«Wohnen muss leistbar sein»tun & lassen

Alexander Machatschke, BAWO (Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe) Foto: © Carolina Frank

Wohnungslosigkeit beenden – gern, aber wie? Ein Gespräch mit Alexander Machatschke von der Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe.

 

Obdach- und Wohnungslosigkeit beenden? Das klingt radikal und fantastisch.

Alexander Machatschke: Tatsächlich ist das eine visionäre Idee. Es gibt dabei viele verschiedene Facetten: Erstens die grundsätzliche Idee, es soll niemand eine Wohnung verlieren, der eine hat. Das zweite Problem, das man lösen muss, ist, dass ganz viele Menschen den Einstieg in den Wohnungsmarkt gar nicht schaffen. Wir reden von Menschen, die von zu Hause ausziehen, an der Schwelle zum Erwachsenwerden, und denen es nicht möglich ist, ihre Wohnung zu verlieren, weil sie gar keine haben. Und drittens stellt sich die Frage: Wenn es zu einem Wohnungsverlust kommt, was kann man machen? Eine Antwort ist Housing First. Weg von einer institutionellen Unterbringung hin zu einer Wohnung, in der die Menschen mit eigenem Mietvertrag wohnen und Betreuung auf freiwilliger Basis angeboten wird. Es gibt nicht das eine Allheilmittel, sondern ­viele verschiedene Ansätze, die zu einer Beendigung von Obdach- und Wohnungslosigkeit führen können.

Obdachlosigkeit ist kein ­neues Problem. Warum ist sie gerade jetzt Thema?

Ich habe eine Mutmaßung: Die Krise des Wohnens ist in der Mittelschicht angekommen und die ­Politik hat erkannt, da müssen wir mehr machen als bisher. Davor war eine marginalisierte Gruppe ohne große Lobby betroffen, da konnte man länger zuschauen ohne zu reagieren.

Bis wann soll es so weit sein, dass niemand mehr obdachlos ist?

In der EU gibt es das Bestreben, ­Obdach- und Wohnungslosigkeit bis 2030 zu beenden. Das ist ein Vorschlag der European Platform on Combatting Homelessness. Eine sportliche Ansage, aber alle Mitgliedstaaten haben die Deklaration unterschrieben. Wie immer gibt es einen Haken: Wer es nicht schafft, schafft es eben nicht, ohne Sanktionen.

Es gibt immer wieder neue Obdachlose. Wie kann man sich eine Beendigung der Obdachlosigkeit nachhaltig vorstellen?

Dass wir gar keine Wohnungs- und ­Obdachlosigkeit haben, ist utopisch. Aber wir können es schaffen, Aufenthalte in jeglicher Art von Notunterbringung so kurz wie möglich zu halten.

Wer ist in Österreich dazu verpflichtet, die Deklaration umzusetzen?

Die Verpflichtung hat der damalige Sozialminister Mückstein unterschrieben, also der Bund. Das Sozial- und Wohnungswesen ist in Österreich aber Ländersache und man weiß, die Länder sind heikel, wenn ­ihnen der Bund was vorschreiben will.

Wird das Ziel bis 2030 erreicht?

Ob es möglich sein wird, alle Bundesländer, die in der Wohnungslosenhilfe sehr unterschiedlich aufgestellt sind, bis 2030 so auf Schiene zu bringen, dass wir das Ziel erreichen, wage ich zu bezweifeln. Wenn aber die Verpflichtung dazu führt, dass in den Bundesländern klar wird, wie wichtig das Thema ist und wie grundsätzlich einfach es wäre, den Menschen zu helfen, dann bin ich optimistisch, dass wir zumindest die Zahlen massiv verringern könnten.
Für Österreich hatten wir als Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe (BAWO) die Idee, es schon bis 2025 zu schaffen. 2020 haben wir versucht zu erheben, wie viele Wohnungen es dazu braucht, und sind in Rücksprache mit den Bundesländern und den gemeinnützigen Wohnbauvereinigungen zu dem Schluss gekommen, dass wir das mit 25.000 Wohnungen in fünf Jahren schaffen. Dann kam Corona und hat doch einiges durcheinandergewirbelt.

Corona hatte massive Auswirkungen auf die Leistbarkeit von Wohnen.

Ja, infolge von Corona ist die Gefährdungslage, dass Menschen ihre Wohnungen verlieren, stark gestiegen. Wir haben als BAWO mit Förderung durch das Sozialministerium ein zweijähriges Projekt mit dem Namen «zuhause ankommen» gemacht. Ziel des Projekts war, in Zusammenarbeit mit dem Verband gemeinnütziger Wohnbauträger und seiner Mitglieder gemeinnützigen Wohnbau für Menschen zur Verfügung zu stellen, um Wohnungslosigkeit zu beenden oder vorzubeugen. Und auch Überzeugungsarbeit bei gemeinnützigen Wohnbauträgern zu leisten, dass man vormals wohnungslosen Leuten ohne Bedenken Mietverträge geben kann. Der Bund hat die Einstiegskosten übernommen und ­bekommt sie im Falle eines Auszugs abzüglich der jährlichen Abschreibung zurück. Die Projektpartner:innen sind Sozialorganisationen in den Bundesländern, die schon mit dem Housing-First-Ansatz gearbeitet haben. Über diese Organisationen konnten die Menschen andocken, es wurde ­geklärt, ­welche Wohnung passend ist, und es gab auch die Möglichkeit, Übersiedlungskosten zu übernehmen. Die Mieter:innen ­müssen nichts bezahlen außer der laufenden ­Miete. Der einzige Haken: Man braucht ein regel­mäßiges Einkommen. Egal welches, es kann auch Sozialhilfe oder Mindestsicherung sein, aber es muss regelmäßig sein. Da fallen manche Leute raus.

