Was haben sich die «Freunde des Wohlstands» bloß dabei gedacht!?
Was zunächst wie ein schlechter Scherz klang, ging Ende September tatsächlich und buchstäblich über die Bühne: Österreichs «Supersandler» wurde ermittelt. Reinhold Schachner besuchte das Finale dieser Castingshow und musste sich ein wahrlich schauderhaftes Bild von dieser zynischen Aktion der «Freunde des Wohlstands» (FDW) machen.
Foto: Harry Habers
«Es ist sehr schlimm und peinlich, Hilfe annehmen zu müssen, aber nicht geben zu können. Ich gebe viel lieber, als ich nehme, aber manchmal ist das Leben ein anderes», erzählt der Augustin-Verkäufer Michi S. (vollständiger Name der Redaktion bekannt) vor dem Finale der ersten Ausgabe der Castingshow «Österreich sucht den Supersandler» (ÖSDS). Nun könnte sich das Blatt wenden, denn Michi – so viel sei vorweggenommen – hat das Finale gewonnen, er ist somit Österreichs erster «Supersandler», trotz seiner deutschen Abstammung ist. – Aber alles der Reihe nach.
Die Lobbying-Organisation «Freunde des Wohlstands» (FDW), die sich für die Grundrechte der Superreichen, bspwe. für ungehinderten Kapitalfluss, stark macht, versucht sich nun auch in Sachen Charity. Wenn man dieser Organisation, die sich aus Kreisen des Adels, der Großindustrie und der Finanzwirtschaft zusammensetzt, etwas genauer auf den Zahn fühlt, wird schnell klar, dass ihr Charity-Projekt «Österreich sucht den Supersandler. 25 Jahre Ortsbildverschönerung» (ÖSDS) keinem (bedürftigen) Subjekt, sondern ausschließlich einem Objekt, nämlich dem Feigenblatt, dienen soll – noch dazu auf patscherte, teilweise sogar auf höchst unkorrekte Art und Weise. So heißt es etwa in einer Aussendung zur Show ÖSDS: «Niemand möchte gerne die hässliche Fratze der Armut sehen – und schon gar nicht entlang unserer Einkaufsstraßen und Vergnügungsmeilen.» Die Conclusio daraus: Sandler sollen im Sinne einer «Ortsbildverschönerung» gepflegter auftreten.
Am 26. September ist es zum großen Finale von ÖSDS gekommen. Aus 124 Einreichungen sind zunächst per Onlinevoting drei Finalist_innen ermittelt worden. Dieses Trio wurde im Rahmen der La Donna, der Messe für die Frau in der Wiener Stadthalle, am Stand von ROMA Friseurbedarf von den besten Absolvent_innen der Friseurakademie Wien für den großen Showdown herausgeputzt. Roland Bürger, Marketingleiter von ROMA, auf die Frage, warum sich ROMA auf ÖSDS eingelassen habe: «Weil es sich bei ROMA um ein unheimlich soziales Unternehmen handelt, das bspwe. Kinderheime unterstützt. Und warum sollten wir nicht auch hier helfen. Wir müssen nur einen kleinen Aufwand betreiben, können aber die Aktion zu Werbezwecken nützen. Wir setzen auf eine Win-win-Taktik.»
Dass einem Unternehmen, wie sozial es auch immer eingestellt sein mag, jede Publicity nur recht sein kann, mag wenig überraschen, doch wie kommt man überhaupt auf eine solch zynische Idee, Sandler zu «verschönern», wollte der Augustin von Gerhard Vielmoos, dem Sprecher der FDW wissen. «Obdachlose können schon noch als solche zu erkennen sein, aber wenn ein Obdachloser schön ist, erhält er vielleicht mehr Spenden.» Darüber hinaus bringt Vielmoos auch noch ein Beispiel in Sachen «Ortsbildverschönerung» von seinem Wohnsitz, der oberösterreichischen Landeshauptstadt: «Als in Linz der Hauptbahnhof noch hässlich gewesen ist, sind die Obdachlosen nicht so sehr aufgefallen, aber mit dem verschönerten Bahnhof sehr wohl, also muss man die Obdachlosen wieder verschönern, damit wieder alles zusammenpasst, harmoniert. – Das ist auch die Grundidee zum Projekt ÖSDS.»
Warum tut man sich das an?
Wir wissen spätestens seit Jean-Paul Sartre, dass der Mensch zur Freiheit verdammt sei, aber was bewegt eine_n Obdachlose_n dazu, sich aus freien Stücken derart von einer Gruppe wie den FDW instrumentalisieren zu lassen? Unumwunden spricht Gerhard Vielmoos vom «Kick», sich mit Obdachlosen einzulassen, und schwafelt von einem «soziologischen Interesse», das ihn auch unters Volk bringen würde, «wie zu einem Würstelstand oder zu einer Grillparty auf einem kroatischen Campingplatz».
Severin R., neben dem bereits erwähnten Michi S. und Traude R. (alle vollständigen Namen der Red. bekannt) Finalist von ÖSDS, erzählt am Rande der Signierstunde auf der La Donna über sein Motiv, teilgenommen zu haben: «Der erste Preis, die Botox-Behandlung, hat mich dazu bewegt. Es wird überall weggesehen, die Armut wird nicht akzeptiert, man muss sozusagen die Armut schöner machen, die Obdachlosen schöner gestalten, damit die Menschen nicht wegschauen.»
