«Wo wenig Bildung war»vorstadt

Lokalmatador

Toni Kronke arbeitet für Teach for Austria. Zur Schule ging er in der DDR
und BRD.

TEXT: UWE MAUCH
FOTO: MARIO LANG

Das Büro von Teach for Austria ist zentral gelegen, in einem Hochhaus bei der Station Wien Mitte. Hier laufen alle Fäden der NGO zusammen, die sich für mehr Bildungsgerechtigkeit einsetzt. Mitten drinnen: Toni Kronke, der schon bei der Gründung im Jahr 2011 dabei war.
«Seither haben wir knapp 500 Akade­miker:innen ausgebildet», berichtet der stellvertretende Geschäftsführer. Als Fellows wurden sie an 114 Schulen und 29 Kindergärten entsandt, zur Unterstützung des Stammpersonals.
Toni Kronke war selbst Fellow – in einer Brennpunktschule im Norden von Köln, dort wo die Domstadt weniger lustig, weniger chic ist. Als er hört, dass man in Wien Teach for Austria gründet, überlegt er nicht lange: «Ich bin der Idee gefolgt.» Heute sieht er sich «als Bindeglied zwischen den einzelnen Teams, auch als Ideengeber».

DDR.

Zur Welt kam Toni Kronke 1978 in ­Rostock an der Ostsee, eingeschult wurde er noch in der DDR. Seine Mutter arbeitete als Bibliothekarin, der Vater als technischer Leiter in einem Elektromotoren-Werk.
«Doch die Bildungskarrieren der Eltern waren damals nicht so entscheidend», betont er. «Es gab Kinder, in deren Wohnungen kein einziges Buch stand, wo wenig Bildung war, mit denen ich mich bis heute sehr gut verstehe.»
Das sei auch ein Verdienst seiner damaligen Lehrer:innen, die nicht nur Wissen vermitteln, sondern auch Integrationsfiguren sein wollten: «Alle Kinder lernten Lesen, Schreiben, Rechnen – auf einem ordentlichen Niveau.»
Dass Integration auch soziale Kontrolle bedingt, stünde auf einem anderen Blatt: «Meine Eltern leisteten Widerstand gegen das Regime, sie haben viel riskiert.» Seinem Vater wurde etwa gedroht: «Wir werden den Kommunismus mit der Waffe in der Hand gegen Menschen wie Sie verteidigen.»
Auch ihn habe man bedrängt. Doch Toni Kronke war in seiner Schule zu beliebt, zu gut integriert, als dass ihn öffentliche Anwürfe («Toni, was dein Vater macht, ist nicht in Ordnung») aus der Bahn geworfen hätten.
Das Kind des Arbeiter- und Bauernstaates erinnert sich auch an lächerliche Rituale: «Wir mussten zu Beginn einer Schulstunde militärische Haltung einnehmen.» Einer rief zuerst die Klasse mit Pioniergruß zur Ordnung, und dann zum Lehrer: «Herr Pohl, ich melde: Die Klasse ist zum Unterricht bereit!»

BRD.

Am 9. November 1989 fiel die Mauer: «Wir sind vor dem Fernseher gesessen. Das war surreal, auch für meine Eltern. Das war ein Schock.» Danach verstand der Schüler Kronke die Welt nicht mehr: Während Vater und Mutter damit beschäftigt waren, das Kaufhaus der Familie wieder aufzubauen, fit für den Kapitalismus zu bekommen, soll er als einer von wenigen aus seiner alten Schule ins Gymnasium wechseln.
Eine böse Zäsur: «Dort erklärten uns dieselben Lehrer:innen, die vorher total auf Linie waren, dass sich jetzt jeder selbst der ­Nächste ist. Und wenn du nicht mitkommst, ist das dein Problem. Da bin ich voll dagegen gegangen. Dafür hatten meine Eltern nicht ihre Existenz aufs Spiel gesetzt.»
Toni Kronke erzürnt bis heute: «Alles was unsere Identität im Osten war, galt plötzlich nicht mehr. Das West-System wurde einfach ­drübergestülpt.» Er sagt daher: «Das Sortieren in gute und schlechte Schüler:innen trägt weder zu ­einer besseren Bildung noch zu einem sozialen Ausgleich bei.»
Sieben Mal muss er die Schule wechseln, ehe er maturieren und angewandte Kulturwissenschaften in Hildesheim, Portugal und Brasilien studieren kann. Er ist dennoch dankbar, dass die Mauer fiel: «Dadurch konnte ich reisen und andere Kulturen kennenlernen.»
Als Fellow im Kölner Norden war er zunächst schockiert: «Da saßen so viele Kids, denen es an den Grundlagen fehlte, obwohl alle super ­Typen waren.»
Heute freut den Bildungsmanager, dass Teach for Austria von vielen Institutionen respektiert wird: «Das war vor zehn Jahren noch undenkbar.» Nächstes Ziel: «Die gute Arbeit unserer Fellows soll im System weiterwachsen. Es gibt viele engagierte Lehrkräfte, die da mitziehen.»

Ottakring.

Verheiratet ist Toni Kronke mit ­Rocio del Pilar Flórez Rodríguez. Seine Frau ist nördlich von Bogotá aufgewachsen. Die ­gemeinsame Tochter Samay Luise besitzt ­somit einen kolumbianischen und einen deutschen Pass. Zu Hause ist die Vierjährige wiederum in Ottakring, wo sie auch den öffentlichen Kinder­garten besucht.
Für ihren Vater Ehrensache: «Wenn du zu dem stehst, was du sagst, dann sind wir nichts Besseres. Unsere Tochter wird eine gute Bildung bekommen, weil sie von uns unterstützt wird. Wenn davon auch andere Kinder profitieren, soll uns das sehr recht sein.»