Wohnen, leben, (sex)arbeitentun & lassen

Kein Grund zum Feiern – 5 Jahre Straßenstrichverbot

Im November vor fünf Jahren trat die Reform des Wiener Prostitutionsgesetzes in Kraft. Der Straßenstrich in Wohngebieten wurde verboten und danach sukzessive weiter reduziert. Heute gibt es nur mehr zwei Gebiete, wo Sexarbeiterinnen arbeiten dürfen. Ein Report von Markus Schauta und Ruth Weismann. Fotos: Anton Linelli

Bis vor ein paar Jahren war die Ecke Linzer Straße, Wißgrillgasse Annas Arbeitsplatz. Dort, gleich nach der Trafik, wartete sie auf Kunden. «Mit dem Freier ging ich ins Stundenhotel», sagt die Wienerin, die seit 15 Jahren als Sexarbeiterin tätig ist. «Die Besitzerin nahm nur Geld fürs Zimmer.» Das zahlte der Kunde. Von ihrem Einkommen musste Anna niemandem etwas abgeben. In der kalten Jahreszeit konnte sie sich im Stundenhotel aufwärmen, und es war immer jemand da, wenn es einmal Probleme gab.

Anna arbeitete selbstbestimmt: «Die Frauen, die in der Linzer Straße standen, gingen und kamen, wann sie wollten. Die Preise haben wir uns abgesprochen». Jede durfte mehr, nicht aber weniger verlangen.

Ohne Boss.

Das selbstbestimmte Arbeiten ist für viele Frauen ein Grund, warum sie den Straßenstrich der Arbeit im Bordell oder Laufhaus vorziehen. Sie haben weder fixe Mietkosten zu bezahlen, sind nicht an Arbeitszeiten gebunden und müssen kein Geld abgeben. Anders als in Bordellen, wo oft lange Gespräche an der Bar und der Konsum alkoholischer Getränke üblich sind, ist der Kontakt am Straßenstrich kurz. «Meist dauert die Sache nicht länger als zehn oder 15 Minuten», sagt Anna.

Im November 2011 trat unter der

rot-grünen Stadtregierung ein neues Prostitutionsgesetz in Kraft, das den Straßenstrich in Wohngebieten verbietet. Seit damals sind die Sexarbeiterinnen von der Linzer Straße verschwunden.

Allerdings haben die einzelnen Bezirke das Recht, innerhalb von Wohngebieten sogenannte Erlaubniszonen zu definieren, wo Sexarbeiterinnen stehen dürfen. Den Straßenstrich im Stuwerviertel im 2. Bezirk gab es daher noch bis 2013. Dann erklärte die Bezirksverwaltung auch dieses Viertel zur strichfreien Zone. Heute können Sexarbeiterinnen in Wien legal nur mehr in Industrie- und Gewerbezonen stehen.

Druck auf die Politik.

Das massive Vorgehen gegen den Straßenstrich werde von unterschiedlichen Interessen geleitet, weiß eine Mitarbeiterin vom Verein LEFÖ, der mit dem Projekt TAMPEP Informations-, Beratungs- und Gesundheitspräventionsarbeit für Migrantinnen in der Sexarbeit bietet. Da sind Wohnungseigentümer_innen, die den Strich als Grund für geringere Mietpreise erleben. Und Anrainer_innen, die sich von den Sexarbeiterinnen und ihren Kunden belästigt fühlen, Verschmutzung und Lärm beklagen.

Daraus entstandene Bürger_inneninitiativen haben Druck auf die Politik ausgeübt. «Heute stehen die Frauen auf der Brunner Straße im 23. und nahe der Schnellbahnstation Strebersdorf im 21. Bezirk», erzählt die LEFÖ-Mitarbeiterin. Die Gebiete seien zwar nicht direkt als Erlaubniszonen definiert, aber so lange es sich um kein Wohngebiet handle, sei die Arbeit erlaubt. Einmal die Woche fährt LEFÖ in die Bezirke, um mit Sexarbeiterinnen in Kontakt zu treten. «Wir verteilen Gesundheitsbroschüren und Kontaktdaten.» Es sei nicht immer leicht, an die Frauen heranzukommen.

Als Toilette nur die Büsche.

Diejenigen, die mit ihnen reden, haben Gesundheitsfragen, suchen nach leistbaren Wohnungen oder klagen über die derzeit niedrigen Preise: 30 bis 40 Euro kostet der Sex am Straßenstrich. «Manche beschweren sich über Kolleginnen, die es für zehn Euro machen.» Das komme vor, wenn jemand in einer Notsituation ist und Geld braucht.

Die Frauen kommen häufig aus Rumänien, Bulgarien, Ungarn und Tschechien. Nicht alle von ihnen arbeiten fix in Wien. Viele bleiben nur für eine gewisse Zeit, was dazu führt, dass sich einige nicht als Sexarbeiter_in registrieren lassen, da sie die Stadt nach kurzer Zeit wieder verlassen. Das kann zu Geldstrafen führen.

Auch in Floridsdorf, wo sich der Straßenstrich zwischen Firmen und Lagerhäusern abspielt, gab es Proteste. Knapp bekleidete Sexarbeiterinnen seien den Kindern am Heimweg von der Schule nicht zumutbar, so der Tenor. Abhängig von der Jahreszeit wurden daher zeitliche Beschränkungen eingeführt: Im Herbst und Winter dürfen Frauen erst ab 19 Uhr auf der Straße arbeiten, im Frühjahr ab 20 Uhr, im Sommer ab 22 Uhr.