Auch Traude R. spekulierte mit der Botox-Behandlung. Sie sei knapp sechzig Jahre alt, würde zwar immer junger geschätzt werden, sei aber trotzdem mit ihrem Aussehen nicht mehr zufrieden und hoffe daher auf den ersten Preis.
Bei Michi S. verhielt es sich ein wenig anders: «Da ich keine Botox-Behandlung nötig habe, werde ich im Falle des Sieges versuchen, die Behandlung gegen einen Fitness-Kurs einzutauschen», so der übergewichtige Kolporteur.
Im Anschluss der Signierstunde am Stand von ROMA wurden die drei gestylten Finalist_innen wie Zirkustiere durch die Stadthalle Richtung Laufsteg geführt. Baronesse Klara von Kleingeld von den FDW und Jurymitglied von ÖSDS zur Atmosphäre auf der La Donna: «Es hat schon etwas von Jahrmarkt, aber für die Sandler reicht es.» Nebenbei angemerkt, Frau Baronesse hält es nicht für nötig, den Begriff Freunde im Namen ihrer Lobbying-Organisation zu gendern. Sie hat dabei durchklingen lassen, dass Gendern eine Thematik des gemeinen Fußvolks sei, aber nicht für Menschen ihres Schlages. Wir akzeptieren ihre Meinung, Frau Baronesse und Freund [sic] des Wohlstands! Aber wieder zurück zum eigentlichen Thema.
Nachdem die drei Finalist_innen auf dem Laufsteg wie Tanzbär_innen vorgeführt worden sind, setzten die FDW mit ihrer Entourage zum am Gürtel gelegenen Szene-Lokal Andys & Mikes über, wo die dreiköpfige Jury, neben Gerhard Vielmoos und Klara von Kleingeld auch noch Gerda Geldschläger, den Sieger bzw. die Siegerin küren sollte.
Beim Verlassen der Stadthalle hat sich aber noch eine brenzlige Konstellation ergeben, denn der Verein gegen Tierfabriken (VgT) hatte dort zwei Zelte für eine Anti-Pelz-Kampagne aufgeschlagen. Blöderweise ist die Finalistin Traude R. für den Auftritt im Finale in einen Ozelot gehüllt worden. Doch die Aktivist_innen der VgT haben Ruhe bewahrt, mehr noch: Sie schienen vom Anblick dieses karneval-ähnlichen Umzugs etwas paralysiert worden zu sein, wie auch die Passant_innen, denen Gerhard Vielmoos obendrein auch noch die Frage «Wollt ihr die totale Schönheit?» vor den Latz knallte.
Der «Schiachste» hat gewonnen
Im Andys & Mikes angekommen, wurde der Tross von den Teilnehmer_innen des Masterlehrgangs Eventmanagement der FH St. Pölten in Empfang genommen, denn die Studierenden mussten im Rahmen eines Praktikums die Organisationsarbeit für ÖSDS durchführen. Als Schirmherr der Aktion fungierte Alex List. Der ehemalige Ö3-Moderator und DJ gab vor, sich in die Lage von Obdachlosen versetzen zu können, weil er 20 Jahre lang mit der Ö3-Disco Nächte in Sporthallen, Bierzelten oder gar auf Open-Airs verbringen hätte müssen, wo es oft kalt gewesen sei. «Ich möchte diese Zeit nicht mehr erleben müssen und bin froh, dass es mir jetzt gut geht.» Keine Ahnung, unter welchem Biertisch dieser DJ seine Empathie für Bedürftige gefunden hat. Ähnlich unsensibel und tollpatschig zog sich auch die Moderation durchs Finale. Severin R. wurde mit den Worten, er übe etwas viel Kapitalismuskritik für unseren Geschmack aus, aber ansonsten sei er ein ganz ein Lieber, vorgestellt. Zu Traude R. fiel der Moderatorin, einer C-Promi, nichts Besseres als «Sie ist eine Top-Sandlerin, mit Herz, Hirn und hoffentlich bald auch etwas Hyaluron» (ein Faltenauffüller, Anm.), ein. Mit anderen Worten despektierliche Sprüche fielen am laufenden Band …
Schlussendlich wurde Michi S. von der Jury zum Sieger von «Österreich sucht den Supersandler» erklärt, weil er der «Schiachste» der drei Finalistinnen gewesen sei und somit am dringendsten der Behandlung bedürfe, so die Begründung. Bei Michi S. flossen trotz dieser uncharmanten Worte aus lauter Freude die Tränen. Der ansonsten sehr eloquente Ex-Berliner mit Wahlheimat Wien schluchzte nur noch: «In diesem Moment geht es mir gut. Ich weiß aber nicht, wie die Nacht werden wird, ob ich einen Schlafplatz finden werde …»
Lediglich eine Stimme der Vernunft ist am Ende dieses perversen Spektakels zu vernehmen gewesen. Stefanie Göllner vom Masterlehrgang Eventmanagement meinte: «Klassischen Charity-Veranstaltungen wird oft angekreidet, dass sie Elendsvoyeurismus bedienen würden. Daher gilt es, kritisch zu betrachten, ob die Aktion als medialer Aufhänger verwendet wird oder ob in ethisch angemessener Weise mit der Bedürftigen-Gruppe umgegangen wird. In den letzten Jahren wird Guerilla-Marketing immer öfter eingesetzt. Wenn man mit solchen Projekten nicht vertraut ist, schreckt man im ersten Moment vielleicht zurück. Kommt man aber über die erste Schwelle hinweg, kann man sich mit dem Thema auseinandersetzen und es hinterfragen.»