Die «KUGA» – von der leeren Volksschule zum professionellen Kulturbetrieb
In Berlin wurde eine leerstehende Schule von Refugees «instandbesetzt», um sich gegen die Räumung eines Protestcamps zu wehren, in Athen, um eine Antwort auf die Wohnungsnot zu geben, und im burgenländischen Großwarasdorf/Veliki Borištof, weil eine Band einen Proberaum gesucht hat und ein paar Studierte kurz nach der Arenabesetzung aufs Land zurückgekommen sind. Joško Vlašich, Lehrer in Pension, Musiker, Radiomacher und Kulturarbeiter, war von der ersten Verhandlung mit dem Pfarrer bis zur Professionalisierung des Betriebs in der «KUGA» und hat Lisa Bolyos davon erzählt.Wie hat Großwarasdorf ausgesehen, als du hier aufgewachsen bist?
Ich bin 1950 geboren, am 9. 11., einem denkwürdigen Tag, dem Tag der Pogromnacht 1938 und dem Fall der Berliner Mauer 1989. Als ich hier die Volksschule besucht habe, war die noch einsprachig Kroatisch, Deutsch haben wir als Fremdsprache gelernt – so wie man heute Englisch lernt. Das Dorf war damals ein kleiner Mikrokosmos, in dem alles da war, was man zur Selbsterhaltung gebraucht hat. Man konnte überleben, ohne jemals rauszugehen! Heute hat sich das komplett verändert.
Du bist selber irgendwann rausgegangen.
Ich bin nach Wien gegangen, um Germanistik und Slawistik zu studieren und 1978 zurückgekommen, mit all dem im Hinterkopf, was man in einem siebenjährigen Studium in Wien so erleben konnte. Unter anderem die Arenabewegung, die Besetzung vom Schlachthof 1976, wo im Bereich von Kultur und Musik so viel stattgefunden hat. Ich bin als erster Gymnasiallehrer ins Dorf gekommen – der Herr Professor, der nicht ins Bild passt. Ich hatte damals schon meine Rockband Bruji. Und da kommen wir der Sache näher, denn wir haben einen Proberaum gebraucht.
Ihr habt nicht den Schlachthof besetzt, aber immerhin die Schule.
Das war keine Besetzung, sondern wie bei uns im Dorf üblich: Wir sind zum Pfarrer gegangen! Die ehemalige Volksschule stand leer, weil eine neue gebaut wurde. Das Gebäude gehörte der Kirche – ein Relikt aus der Zeit, als das Burgenland noch Teil von Ungarn war. Eine Weile war da ein katholischer Jugendclub drin, und im Zuge der Proberaumsuche haben wir gesagt: Super, den Raum nützen wir auch, es haben sich mehrere Leute gefunden, die daraus was machen wollten – so haben wir das Haus mehr oder weniger in Besitz genommen; sind zum Pfarrer gegangen, haben gesagt: Herr Pfarrer, das steht ja leer, und er hat es uns zur Verfügung gestellt.
Heute ist die «KUGA» ein ziemlich großes Kulturzentrum. Was war die Gründungsidee?
«Kuga», was für «kulturna zadruga» steht, heißt ja gleichzeitig Pest. Die Leute haben sich schon gefragt: Was wollen die da? Wir wollten ein bisschen Leben ins Dorf bringen. 1980 gab es hier den Fußballverein, die Feuerwehr und einen Kirchenchor – das war alles, was sich abgespielt hat. Wir wollten Räume, Möglichkeiten für Betätigung. Eine Sache war die Musik, eine zweite die Volksgruppendebatte, in die wir uns einmischen wollten. In den späten 70er- und den frühen 80er-Jahren hieß es mehr oder weniger: assimilieren oder archivieren. Das kann’s ja nicht sein! Es muss doch eine dritte Variante geben, nämlich ein mehrsprachiges und interkulturelles Leben. So ist es auch Teil der «KUGA»-Programmatik geworden, die vier Minderheitensprachen im Burgenland zu fördern. Und drittens hatten wir es einfach satt, für gute Veranstaltungen nach Wien fahren zu müssen.
War das Dorf hellauf begeistert von euren Plänen?
Die ärgsten Feinde – oder sagen wir, die ärgsten Zweifler – hatten wir im Dorf. Wir haben uns immer eingemischt in Themen wie Ökolandbau, Medien, Kultur, was ein Dorf halt so ausmacht. Die Frauen haben ein Fußballteam gegründet, wir haben viele Veranstaltungen gemacht, Ausstellungen, Kabarett, Musik, immer darauf achtend, dass wir dabei der Messe nicht in die Quere kommen. Das ging eine Weile gut. Aber dann, als wir einmal in der Karwoche ein Programm zur «Dritten Welt» gemacht haben – obwohl man meinen müsste, das passt thematisch gut –, schien der Rubikon plötzlich überschritten. Man hat begonnen, uns anzufeinden und alles zu unterstellen, was die Phantasie halt so hergibt: Wir nehmen Drogen, wir leben die freie Liebe und was weiß ich. 1987 bin ich zu Weihnachten nach Hause gekommen und hatte einen Brief von der Diözese im Postkasten: Bis 31. Dezember haben wir das Haus zu räumen. Beinhart. Also haben wir alle zusammengetrommelt und die Medien informiert: Die Kirche will die «KUGA» aus dem Haus schmeißen – Herbergssuche!