In der aktuellen Situation würde Anna nicht mehr auf der Straße arbeiten wollen. «Das neue Gesetz bringt viele Probleme mit sich», findet sie. Sexuelle Dienstleistungen sind in der Öffentlichkeit verboten. Aber weder in der Brunner Straße noch in der Einzingergasse gibt es ein Stundenhotel. Wohin also? «Ich müsste zum Freier ins Auto steigen und mit ihm in irgendein dunkles Eck fahren. Das ist nicht ungefährlich. Eigentlich bräuchte ich dann einen Zuhälter, der auf mich aufpasst.» Der «Aufpasser» sei aufgrund des Gesetztes daher auch wieder «in Mode» gekommen.

Auf der Brunner Straße gibt es eine Tankstelle, wo die Frauen gelegentlich die Toilette benutzen können. Im 21. Bezirk nicht einmal das. «Ich habe dort keine Möglichkeit, mich zu waschen oder umzuziehen, und als Toilette bleiben mir nur die Büsche», so Anna. Die Frauen ziehen sich also etwa an der Bushaltestelle um, der einzige «Schutz» in dem Gebiet voller toter Firmengebäudewände. In Auhof, wo sich nach der Gesetzesreform ebenfalls ein Strich etablierte, habe es in einem Jahr vier Vergewaltigungen gegeben, erzählt Anna. Weil viele der Frauen schlechte Erfahrungen mit der Polizei gemacht hätten, gebe es keine Anzeigen. In Auhof ist kein Betrieb mehr, da die Asfinag 2014 über Nacht und ohne Sexarbeiter_innen zu informieren einen Schranken hingebaut hatte.

Das Gewerbe an den Nagel gehängt hat Anna nicht. Heute arbeitet sei in einem Bordell im 5. Bezirk. «Schön wäre es, wenn wir Sexarbeiterinnen mehr gesellschaftliche Anerkennung hätten», sagt sie. «Mehr Rechte, anstelle von Verdrängung und Kriminalisierung.»

Zustände nicht zumutbar.

«Durch das neue Gesetz geht keine Frau weniger auf den Strich», sagt Christian Knappik. Der Wiener setzt sich im Namen der Online-Plattform sexworker.at für die Rechte von Sexarbeiter_innen ein. Etwa 50 Frauen seien heute am Straßenstrich tätig, 400 waren es vor der Novellierung des Prostitutionsgesetzes. Einige Frauen seien in Bordelle oder Laufhäuser gegangen, andere hätten das Land verlassen oder altersbedingt aufgehört, weiß Knappik, der in der Szene gut vernetzt ist und auch eine Hotline für Sexarbeiter_innen betreibt.

Wieder andere seien auf Plätze ausgewichen, an denen das Gewerbe verboten ist. Das neue Gesetz habe daher nicht zu einer Reduzierung der Prostitution beigetragen, sondern viele Frauen in die Illegalität gedrängt: «Etwa hundert bis 150 Frauen sind aktuell am U-Bahn-Strich unterwegs», schätzt Knappik. Das Problem: Wird eine Sexarbeiterin außerhalb von erlaubten Gebieten bei der sogenannten «Anbahnung» erwischt, gibt es eine Verwaltungsstrafe bis zu 800 Euro. Auch Kunden, die aktiv anbahnen, können bestraft werden. Dass im Stuwerviertel der Straßenstrich wieder «zurückkomme», wie Medien jüngst berichteten, sei laut Knappig nicht der Fall.

Mit der Verdrängung der Arbeiterinnen weg von der Straße, habe man sie vielfach in ein Abhängigkeitsverhältnis gezwungen. «Im Laufhaus bezahlen die Sexarbeiterinnen 80 Euro am Tag Miete. Sie müssen daher arbeiten, um die monatlichen Kosten zu decken.» Knappik fordert eine Legalisierung des Straßenstrichs, an Orten, wo die Sicherheit der Sexarbeiterinnen gewährleistet ist und es Stundenhotels gibt. «Die Plätze, wo die Frauen jetzt arbeiten müssen, sind nicht zumutbar.»

Staatliche Investition.

Auch bei LEFÖ wünscht man sich Erlaubniszonen: «Die Orte sollten zentral gelegen sein, und es sollte mehrere geben, damit sich der Straßenstrich über Wien verteilt.» Denn gerade das massive Auftreten von Sexarbeiterinnen in den nach 2011 sehr wenige gewordenen Erlaubniszonen, hat für Unmut bei Anrainer_innen gesorgt. Auch an Infrastruktur müsse gedacht werden. «Eine Möglichkeit wären Verrichtungsboxen, wie es sie in der Schweiz und Deutschland gibt.» Doch die Stadtverwaltung wolle nicht investieren. Mit Steuergeldern könne man nicht die Infrastruktur am Straßenstrich finanzieren, so das Argument.

«Die Chance, dass diese Forderungen umgesetzt werden, gibt es wohl nicht», resümiert man bei LEFÖ. «Es wird immer restriktiver. Die Tendenz geht da hin, den Straßenstrich ganz abzuschaffen.»

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