Wo der Wein aus dem Zapfhahn kommtvorstadt

Die Nachbarländer sind wieder halbwegs zu bereisen. Auch die Slowakei, dieses so nahe, uns jedoch weitgehend fremde Land. Wir wollen etwas Licht ins Dunkel bringen, diesmal die Markthalle von Bratislava vorstellen.

Text und Fotos: Wenzel Müller

Tržnica – dieses slowakische Wort stellt für unsere Zunge einen wahren Stolperstein dar. Ein Konsonant nach dem anderen, ohne einen Vokal dazwischen, der für einen fließenden Übergang sorgen würde. Eine ganz ungewohnte Lautfolge.
Dabei handelt es sich hier um ein ganz gewöhnliches Wort. Tržnica, das ist übersetzt: die Markthalle. Und so, ohne nähere Bezeichnung, ohne weitere Ausschmückung, heißt sie auch, die Markthalle in Bratislava unweit des Zentrums. Ebenso schlicht wie der Name kommt das Gebäude daher. Innen eine Skelettkonstruktion, außen eine Spiegelfassade. Ein Bau aus realsozialistischen Zeiten, so wie auch das gegenüber liegende Kongresszentrum Istropolis, das mit seiner Betonung von Beton und Marmor architekturgeschichtlich dem Brutalismus zuzuordnen ist.
Markthallen sind nicht selten Tourist_innenattraktionen – man denke nur an die in Paris, dort wie in so manch anderer Stadt sind es imposante Gebäude, wo man das Notwendige, den Einkauf, mit dem Angenehmen, dem Flanieren, verbinden kann. Auch die Bratislavaer Markthalle hat ihren Reiz – ihren spezifisch spröden, funktionalistischen.
In der Mitte vor allem Obst- und Gemüsestände, während sich an den Seiten über zwei Stockwerke ein Geschäft an das andere reiht – und die bieten praktisch alles an. Süßwaren und Grabsteine, Textilien und Blumen, wobei die Blumen fast zur Gänze Plastikware sind. Nicht zu vergessen: auch ein Záložňa, ein Pfandhaus, gibt es hier.
Die Zeit scheint hier stehengeblieben zu sein, in der planwirtschaftlichen Ära. Kein Stress, die Verkäufer_innen nehmen es gemütlich. Eine ältere Textilverkäuferin ist ganz in die Lektüre ihrer Zeitschrift vertieft, unbekümmert um mögliche Kund_innen. Als ich den Gemüseverkäufer frage, ob ich ein Foto von ihm machen kann, willigt er sofort ein: Er nimmt eine Gurke in die Hand, hält sie wie ein Mikrofon vor seinen Mund und mimt einen Sänger. Für Späßchen ist immer Zeit. Dazu muss gesagt werden, dass mein Besuch in der Vor-Coronazeit war.
Die Slowakei war eines der Länder, die sogleich mit Beginn der Pandemie ihren Bürger_innen vorschrieben, nur mehr mit Schutzmaske auf die Straße zu treten. Und die hielten sich daran, im sicheren Wissen, dass sie im Krankheitsfall keine wirkliche Hilfe in den Spitälern erwarten dürften. Fast im gleichen Maße, wie die Regierungen unseres Nachbarstaates in den letzten Jahren ausländische Investor_innen hofierten, vernachlässigten sie ihr Gesundheitssystem.
Schon vor Corona war das Land also vom Neoliberalismus infiziert. Doch in der Markthalle, da weht der Geist von gestern. In der Vinothek kommt der Wein wie ehedem aus dem Zapfhahn. Abgefüllt wird er in Plastikflaschen, die die Kund_innen nach Möglichkeit selbst mitbringen sollen. Um die Ecke gibt es rýchle občerstvenie, schnelle Gerichte, so die wörtliche Übersetzung, Fast Food. Doch sind es alles andere als Hamburger, die hier angeboten werden. Es sind Salate, insbesondere Fischsalate. Wie Brimsen als typisch slowakische Spezialität gilt, so Fischsalat als typisch sozialistische. Sagt jedenfalls eine profunde Kennerin ihres Landes, Andrea Kocianová. Zehn Jahre lang hatte sie in leitender Position im Slowakischen Institut in Wien gearbeitet, nun ist sie in ihre Heimat zurückgekehrt.
Oben in der Markthalle steht ein Spielautomat neben dem anderen. Eingeschaltet, müssten sie für dauerndes Tuten und Dröhnen sorgen. Doch sie sind nicht eingeschaltet. Unbenutzt stehen sie in der Ecke. Dinge modernerer Art scheinen hier keine Chance zu haben.

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