Styroporschnee im Garten, Schimmel in der Wohnung und Wasser, das aus der Steckdose rinnt. In der Altmannsdorfer Straße steht ein unfertiges Haus. Die Mieter_innen beginnen sich zu wehren.
Text: Kurto Wendt
Fotos: Sascha Büchi
Zwei Mal fuhr ich an der Adresse Altmannsdorfer Straße 86–88, dem um die Jahrtausendwende errichteten «Horrorhaus Hetzendorf», wie es manche verzweifelten Mieter_innen schon scherzhaft nennen, vorbei, ohne es als Wohnhaus zu erkennen. Es wirkte wie ein unbewohnter Rohbau. Alle Türen offen, Bauschutt vor und im Haus, offene Kabel an der Fassade. Drinnen angelangt sah ich funktionstüchtige Steckdosen, die wie Stielaugen in die Gänge ragten. Ich wusste, dass im Hof die allererste Hausversammlung stattfinden sollte, und war trotzdem sehr überrascht, dass sich über 30 Mieter_innen versammelt hatten. Sie standen in gebührendem Abstand im Innenhof, der irgendwann auch Garten werden sollte, und erzählten einander von den unfassbaren Zuständen im Haus, seit es 2018 von der Wüstenrot-Versicherung an einen Investor verkauft worden war.
Erstbezug einer Baustelle.
Organisiert wurde das Treffen von drei jungen Frauen, die erst seit Mai dort wohnen. Die Maklerin habe ihnen versprochen, dass alles «spätestens Ende Juni» fertig werden sollte. «Erstbezug» hieß es bei Anna S., die in der Gastronomie arbeitet und für 39 m2 stolze 770 Euro zahlt, weil sie 85 m2 Garten hätte. «Seit meinem Einzug habe ich nur Baustelle vor meiner Tür, ich muss die Jalousien dicht verschließen, den ganzen Tag kein Sonnenstrahl, nicht mal lüften kann ich, weil sonst Styroporschnee reinkommt. Der Boden in meiner Wohnung hat sich bereits nach einer Woche aufgebogen, am Türrahmen läuft das Wasser runter», schildert Anna S. Die anderen Mieter_innen sind wenig überrascht. Diana K. erzählt: «Bei mir ist das Wasser aus der Steckdose geronnen und Schimmel überall.» Agnes V.: «Ich halt’s nicht mehr aus, bei uns rosten schon die Nägel in den Sockelleisten.» Alle haben Fotos dabei und tauschen sie aus, es tut sichtlich gut, zu erfahren, dass es allen ähnlich geht. Einige haben sich schon bei der Hausverwaltung beschwert, manche haben Mietzinsreduktion bekommen, andere nicht. In letzter Zeit werde der Hausbesitzer immer frecher und lasse über die Hausverwaltung ausrichten, wer nicht voll zahle, kriege eine Räumungsklage.
Roman M. wohnt seit zwölf Jahren im Haus. Er legt mir seine umfassenden Beschwerdelisten vor. «Wer ist schuld?», frag ich ihn. Er erzählt mir, dass das Haus vor zwei Jahren von der Wüstenrot an die Calypso Immobilien GmbH verkauft worden ist und eine Woche später zu bauen begonnen wurde. «Die Wüstenrot hat mit dem Haus kein Geschäft mehr gemacht und hat es an einen verkauft, der als Immobilienentwickler auftritt. Das heißt für Mieter nie was Gutes, wenn ich das nur hör!»
Zehn Firmen in der Josefstadt.
Roman M. ist vom Fach, kann mir genau erklären, was und wann alles falsch gemacht wurde. Viele Mieter_innen haben schon versucht, den Investor zur Rede zu stellen, aber es sei ihnen nicht gelungen, ihn zu erreichen. Der Immobilieninvestor heißt Laurenz Limberg. Ich machte mich auf die Suche. Ein erstaunlicher Mann, 37 Jahre alt, nicht ein einziges Foto im Netz, alleiniger Geschäftsführer von zehn Firmen, die alle erst in den letzten drei Jahren gegründet wurden und alle an derselben Adresse in Wien Josefstadt angemeldet sind. Ich dachte, ich schau einfach vorbei, was wohl meinem naiven Bild von «Firma» entsprach. An der angeführten Adresse gibt es kein Firmenschild, auch keinerlei Hinweis auf Aktivitäten, die angeführte Adresse ist Laurenz Limbergs Wohnadresse. Zu den Vorwürfen befragt, meint Limberg am Telefon, die Bauarbeiten seien fast fertig und Mietzinsminderung wegen fehlendem Garten sei völlig unbegründet, nur weil ein Gerüst steht. In österreichischen Medien taucht Laurenz Limberg bisher zwei Mal auf. 2001 in der Zeitschrift Gewinn, wo er als Schüler der Hietzinger Handelsakademie darüber erzählt, wie aufregend es sei, mit echten Aktien zu zocken, und 2009 in der Tageszeitung Die Presse, wo er sich als Makler der Firma L-Quadrat über «Immobilientouristen» beschwert, die nur schauen wollen und nicht kaufen.
Immotourismus in Meidling.
Einen solchen Immobilientouristen haben auch wir auf den Weg geschickt, um die Maklerin Tania O. bei einem Besichtigungstermin über das Haus zu befragen. Mindestens drei Mieter_innen sind im Mai eingezogen, weil sie den Angaben von Frau Oppel vertraut hatten, dass alles im Juni fertiggestellt wäre. Sie bat Sascha beim Besichtigungstermin, die Schuhe auszuziehen, und versprach ihm eine Fertigstellung bis Ende Februar. Für jeden abgeschlossenen Mietvertrag erhält die Maklerin zwei Monatsmieten Provision, sie spielt mit und kassiert, obwohl sie weiß, dass die Angaben der Hausverwaltung nicht stimmen können.