«zuhause ankommen» wird Ende April abge­schlossen. Was ist dein Resümee?

Wir haben gelernt, dass die meisten ­gemeinnützigen Wohnbauvereinigungen kein Problem damit haben, ­ehemalige ­Obdach- oder Wohnungslose unterzubringen und ihnen eigene Mietverträge zu ­geben, wenn sie sehen, ein Betreuungsangebot besteht. Ein Angebot! Keine Rede von Verpflichtung.
Menschen haben Bilder im Kopf, und die aufzubrechen dauert ein bisschen. Das ist uns im Projekt sehr gut gelungen. Wir ­haben auch Zahlen, auf die wir zurückgreifen können: In Wien gibt es eine Zahl vom Neunerhaus, dass 95 Prozent der Menschen, die mit Housing First in eine Wohnung eingezogen sind, immer noch dort wohnen.
Der Knackpunkt ist, wir sind raus aus dem sozialen Eck, wo einzelne Personen ­unterstützt werden, und rein in das strukturelle: Wir brauchen leistbares Wohnen. Und die gemeinnützigen Wohnbauvereinigungen sehen sich als dafür zuständig an, leistbares Wohnen anzubieten.

Die Pilotprojekte sind erfolgreich. Aber solange Wohnen so teuer ist, ändert sich nachhaltig wenig.

Dreh- und Angelpunkt ist, dass das Wohnen leistbar sein muss. In dieser Zeit der Teuerung sind viele Wohnungen, und zwar auch die gemeinnützigen, nicht mehr leistbar. Das hängt damit zusammen, dass ­gemeinnützige Wohnbauvereinigungen bei der Finanzierung von Wohnungen teilweise auf flexible Zinssätze gesetzt haben und die hohen Zinssätze laut Wohnungsgemeinnützigkeitsgesetz jetzt auch weitergeben müssen. Andererseits sind die Energiekosten so gestiegen, dass die Wohnungen unabhängig von der Miete für viele nicht mehr bezahlbar sind. Und die Grundpreise steigen auch schon seit mehr als fünfzehn Jahren. Die Einkommen halten mit der Teuerung nicht mit; insbesondere das unterste Dezil hatte in den letzten Jahren einen Kaufkraftverlust. Die Frage ist also, kriegen wir überhaupt noch genug Wohnungen, die leistbar sind?

Muss man einfach mehr verdienen und ­höhere Sozialleistungen bekommen, um die hohen Wohnkosten tragen zu können?

Wenn wir die hohen Wohnkosten der Sozi­alpolitik umhängen, alimentieren wir die Vermieter:innen. Das gleiche Problem haben wir schon bei den Einmalzahlungen, die ausgeschüttet wurden, um die finanziellen Folgen von Corona abzufedern: Sie werden einfach 1:1 an die Vermieterseite weitergegeben. Das kann nicht die Lösung sein. Wohnprobleme müssen in der Wohnpolitik gelöst werden.

Was muss sich in der Wohnpolitik ändern?

Wohnpolitik hat mit Bodenpolitik zu tun. Es muss also geschaut werden, dass die Boden­preise nicht absurd steigen. Dafür gibt es unterschiedliche Methoden: Es gibt für Baugrund die Widmungskategorie sozialer Wohnbau. Damit hat man zumindest die Gewähr, dass die Mieten relativ leistbar sind. Relativ! Für wirklich ­Armutsbetroffene ist das immer noch schwierig, da käme der ­kommunale Wohnbau ins Spiel. In dem ­Bereich zehrt Wien davon, dass vor hundert Jahren viel gebaut wurde – es gibt aber heute viel zu wenig Wohnungen und sie sind teils auch schon zu teuer. Die Frage ist also, wie schaffen wir es, genug kommunalen Wohnbau zu haben, ihn günstig zu halten und auch andere Einstiegshürden abzubauen: Melde­zeiten, Staatsbürgerschaften und so weiter. Und es braucht insgesamt ein Umdenken in Österreich, was das Eigentum angeht. Im Gegensatz zu Deutschland haben wir ja ­keine Sozialpflichtigkeit des Eigentums, und ich erlebe hier einen richtigen Eigentumsfetisch. Der Gedanke ist: Das besitze ich, und damit kann ich machen, was ich will. Das ist ein sehr problematischer Zugang zu Eigentum, insbesondere wenn man es vermietet und damit Geld verdienen will. Dieser Markt muss stärker reguliert werden.

«Inklusives Wohnen» ist in den Programmen der BAWO ein wichtiger Begriff. Was bedeutet das?

Wir haben das Wort «inklusiv» aus dem Bereich Behindertenhilfe ausgeborgt. Für uns ist Wohnen inklusiv, wenn es nicht an den Rand gedrängt wird. Es ist ein Wohnen in eingestreuten Wohnungen in jeglichem Wohnbau – kommunal, gemeinnützig, privat – mit möglichst guter Anbindung an ­alles, was man im täglichen Leben braucht: ­öffentlicher Verkehr, Schule, Kindergarten, Weiterbildung, Universitäten, Bibliotheken, Ärzt:innen und so weiter. Wir brauchen kein Ghetto am Rand, sondern inklusive Wohnungen mittendrin, sodass alle den gleichen guten Zugang zu allen Leistungen haben

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