Witz als Waffe im Kerker des HumorsArtistin

Anstiftungen zum Wiederentdecken von Karl Kraus, Teil 5

Witz ohne Ernst ist nur ein Niesen des Verstandes.Heinrich Heine

Aus allen Winkeln des Lebens muss ihm der Humor zuströmen, den er nicht hat, und er würde selbst die Zündholzschachtel verschmähen, die nicht einen Witz auf ihrem Deckblatt führte.

Karl Kraus

Er beneidet den Humor des Andern, wie ein junger Grind die alte Krätze.

Karl Kraus

Es gibt kaum humorlosere Schriftsteller als Karl Kraus, und kaum witzigere. Witzig bezieht sich hierbei nicht auf die Erzählform des Witzes, der sich ja meist der Domäne des Humors unterwirft, sondern bezeichnet darin gleicht er dem Humor eine Qualität, die man hat oder nicht; deren Muskeln im geistigen Kampf gegen das Bestehende wuchsen, während der Humor sein Fleisch infolge maßloser Digestion sozialer Bestätigung ansetzte.

Witz ist heute vom Aussterben bedroht, wohingegen der Humor als Heilmittel und Suchtdroge die Trostlosen bei Laune hält, als kulturindustriell vermittelter Leerlauf der Lustigkeit über die Konsumenten triumphiert. Dem humorigen Menschen mag einer mit Witz wie ein Wesen von einem anderen Stern erscheinen, Wo ist die Pointe? wird er ihm entgegenschreien, betrogen um die unmittelbare Befriedigung eines vegetativen Bedürfnisses, nachdem er dem Witz die glanzvolle Haut vom Fleisch gerissen hat, weil er diese mit der Plastikfolie verwechselte, in der er seinen Supermarktspeck zu kaufen gewohnt ist.

Die Redewendung Ein Mann, eine Frau von Witz zu sein ist die wortwörtliche Übersetzung des angelsächsischen wit, der im 18. Jahrhundert noch Scharfsinn, die Fähigkeit, etwas geistreich auf den Punkt zu bringen, bezeichnet. Dass Verstand, die Lust an Paradox und Sprachspiel, und nicht nur das Ausrutschen auf einer Banane zum Lachen reizen können, ist jedoch kein historisches Unikum, sondern wird stets aufs Neue von aufgeweckten Kindern bewiesen, ehe sie sich Identitäten downloaden. Kinder, schrieb Kraus, erfassen noch diese wortbildnerische Gelegenheit, erleben die schöne Sprachnähe und Sprechentferntheit; wenn sie nicht zufällig in Berlin geboren sind, wo die Jugend schnell fertig ist mit dem Wort, nachdem sie wie dieses als Fertigware zur Welt gekommen ist.

Wit & Smartness

Im Britannien des 18. Jahrhundert, wo die bürgerliche Gesellschaft am fortgeschrittensten ist, sich jedoch noch stärker in Tuchfühlung mit den unteren Klassen befindet als anderswo, wo sich besonders Archaisches mit besonders Modernem, keltische Phantasmagorie mit englischem Pragmatismus, der facettenreiche Sprachwitz des Volkes mit den Abstraktionen aufgeklärten Geistes mischt und das Geschwollene nie sehr hoch im Kurs stand, gibt es noch die Bewunderung für den character, der kreativ und sarkastisch mit Sprache spielt, ehe diese Fähigkeit in die Platitüden des Dandys abflacht und auch Individualität zur Warenform eingeschliffen wird. Die Meister des wits heißen Alexander Pope und Jonathan Swift. Der anglophile Georg Christoph Lichtenberg hat diesen wit nach Deutschland importiert, er gedieh aber nur in seinem Gärtlein wirklich. In England sollte ein Jahrhundert später Oscar Wilde den wit zu bisher ungeahnter Eleganz polieren. Ein Mann übrigens, dem Karl Kraus viel verdankt, vor allem, dass sein eigener Witz neben donnerndem Hohn- und Rachepathos auch immer wieder Leichtigkeit und Smartness erkennen lässt. Smart ist eine treffende Bezeichnung für Karl Kraus gesamten Gestus, er verweist auf die Doppelbedeutung von wit zurück, der seine ethische Souveränität, damit er den Moralisten nicht schmeckt, immer auch mit einem Schuss frivoler Décadence legiert.

