch. Banknoten und Geldmünzen werden durch Gutscheine ersetzt. Viele Argentinier können sich nun dank dieser Handelseinrichtungen eine neue Existenzgrundlage aufbauen, bei der kein Geld mehr zirkuliert. Tausende Familien sind bereits mit den auf Solidarität basierenden „Knoten“ (wie in Argentinien diese Art von Tauschkreisen genannt werden) verbunden. Dank des „Knotens“ können sich arme Familien wieder ihre Kühlschränke füllen.Tauschkreise – also Gruppen von Menschen, die versuchen, ausserhalb der Geldökonomie Waren und Dienstleistungen anzubieten und nachzufragen – gibt es auch in Österreich; der AUGUSTIN berichtete wiederholt. Theoretisch ist das Tauschssystem für Habenichtse eine geniale Alternativwirtschaft: Weil es im Prinzip keinen Menschen gibt, der nicht in irgendeinem Alltags- und Lebensbereich talentiert ist, kann im Prinzip jede(r) etwas in den Tauschring einbringen – und kriegt was dafür. Wer mit einem Einkommen unterhalb des Existenzminimums auskommen muss, für den kann die Teilnahme an einem Tauschkreis ein Überlebensmittel sein. Das macht den sozialen Aspekt des Tausch-Modells aus.

In Österreich bleibt der soziale Aspekt im Hintergrund. In den bestehenden österreichischen Tauschringen trifft man auf Menschen, die das Tauschen eher als interessantes Gesellschaftsspiel oder als kommunikatives Experiment im Stadtteil betrachten; die Mitglieder sind in der Regel Menschen, die auch in der „normalen“ Geldökonomie durchaus nicht untergehen; Arbeitslose sind unterrepräsentiert. Wer will, kann daraus eine Zielgruppenverfehlung der österreichischen Tauschbewegung ableiten (siehe dazu AUGUSTIN Nr. 38, „Tauschen statt bezahlen – Nur Spaß an der Freud‘?“).

Die argentinische Wirtschaftspolitik hat „günstige“ Bedingungen dafür hergestellt, dass in Tauschbewegung, anders als hierzulande, der soziale Aspekt von vornherein im Mittelpunkt steht. Das Land befindet sich in einer tiefen Wirtschaftskrise. Das Wort „früher“ hat in Argentinien, das am Ende des Zweiten Weltkriegs reicher war als manche europäischen Länder, einen wehmütigen Klang. 10,3 Millionen ArbeiterInnen verdienen nicht mehr als 880 Dollar im Monat, während die Minimalausgaben einer Durchschnittsfamilie (Eltern und zwei Kinder im schulfähigen Alter) bei 1032 Dollar liegen.

Wenn der Staat und die Wirtschaft die Existenz nicht sichert, kann selbstorganisiertes Tauschen helfen. Bereits 82 solcher „Knoten“ im sozialen Wirtschaftsnetz für Produktion, Arbeit und Austausch sind inzwischen in Argentinien entstanden. Bei einer Arbeitslosenquote von 15 Prozent und einer Quote von mehr als 48 Prozent der wirtschaftlich aktiven Bevölkerung im informellen (Schattenwirtschafts-)Sektor stellt das Netzwerk für viele eine echte ökonomische Alternative dar.

Gegründet wurde die Initiative vor vier Jahren. Damals entschieden die Arbeiter der Textilfabrik „La Bernalesa“, sie nach ihrer Schließung in den ersten „Knoten“ zu verwandeln. Der Grundsatz des Projektes: „Die Gegenseitigkeit und die Vergütung von Waren und Dienstleistungen zwischen den Mitgliedern im Rahmen einer gemeinschaftlichen Sache zu fördern.“ Heute ist das damalige Pionierprojekt Teil eines weltweiten Netzes, das neben Argentinien auch Spanien, Italien, Belgien, Frankreich, Finnland und Uruguay umspannt.

Personen, die dem Wirtschaftsnetz beitreten, erhalten den Status von „Prosumenten“, da sie sowohl Produzenten von Waren oder Dienstleistungen, als auch Konsumenten derselben sind. Für den Tauschhandel werden Gutscheine eingesetzt, sogenannte „Kredite“, deren Wert von der Ware oder Dienstleistung abhängt. Ein neues Mitglied muß 50 Centavos (etwa sechs Schilling) einzahlen. Dafür erhält man das Recht auf Mitgliedschaft im „Knoten“.

Auch in der argentinischen Mittelschicht hat diese Art des Tauschgeschäftes voll eingeschlagen. Insbesondere in diesem Milieu haben die Massenentlassungen der letzten Jahren sowohl im öffentlichen Dienst als auch in der Industrie zu erheblichen Einkommensminderungen geführt. Auch Kleinunternehmer mußten reihenweise ihre Läden schließen. Heute nehmen viele von ihnen die „Kredite“ im Tausch für Dienstleistungen an: Auch Zahnärzte und Lehrer sind darunter.

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