Da hätten wir also den dritten Player, die Hausverwaltung Dr. Gerhard Stingl, die abblockt – Frau Beran, zuständig für das Haus, meint, die Calypso habe ein eigenes Asset Management, Stingl wäre nur für die Verwaltung zuständig – und die Mieter_innen, die ohnehin schon verzweifelt sind, mit Androhung juristischer Schritte einschüchtert. Anna S. etwa, die seit einem halben Jahr den Boden nur saugt, weil sie Angst hat, dass das Laminat endgültig aus dem Leim geht, wenn sie es aufwischt, die keine Sekunde ihren im Mietvertrag festgehaltenen Garten benutzen konnte, hat einen Anwalt eingeschaltet, um zumindest eine Mietzinsreduktion zu bekommen. Die kaltschnäuzige Antwort der Hausverwaltung im Auftrag des unbenannten «Asset Managements»: «Eine Mietzinsminderung wird in keinster Weise akzeptiert, und es wird bereits jetzt darauf aufmerksam gemacht, dass eine Mietzins- und Räumungsklage eingebracht wird, sollte die Mieterin den Zahlungsverpflichtungen nicht nachkommen.»
Immer wieder weist die Hausverwaltung in Schreiben an die Bewohner_innen darauf hin, dass die Corona-Situation den Bau verzögert habe und ein früherer Generalunternehmer nicht gut gearbeitet habe und verklagt wird. Ganz unerwartet dürften die Verzögerungen allerdings nicht sein, in den Mietverträgen wurde der Passus eingefügt, dass die Bewohner_innen auf Mietzinsreduktion wegen der Bauarbeiten verzichten! Es ist unfassbar, dass dutzende Menschen in ihren verschimmelten Wohnungen sitzen, großteils in Homeoffice mit heruntergelassenen Jalousien, und aus der Dachgeschoßwohnung in der Josefstadt keine, aus dem Büro der Hausverwaltung im ersten Bezirk nur abweisende oder vertröstende Infos kriegen.
Apropos Schimmel: Für das Abkratzen des Schimmels wurde die Regor Arbeits GmbH beauftragt, eine der zehn Firmen von Laurenz Limberg. Weil es in der Firma Corona-Fälle gegeben haben soll, ruhte die Schimmelbekämpfung für drei Wochen.
Was machte Laurenz Limberg eigentlich zwischen seiner Matura und heute? Vieles ist nicht eruierbar, eine Zeitlang war er Geschäftsführer der L-Quadrat Immobilien GmbH und der Real Property Development GmbH. In beiden Firmen wurde er 2013 bzw. 2014 als Geschäftsführer abgelöst von seinem Bruder Clemens Limberg, der aktuell mit seiner Partnerin das Immo-Netzwerk Die Limbergs leitet mit einem transparent und seriös wirkenden Netzauftritt. Der kleine Bruder Laurenz ist offensichtlich ins Darknet der Immobilienentwickler abgetaucht.
Auf gepackten Koffern.
Die Bewohner_innen der Altmannsdorfer Straße 86–88 sind verzweifelt, die Selbstermächtigung, jetzt gemeinsam was zu tun, gibt aber Hoffnung. Unterstützt werden sie von der Bezirksgruppe Meidling der Partei LINKS und dem Mieterselbsthilfezentrum, die mithelfen bei der Recherche – und beim Transparentemalen. «Die Bewohner_innen haben das Kommando, wir helfen mit, weil das eine unfassbare Schweinerei ist, die die allgemeinen Missstände am Wohnungsmarkt noch toppt», schildert Karin Hädicke von LINKS die Motivation. Mittlerweilen waren auch die Feuerpolizei, die Mieterhilfe der Stadt Wien, die Baupolizei und die Finanzpolizei im Haus. Das Engagement der Mieter_innen hat die Behörden wachgerüttelt.
Agnes V. und Diana K. sind Nachbarinnen. Für beide kommen die Interventionen zu spät. Beide haben bereits die Koffer gepackt und werden ausziehen. «Es ist voll schade», sagt Diana K., «wir haben uns angefreundet und unsere Hunde auch.» «Es war so praktisch, die Hausgemeinschaft ist super, aber die Rahmenbedingungen sind furchtbar und es ist kein Ende in Sicht», meint Agnes V. «Wir werden auf jeden Fall Klagen einreichen und alle davon informieren.»
«Ja, das ist echt unglaublich, wie die mit Menschen umgehen.» Auch Anna S. ist bitter enttäuscht vom Besitzer, der Hausverwaltung und den Makler_innen. «Ich bin zwanzig Jahre in Österreich, aber so schlimm bin ich noch nie behandelt worden.» Der Anwalt von Anna S., Andreas Kulka, wird jetzt im Namen einiger Hausparteien eine Sammelklage einbringen. Kulka: «Wir machen Mietzinsreduktion und Schadenersatz geltend.» Die neuen Mieter_innen haben zwar unterschrieben, dass sie auf Mietzinsminderung wegen der Baustelle verzichten, aber Kulka sieht das gelassen: «Die Klagsverzichtserklärung ist rechtsunwirksam. Immerhin versprach man im Mai, dass Anfang Juni alles fertig sein würde.» Ob sie auch überlegt, auszuziehen, frage ich Anna S. «Ja schon, wenn ich nicht vorher eine Räumungsklage kriege.» Die Nachbar_innen lachen zusammen. Der AUGUSTIN wird das Haus in der Altmannsdorfer Straße im Auge behalten.