Der gesellschaftliche Konsens der Lustigen

Einer allgemeinen Auffassung zufolge sei der Humor versöhnlich, Witz unversöhnlich, der Humor kommunikativ, Witz elitär oder gar dominant. Es lässt sich nicht schwer erraten, welcher Form der psychologisierende Alltagsverstand seine Gunst zuspricht. Doch man kann das Pferd auch von vorne aufzäumen: Was, wenn die Kommunikation selbst schon verseucht ist, der Konsens der Lustigen untereinander den Konsens mit der Welt, so wie sie schlechterdings ist, spiegelt und Versöhnlichkeit Feigheit vor Verhältnissen bedeutet, mit denen man gar nie zerstritten war, weil sie einen eh nicht zu fragen brauchten.

Demnach verfolgt Witz selbst in seiner unpolitischsten Form, bei seinen absurdesten Luftsprüngen ein Erkenntnisinteresse, reizt und bricht sozialen Konsens, während Humor diesen auf Biegen und Brechen festigt. Ersterer gedeiht nur in der Sprache, Letzterer dressiert diese wie ein Varietépferdchen, damit sie Lustigkeit durch den Zirkussand schleife; der Witz fängt an, wo einem das Lachen vergeht, der Humor lacht trotzdem. Witz strebt nach Reife, auch wenn er sich infantil gebärdet Humor nach der verbindlichen Wärme von Mamas Fruchtblase. Witz mag undemokratisch wirken, doch während Humor ein Brei ist, der in jedem Sautrog schmeckt, lässt der Witz zumindest jene klugen Schweine aufhorchen, die sich noch ein Leben außerhalb des Stalls vorstellen können.

Kritischer Witz geht den Verhältnissen ans Leder, Humor glättet dieses. Humor stiftet Behaglichkeit und Einverständnis. Und scheitert tragisch, wenn er kritisch sein will. Nicht weil er die Form verfehlt hat das setzt Wahlmöglichkeit voraus , sondern weil er bereits aus vorgestanzten Formschablonen kräht.

In der so genannten deutschen Spaßkultur und dem österreichischen Kabarett zeigt sich all das deutlich. Man braucht gar nicht überheblich auf das bedrohliche Massenwiehern bei Faschingshappenings hinuntersehen, setzen wir ruhig in den eigenen Kreisen an, beim amorph linksliberalen Bildungskleinbürgertum, wenn etwa Studentenschnösel mit ewigen Stimmbruchstimmen Wie Mondy Beitns, wie Monty Beitns krächzen, wenn Studienabbrecher und humanistisch gebildete Abteilungsleiter in dämonischem Einverständnis kichern, sobald ihr Lieblingsabteilungsleiter, Harald Schmidt, mit föhngetrocknetem Zynismus ethische Tabus bricht, die längst nicht mehr verbindlich sind, oder seit 20 Jahren der ewig gleiche bizarre Insiderschmäh verwöhnter alternder Bubis wie Grisseman & Sterman, die ihre Fans eigentlich nur noch angähnen, diese aber treu ergeben zurückgähnen und schließlich der kritische Kabarettismus von Hader und Dorfer, der bereits zwei Mittelschullehrergenerationen mit ihrer eigenen Anpassung versöhnt.

Das Kabarett ist und bleibt Konsens- und Konsumkunst. Selbst die Publikumsbeschimpfung (von Josef Hader mit rührendem katholischen Masochismus praktiziert) ist Teil der kollektiven Katharsis, ist negative Absolution; das Jammern der so genannten kritischen Kabarettisten über das unverständige Publikum im besten Fall heuchlerisch, denn sein Unverstand ist die logische Bedingung der Verständigung zwischen ihm und dem Entertainer. Sogar das angeblich seichte Simpl-Kabarett der 50er-, 60er Jahre entwickelte gerade dort, wo es dezidiert unpolitisch war, mehr Erkenntnis durch Wortwitz als das zeitgenössische.

Pointierter Witz sperrt sich dem schnellen Konsum, er zwingt zum Gedanken, in ihm rettet sich die Idee von Individualität und bringt jene gegen sich auf, denen Individualität genommen wurde. Er hält den Mob in Schach, Humor sammelt diesen in Krisenzeiten zu trostloser Lustigkeit, ehe er ungemütlich wird. Mit feinstem Sensorium für Massenpsychologie und in hunderten Nuancen zeigt Karl Kraus in den Letzten Tagen der Menschheit das Umschlagen von kollektiver Heiterkeit in nationalistischen Korpsgeist, von weinseliger Sentimentalität in schweinselige Bestialität. Interessant, dass bei den Interpretationen der Krausschen Straßen- und Heurigenszenen durch Helmut Qualtinger, jenen genialen Verbindungsoffizier von Satire und Kabarett, immer auch ein identifikatorisches Moment mitschwingt, allein durch Gestik und Intonierung, hinter der sarkastischen Anklage immer auch ein verbindliches So samma halt, wir Weana schwärt Qualtinger also die Satire unabsichtlich an den Humor verrät.

