Am Küchentisch (21. Teil)
Es gibt im Leben eines jeden Menschen Blitzlicht-Momente, die unvergessen Eindruck hinterlassen. Ich war damals gerade frische 18 Jahre, frei und wartete beim Südbahnhof auf Traude, die mit meinem Vater befreundet war. Ich sollte bei ihr arbeiten. Oder ich sollte es zumindest versuchen.Ich hatte im Sommer bei Festspielen meine allererste Rolle als Fanchette hingelegt und wusste noch nicht, wie es weitergeht. Auf der Argentinierstraße lief ich ihr entgegen. Traudes Lächeln versprach Vertrauen. Also machte ich bald meine ersten Erfahrungen bei ihr als Sprecherin und Spielerin beim Puppentheater in Live-Aufnahmen beim ORF auf dem Küniglberg. Das gab es damals noch für Kinder und mit Kindern! Später wurden die Sendungen voraufgezeichnet.
Der Gründerin und künstlerischen Direktorin des Figurentheaters LILARUM, Traude Kossatz, wurde am 4. Oktober 2010 das Goldene Ehrenzeichen für Verdienste um die Republik Österreich verliehen. Zu Recht. Denn was Traude da aus dem bröckelnden, harten österreichischen Boden künstlerisch feinsinnig herausgemeißelt hat, ist in Wien Anfang der 1980er Jahre einmalig gewesen. Traude gründete die Puppenbühne, ohne Kasperl, die als Wanderbühne begann und heute Wiens größtes Kindertheater ist, mit jährlich über 35.000 Besucher_innen und weit über Wiens Stadtgrenzen hinaus bekannt.
Traude, du wirkst zart und zerbrechlich, aber deine Ausdauer und Zähigkeit erwachsen sicher aus einer tiefen, kindlichen Vertrautheit und Sicherheit. Ich beneide dich um dein «normales» Elternhaus, wie du mir erzählst, so konntest du deinen Weg ohne generationenübergreifende Erwartungen und Prophezeiungen gehen. Nach der Lehrzeit beim strengen Onkel in der Uhrmacherwerkstatt entscheidest du dich für eine künstlerische Ausbildung. Du studierst Malerei, unter anderem bei Herbert Boeckl, und beschäftigst dich intensiv mit Bildhauerei. Das Spiel mit Puppen, das poetische Figurentheater, agiert und wartet dabei schon im Hintergrund.
Nun klingt das alles nach einem leichten Weg, aber ich weiß, wie es in der Kulturbranche in Österreich aussieht, wir kennen die Arschkriecherei, das Sich-Hineinschieben in Unterwürfigkeit. Wie übergeht man das als denkender, fühlender Mensch? Wie sieht kulturpolitische Arbeit als Frau in den 1980er Jahren aus? Du trafst offensichtlich einen kindlichen Nerv der Zeit!
Im Vordergrund stehen natürlich immer die Puppen, die durch ihre Direktheit eine intensive Wirkung haben.
Ich erinnere mich: Zu meiner Puppen-Heimat in die Phillipsgasse zog ich des Öfteren hin. Es war dein erstes Theater mit 30 Sitzplätzen. Da stritten sich Regie und Spieler. Da wollten es die Autoren anders als die Dramaturgen. Da rebellierten die Puppen! Aber lasst die Puppen tanzen! Da kämpften Differenz und Widerstand. Wie im Theater eben. Traude ist Kreateurin, die Macherin der ausdrucksstarken, liebevollen herzerwärmenden Figuren. Im Vordergrund stehen natürlich immer die Puppen, das ist dir sehr wichtig, die durch ihre Direktheit eine intensive Wirkung haben. Puppen sind kleiner als das Kind und daher nicht bedrohlich. Sie führen die Kinder in eine Welt, der sie gefühlsmäßig und ihrem Alter entsprechend folgen können. Das gelingt im Figurentheater oft besser als im Sprechtheater. Figuren und Objekte können hier in faszinierender Weise verwirklicht werden und Dinge tun, zu denen Schauspieler nicht in der Lage sind. Der Blick aufs Ganze ist Traudes elementares Thema, und sie vertritt es beharrlich! Deinen Standpunkt, Traude, hast du immer konsequent klargemacht. Du hast wahrlich feministische Höchstleistung erbracht, in ORF-Elefanten-Männerdomänen mit aller Vorsicht vorzugehen und diplomatisch-weiblich zu agieren. Und was für eine wunderbare Welt du für uns alle aufgebaut hast. Zwanzig Jahre später fahre ich mit meinen kleinen Kindern zu euch in den 3. Bezirk in die Göllnergasse 8, in euer neues, großes Haus, das einst ein Filmstudio war, wo Hans Moser drehte oder Falco. Ich sitze also auf den Theaterbänken, meinen Sohn Ben auf meinen Beinen und werde wieder zum Kind, das ich einst war. Auch erinnere ich mich an den großen Spaß, wenn wir Ton- und Sprechaufnahmen bei euch im Studio haben, zum Beispiel mit Anne Bennent oder der Grande Dame Hilde Sochor (Ein Unikat als Hexe!) oder anderen bekannten Schauspieler_innen und Persönlichkeiten aus Film, Kabarett und Theater. Ja, die Familien, die künstlerischen und die realen. Dein Sohn Paul hat das Theater übernommen. Familywork. Aber deine Handschrift ist nach wie vor durchdringend und prägend. Doch die Arbeit wuchs euch über den Kopf, und du sagst, dass Andrea Gergely als langjährige Mitarbeiterin den Stil des Hauses mitgeprägt hat. Dass der Ton die Musik macht, das hast du sehr klug eingesetzt. Da tauchen Namen auf wie Fritz Keil, Otto Lechner, Die Strottern, Ernst Molden oder Franz Hautzinger. Liebe Traude! Im Namen aller in Wien lebenden zahlreichen großartigen Komponistinnen bin ich der beharrlichen Meinung, dass Musik von Frauen in deinen Stücken absolut Wert und Platz haben muss. Keine einzige Komponistin, die Musik machte bei dir, das lässt sich doch sicher leicht ändern, nicht wahr? Weckt weiterhin die Seelen! Kulturarbeit ist lebensnotwendig!
Aktueller Spielplan:
ES MUSS NICHT IMMER KÄSE SEIN
11. Jänner3. Februar 2013
Für Kinder ab 4 Jahren
www.lilarum.at