Wollen Sie kein schönes Leben haben?Dichter Innenteil

von A., Ana, Maria, Mohsina, Olja, Saveta sowie Nadine Kegele

«Nein, ich habe noch nie etwas gemeldet. Ich finde Rassismus melden gut, aber ich kann nicht jeden Tag etwas melden. Mit Kopftuch höre ich jeden Tag etwas. Ich habe nicht so viel Zeit», sagt Mohsina und lacht, und A. sagt: «Als meine Tochter zum ersten Mal Kopftuch getragen hat, hat sie sich gefreut. Wir haben ein Foto gemacht. Sie sieht stolz aus. Am Abend ist sie nach Hause gekommen. Ihre Augen waren rot. Sie hat das Kopftuch ausgezogen. Am nächsten Tag hat sie es nicht mehr angezogen. Von Freude am Morgen bis Weinen am Abend – ein einziger Tag!», sagt A.

Nadine Kegele: Collage – Michael Poscoleri: Siebdruck

und Olja sagt: «Rassismus ist für Kinder Stress. Ich sage dann: Bitte stören Sie mich nicht. Ich möchte keinen Stress», sagt Olja. Und A. steht auf und tanzt zu EsRap. «Der Tschusch ist da. Der Tschusch ist da. Der Tschusch ist immer wieder da-ha-ha.» Auch wir stehen auf und tanzen mit A. mit. «Was heißt Tschusch?», fragt Mohsina. Und A. tanzt und sagt: «Ich bin ein Tschusch!»

Ich will keinen Stress

Saveta tanzt nicht. Es ist ein anderer Tag. Getanzt haben wir gestern. Heute sagt Saveta: «Ich habe beim Arzt angerufen. Ich wollte einen Termin zum Blutabnehmen. Die Ordinationshelferin hat gesagt: Ich verstehe Sie nicht. Ich bin zum Arzt gegangen. Ich habe gesagt: Blut abnehmen. Die Ordinationshelferin hat gesagt: Ich verstehe Sie nicht. Ich bin wieder nach Hause gegangen. Ich bin ein drittes Mal zum Arzt gegangen. Ich habe mich in das Wartezimmer gesetzt und gewartet. Als der Arzt die Tür geöffnet hat, bin ich zu ihm ins Zimmer gelaufen. Dann hat er mich zum Blutabnehmen ins Labor überwiesen. Beim dritten Mal! Ich weiß nicht – hat die Ordinationshelferin mich wirklich nicht verstanden?», fragt Saveta, und Olja sagt: «Ich bin mit meinem Sohn im Bus gefahren, in der Früh, der Bus ist immer voll, bis hinten. Wenn ich aussteigen muss, ist das ein Problem. Bei meiner Station habe ich gefragt: Entschuldigung, steigen Sie aus? Die Frau vor mir hat gesagt: Nein. Sie ist aber nicht auf die Seite gegangen. Sie hat uns nicht durchgelassen. Ich habe gesagt: Entschuldigung, aber wir müssen aussteigen. Ich habe gerufen, laut, im Bus: Ich muss aussteigen! Eine Frau hat blöd geschaut. Ich hatte so Stress! Ich will keinen Stress, aber in dieser Situation habe ich Stress. Mein Kopf ist rot geworden. Alle haben es gesehen. Ich mag nicht, dass alle sehen, dass mein Kopf rot wird», sagt Olja und Ana sagt: «Ich bin mit meiner Tochter im Autobus gestanden. Eine Frau hat meine Tochter mit ihrer Tasche geschubst, weggeschubst. Meine Tochter hat geweint und gefragt: Mama, warum? Die Frau hat böse geschaut. Der Autobus ist stehengeblieben. Die Frau ist ausgestiegen.» Und Mohsina sagt: «Einmal bin ich in die Straßenbahn eingestiegen, 62. Ein Mann hat geschimpft: Du schlimme Muslimin! Dann hat er mich angespuckt. Ich hatte schöne weiße Sachen an, ein weißes Kleid, eine weiße Hose, ein weißes Kopftuch, schwarze Schuhe, schwarze Tasche. Ich war sehr elegant. Meine Tochter war dabei. Sie war elf. Sie wurde böse, aber ich habe gesagt: Ist gut, nicht schimpfen, nicht zuhören, die Ohren zumachen. Ich habe ein Taschentuch genommen und mich geputzt», sagt Mohsina und putzt mit der Hand an ihrem Kleid.

