Wohin gingen die Maurer?tun & lassen

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Der Kofferraum und die Rücksitze des Autos sind vollgepackt. Ljubomir zieht in eine neue Wohnung und mit ihm Bücher, Geschirr, Teppiche, Bilder. Seine Freunde und sein Vater helfen beim Umzug. Wir fahren an Häuserreihen am Donaukanal vorbei, biegen in eine Nebenstraße ein. «Das sind alles meine Häuser», sagt Branko, Ljubomirs Vater. «Warum deine Häuser?», lacht Ljubomir. «Da bin ich überall oben gestanden, hab Beton verbracht, geschleppt, Hand angelegt», antwortet sein Vater. «Die hab ich alle mitgebaut.»Ich habe Branko auch nicht gleich verstanden. Ich wusste, dass er nie und nimmer Besitzer all dieser Häuser sein kann. Aber der Gedanke, dass hier Tausende von Arbeitern seit den siebziger Jahren diese Stadt mit erschaffen haben, ist nicht präsent, nicht lebendig. «Wohin gingen an dem Abend, wo die Chinesische Mauer fertig war, die Maurer?», fragt der lesende Arbeiter in Bertolt Brechts gleichnamigem Gedicht.

Im Gastarbeiter_innensystem war das Altern nicht eingeplant, weder von den Aufnahmeländern, die junge und gesunde Arbeitskräfte brauchten, noch von den Arbeitsmigrant_innen selbst, die ihren Aufenthalt nicht auf ewig planten. Ältere Migrant_innen blicken nun auf eine lange Geschichte zurück und hätten viel zu erzählen. Doch ihre Story bleibt im Dunkeln, so als handle es sich um eine unsichtbare Generation. «Das Altern in der Arbeitsmigration repräsentiert deshalb nicht nur etwas, das nicht vorgesehen war, sondern vielmehr eine gesellschaftliche Leerstelle, einen Nicht-Ort im übertragenen Sinn», formuliert Christoph Reinprecht von der Universität Wien. Der Soziologe hat sich detailliert mit der Situation älterer Migrant_innen befasst. Ihr Arbeitsalltag war von körperlicher Schwerarbeit, niedrigem Einkommen und ungünstigen Wohn- und Lebensverhältnissen geprägt. Sie verdienten ihr Geld in Arbeitsverhältnissen, die körperlich schwer belastend und gesundheitlich auf die Dauer schädlich waren. Ihre Jobs wiesen hohe Stressbelastung durch Akkord-, durch Schicht- und Nachtarbeit auf, das Unfallrisiko war stark erhöht. Die Auswirkungen der belastenden Lebensverhältnisse sind jetzt in der Krankenstatistik ablesbar: Abnützung des Stütz- und Bewegungsapparats, Rückenschmerzen, Wirbelsäulenprobleme, Erkrankungen des Magen-Darm-Traktes und Atemwegserkrankungen. Geschlafen wurde allzu oft in feuchten, schimmligen und dunklen Wohnungen. «Unsere erste Wohnung war weniger als vierzig Quadratmeter groß und im Parterre eines heruntergekommenen Mietshauses», erzählt Radmilla Markovi. «Es war ein schlauchartiges, dunkles Kellerloch mit nur einem Fenster. Als ich unser neues Zuhause zum ersten Mal sah, war ich aus Verzweiflung den Tränen nahe.» Gearbeitet hat Frau Markovi überall in der Fabrik, in der Landwirtschaft, der Schneiderei, im Supermarkt. Ihr Mann war am Bau. «Pro Kleid gab es ungefähr fünfzig Groschen. Im Supermarkt müssen es rund zehn Schilling pro Stunde gewesen sein.»

Buchtipp: Eva Maria Bachinger & Martin Schenk: «Die Integrationslüge. Antworten in einer hysterisch geführten Auseinandersetzung», Deuticke

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