Versöhnung von Witz und Humor zur effektiveren Unversöhnlichkeit

Aber müssen Witz und Humor zwingend einen Antagonismus bilden, ein lineares Kontinuum, auf dessen einem Ende einsam der messerscharfe, schartige Witz thront, dessen anderes Ende sich im Sumpf sozialer Verbindlichkeit verliert? Denn die klinische Trennung von Humor und Witz, wie sie vor allem von Denkern in Folge der Kritischen Theorie mit pfäffischer Apodiktik postuliert wird, verhärtet sich selbst zur Phrase, die gerne von jenen bemüht wird, denen es an beidem fehlt. Denn Kraus macht sie nie. Er selbst schreibt meist von Humor, dem Verständnis Jean Pauls folgend, dass Humor das umgekehrte Erhabene sei. Und gönnt sich diesen bisweilen als privates Vergnügen und Verschnaufpause seines kritischen Witzes. Es gibt keine Beweise bei Kraus, dass er Humor von Vorneherein verwerflich fände, dass versöhnliche Komik, Unterhaltung nicht sein dürften, so sie phantasie- und lustvoll Denk- und Fühlgewohnheiten provozieren und somit zur Stärkung von sinnender und sinnlicher Persönlichkeit beitragen. Ein Grund, warum ein Humorist aus Kraus Tagen, Karl Valentin, oder einer unserer Tage, Max Goldt, sich schwer in die Spaßgesellschaft eingemeinden lassen.

Die höchste Kunst nämlich ist die Verschränkung von Humor und Witz, Trivialem und Tiefsinn, und sei es nur, um die lästigen Phrasendrescher und Denkfaulen unter den Humorhassern und Witzapologeten abzuschütteln. Humor ist ein probates Schmiermittel, um den kritischen Witz ins Bewusstsein flutschen zu lassen, wo er dann seine Widerhaken ausfahren kann. Jemand, der diese Technik zur Meisterschaft brachte und von Kraus als erstem gewürdigt und wohl einzigem verstanden wurde, war Johann Nestroy. Kraus verachtete den Wiener Hamur, weil er durchaus um sein Potenzial wusste, das ihn weit über den deutschen Geist hätte stellen können und einzig von Nestroy eingelöst wurde. Dass die Wiener Nestroy zum Volksdichter verharmlosten, weiß heute bald jemand. Doch das linke deutsche Theater missversteht ihn ebenfalls, wenn es ihm durch verkrampfte Brecht-Imitate das unvergleichliche Legato seines mehrbödigen Witzes ausprügelt.

Kraus setzte sich dafür ein, dass der vernichtende Humor des hinter dem Dialekt der Harmlosigkeit, hinter Gesang und selbst trivialsten Vorwänden verkappten Satirikers, der bis heute der größte in deutscher Sprache ist, wiewohl ihn die dümmsten Menschen der Erde, nämlich die deutschen Literaturhistoriker, nur als Possenschreiber registrieren dass also dieser beste Humor der deutschen Sprache keiner Zeit vorenthalten werden darf, weil in ihm die Kraft lebt, es mit jeder aufzunehmen und weil der ewige Witz der Lebensweisheit es nicht nötig hat, dem Ernst auszuweichen, den die Staatsweisheit zu Zeiten über die Menschen verhängt. Als Vorleser wagt es Kraus; einen Spaß, den das sittliche Bewusstsein erschuf und heute verantwortet, hörbar zu machen, und er scheut sich nicht, das Lachen bei Nestroy herauszufordern in Tagen, da sich das Publikum nicht scheut, von dem unleugbaren Ernst und von der behaupteten Größe der Zeit sich bei viehischen Operetten, in der Lektüre viehischer Witzblätter, im Anblick viehischer Ansichtskarten und im Genuss sonstiger scherzhafter Auffassungen der traurigsten Dinge zu erholen. So möge das Publikum, das sich gerne nachsagen lässt, es sei ein anderes und jeder von ihm ein anderer, sich des Lachens bei einem künstlerischen Anlass nicht schämen, der, wenns in der kulturell beglaubigten Welt mit rechten Dingen zuginge, mindestens so lange leben müsste, wie die Langeweile aller Zeit.

Und hier haben wir bereits den Grund, warum das österreichische Kabarett Nestroy niemals beerben kann. Nestroy verwendete Humor als Vorwand, um seinen Witz zu lancieren. Das kritische Kabarett indes verwendet gelegentlich Witz als Vorwand, um sich mit seinem Publikum in lauwarmem Humor zu verbiedern. Wenn überhaupt, dann reinkarniert Nestroys gesellschaftskritischer Witz in der amerikanischen Zeichentrickserie The Simpsons aber das ist eine andere Geschichte.

Richard Schuberth

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