Kopftuch mögen die Leute nicht

«Ich habe gedacht», sagt Mohsina, «das Kopftuch mögen die Leute nicht. Ich habe es gefühlt. Bei der Breitenfurter Straße sind meine Tochter und ich ausgestiegen. Wir hatten einen Termin für eine neue Wohnung, eine Wohnungsbesichtigung.» Mohsina lacht. «Bei der Wohnung haben wir meinen Mann getroffen. Ich habe gesagt – auf Paschto, ich war noch nicht lange in Österreich –, ein Mann hat mich angespuckt. Mein Mann hat gesagt: Du musst aufpassen. Hier sind Leute manchmal nicht gut. Später, wenn du gut Deutsch verstehst, kannst du diskutieren, aber jetzt nicht», sagt Mohsina. «Mein Mann sagt auch: Österreich hat mir einen Platz gegeben und Wohnung und Schule für die Kinder und ich arbeite. Warum soll ich etwas gegen Österreich sagen? Hier ist alles ruhig. In meinem Land ist Krieg. Wir haben keine Schule, keine Wohnung, kein Essen, sagt mein Mann», sagt Mohsina, und Olja fragt: «Hat jemand eine Hilfe gegeben in der Straßenbahn? Hat jemand dir geholfen?» Mohsina sagt: «Niemand hatte Hilfe, niemand hat etwas gesagt. Alle haben nur geschaut.» Und Olja sagt: «Wenn in der Straßenbahn jemand etwas macht, schauen alle. Niemand hilft.» Und Mohsina sagt: «Zwei Mal haben mir Leute geholfen. Beim ersten Mal bin ich in der Straßenbahn gestanden, 62.» Mohsina lacht wieder. «Es ist immer in der 62.» Dann sagt sie: «Ich habe meine Tochter abgeholt vom Kindergarten. Mein kleiner Sohn war sechs Monate alt. Es war eine tiefe Straßenbahn. Ein Mann ist eingestiegen und hat mich angeschaut. Er hat gesprochen. Ich habe es nicht verstanden zuerst. Eine alte Frau und ein alter Mann haben hin und her geschaut: zu ihm, zu mir, zu ihm, zu mir. Der Mann hat gesagt: Ich sage dir, du Scheiße, du Deppate! Ich habe gesagt: Bitte lassen Sie mich, die Kinder haben Angst. Die alte Frau und der alte Mann haben hin und her geschaut. Der schimpfende Mann hat mich angespuckt. Wieder Spucke in der Straßenbahn 62. Viel Spucke.»

So viel Spucke

Mohsina lacht. «So viel Spucke! Und der alte Mann ist zum Fahrer gegangen dann und hat gesagt: Stehenbleiben! Die alte Frau hat gesagt: Rufen wir die Polizei! Ich habe gesagt: Nein, nein, ich kann nicht gut Deutsch. Beim Aussteigen hatte ich Angst. Der alte Mann hat gesagt: Bleiben Sie hier, gehen Sie nicht! Aber ich habe gesagt: Ich muss gehen, ich habe keine Zeit.» Wir schreiben ein Wort an die Tafel. Wir sprechen langsam jede Silbe aus: Zi-vil-cou-ra-ge. Das V wird gesprochen wie ein W, V wie Vase. Das C wird gesprochen wie ein K, C wie Caritas. Das OU wird gesprochen wie ein U, OU wie Schokolademousse. Das G wird gesprochen wie ein SCH, G wie Bandage. Zivilcourage. Das ist, wenn jemand hilft. Der alte Mann und die alte Frau hatten Zi-vil-cou-ra-ge. «Beim zweiten Mal», sagt Mohsina, «war mein Sohn zwei Jahre alt. Es war wieder in der Straßenbahn, wieder in der 62. Ich habe den Kinderwagen vor mich gestellt. Eine Frau hat gesagt: Das ist kein Kinderwagenplatz! Sie hat den Kinderwagen so – getreten, ja, weggetreten mit dem Fuß. Mein Sohn hat geweint. Er hat so viel geweint. Und meine Tochter hat gezittert. Alle hatten Angst. Ein arabischer Mann hat meine Tochter getröstet und gesagt: Nicht weinen, alles gut. Ein anderer Mann hat geholfen und zu der Frau gesagt: Du hast zweimal getreten, noch einmal treten musst du nicht! Zu mir hat er gesagt: Brauchst du Polizei? Die Frau war sehr edel angezogen, sie hat gesagt: Aber meine Schuhe! Der Kinderwagen ist auf meine Schuhe gefahren, er hat meine Schuhe dreckig gemacht! Eine andere Frau hat gesagt: Nein, ich habe gesehen, dass der Kinderwagen nicht auf die Schuhe gefahren ist. Zuerst haben der Mann und die Frau nur geschaut, aber dann haben sie geholfen. Zi-vil-cou-rage ist Hilfe. Ich habe meinen Sohn aus dem Kinderwagen genommen und an die Brust gedrückt und beruhigt: Psch, psch …»

Warum tschüß?

Olja sagt: «Im Bus habe ich eine Diskussion gesehen. Eine Frau, sie war schwarz, mit einem Kind. Sie hat zu einem Mann gesagt: Geh in ein anderes Land, tschüß! Aber ich verstehe das nicht. Warum sage ich tschüß, wenn ich in Österreich schwarz bin? Einmal hat mich die Frau beim Arzt, die Ordinationshelferin, gefragt: Warum sind Sie in Österreich? Mein Kopf war ganz leer. Ich wusste nicht, was ich sagen soll.» Nadine sagt: «Was hätte Olja sagen können?»

«Ich habe keine Zeit.»

«Könnten Sie mich das bitte nicht fragen?»

«Das ist eine private Frage.»

«Meine Kinder brauchen eine ruhige Heimat. Ihre Kinder brauchen das auch, oder?»

«Die österreichische Politik hat mir Aufenthalt gegeben.»

«Sie können meinen Präsidenten Van der Bellen fragen, wenn es Sie interessiert.»

«Entschuldigung, aber das geht Sie nichts an! Das ist mein Leben!»

«Ich will nicht mehr darüber reden! Ich habe fünfmal Interview gehabt! Das reicht!»

Und Maria sagt: «Ich habe das auch schon gehört, im privaten Kindergarten, von der Direktorin. Ich habe gesagt: Wir gehen von Rumänien nach Österreich. Sie gehen von Österreich nach England oder in die USA. Wir alle suchen einen Ort, wo es gut ist. Wir alle wollen ein gutes Leben für unsere Kinder. Oder wollen Sie nicht ein schönes Leben haben?»

Rassismus melden: www.zara.or.at