Und wurdet ihr geräumt?
Die Frist ist verstrichen, es kam nichts. Inzwischen begann bei uns die Diskussion über eine Professionalisierung. Es gab ein Förderprogramm vom Ministerium, über das wir die ersten zwei Leute anstellen konnten. Wir haben mit dem Renovieren begonnen – aber dazu war klar: Wir müssen das Haus sichern. Unser Ansuchen, es zu kaufen, hat nur Aufruhr erzeugt, nein, um Gottes willen!, aus dem Haus soll ein Kloster gemacht werden. Der Pfarrer aus einem der Nachbarorte hat sich scheinbar beim Bischof gegen uns ausgesprochen, da war nichts zu machen. Also haben wir begonnen, uns nach einem anderen Haus umzuschauen, haben aber nichts Leistbares gefunden. Nun, kommt Zeit, kommt Rat, stirbt der alte Bischof … So haben wir also dem neuen, Paul Iby, einen Besuch abgestattet. Ich hab viel von euch gehört, hat er gesagt, ihr seid ja sympathisch, was haben die Leute gegen euch? Hat uns mit dem Finanzbeauftragten in Verbindung gesetzt, und 1994 ist der Kauf über die Bühne gegangen.
Die «KUGA» wurde von einem kleinen, selbergemachten Kulturraum zu einem durchprofessionalisierten Haus – da muss es doch Konflikte gegeben haben?
Nachdem wir das Haus gekauft hatten, haben wir gesagt: Wir müssen ausbauen. Wie in der Landwirtschaft sozusagen! Wachsen oder weichen … Nach 1995 hatten wir Zugriff auf EU-Mittel und haben mit einer sehr hohen Förderung das ganze Haus ausgebaut.
Es gab auch viel Kritik, und zu Recht, denn es geht auch was verloren bei so einer Professionalisierung. Die basisdemokratischen Strukturen haben wir aufgegeben, es gab plötzlich einen Geschäftsführer – nämlich vorerst mich – und professionelle und ehrenamtliche Mitarbeiter. Da gab es schon Reibereien, aber es funktioniert auch gut.
Und wie gut funktioniert gelebte Mehrsprachigkeit?
Einerseits ist die Mehrsprachigkeit gesetzlich verankert, das heißt, im Kindergarten und in der Volksschule wird immer auch Kroatisch gesprochen. Eine Begleitung für Kinder, die zu Hause nicht Kroatisch lernen, gibt es leider nicht – anders als die Förderung zum Beispiel für Flüchtlingskinder, die hilft, intensiver Deutsch zu lernen und die Kinder gleichzeitig im Klassenverband lässt. In der Schule hier haben wir zwei Kinder aus Syrien und im Kindergarten einen Kleinen, der ist fünf und wird in einem Jahr wahrscheinlich alle drei Sprachen sprechen: Deutsch, Kroatisch, Arabisch.
In der «KUGA» haben wir die Zweisprachigkeit von Anfang an zu leben versucht. Das ist natürlich schwierig – es hört sich gut an, aber funktioniert erstmal nur, wenn alle die zwei Sprachen auch sprechen. Wir hatten einmal die Situation, dass die Deutschsprachigen zu den Zweisprachigen gesagt haben: Also was ist jetzt mit der Idee der Mehrsprachigkeit? Ihr redet’s Krawodisch und wir verstehen euch nicht!
Seither gilt das Prinzip, dass alle, die wollen, in den Sitzungen Kroatisch reden können, und wer es nicht versteht, bekommt Simultanübersetzung. Wir bieten Sprachkurse an, da kann man die Basics lernen. Klar, wenn man miteinander kommuniziert, ist es notwendig, dass man eine Sprache findet, die alle verstehen; aber man muss auch einsehen: Wenn wir nie Kroatisch miteinander reden, werden wir es halt vergessen.
Wird im Dorf noch viel Kroatisch gesprochen?
Durch die Öffnung der Gemeinden in den letzten zwanzig, dreißig Jahren, durch die soziale und wirtschaftliche Situation, dadurch dass man die eigene Sprache nur noch zu Hause verwenden kann, und das auch nur, wenn dein Kind nicht eine_n deutschsprachige_n Partner_in mitbringt, hat sich viel verändert. Was kann man dagegen tun? Man muss meiner Ansicht nach Zweisprachigkeit als lebbar erkennen. Und es braucht Möglichkeiten, im Dorf Arbeit zu finden. Dazu muss man selbst aktiv werden. Was in unserer Region fehlt, sind Leute im Gewerbe, die sagen, ich will da was machen – wie es im Waldviertel passiert ist. Vielleicht gibt es ja jetzt, wo der Kapitalismus anfängt, ein bisserl zu zerbröseln, eh eine neue Chance.