«Wollte ein Vorbild sein»vorstadt

Lokalmatador

Bilal Albeirouti lenkt derzeit Straßenbahnen durch Wien. Eigentlich ist er Sportjournalist.

TEXT: UWE MAUCH
FOTO: MARIO LANG

Er mag alle zehn Linien. Aber mit dem 43er, sagt Bilal Albeirouti, fährt er am liebsten: «Da sind immer viele Fahrgäste in meinem Zug, da ist immer was los. Außerdem fahre ich an meiner Wohnung vorbei.» Der Straßenbahnfahrer lächelt, dann fügt er hinzu: «Da kann mich auch meine Frau kontrollieren.»

Damaskus.

Dass er einmal mit der «Bim» durch die Hauptstadt Österreichs fahren wird, hätte er sich vor zehn Jahren nicht im Entferntesten gedacht, erzählt der gebürtige Syrer im Büro des Expeditleiters, der im Übrigen auch Fluchterfahrung hat (er stammt aus der bosnischen Stadt Tuzla).
Der Sohn eines Kaufmanns genoss vor dem Krieg in seinem Land «ein gutes Leben». Während seines Studiums arbeitete er bei einer täglich erscheinenden Sportzeitung in Damaskus. Nach dem positiven Studienabschluss fand er dort seine erste Anstellung: «Das war eine sehr schöne Zeit. Ich habe vor allem über Fußball berichtet. Wir wurden für acht Stunden pro Tag bezahlt. Gearbeitet haben aber alle nur fünf.»
Nie habe er über Politik geschrieben, betont Bilal Albeirouti dann. Doch für ein ­Regime, das gegen sein eigenes Volk Krieg führt, sind alle Menschen mit einem Presseausweis verdächtig, selbst jene, die in erster Linie Sportler:innen interviewen. «Zwei Mal musste ich unschuldig ins Gefängnis: ein Mal für drei und ein Mal für sechs Monate.»
Manchmal, wenn er hinauf nach ­Neuwaldegg oder hinunter in den Prater fährt, tauchen vor seinem geistigen Auge Bilder aus seinem früheren Leben in Syrien auf: Als er im Jahr 2013 aufgrund seiner Zivilcourage erneut in das ­Visier des Geheimdienstes geriet, musste er endgültig seine Heimat verlassen.
Ein gut informierter Mitarbeiter des Regimes riet ihm, nachdem er dafür seine Hand aufgehalten hatte: «Fahr’ schnell nach Hause, pack’ deine Sachen und verabschiede dich von deiner Familie! Morgen ab acht Uhr scheint dein Name auf jedem Grenzübergang auf.»
Der zur Verhaftung Ausgeschriebene ­stopfte seinen Laptop und wenig Privates in eine ­Tasche. Seine Flucht führte via Beirut nach Europa: «Ohne konkretes Ziel.»
In einem überfüllten Schlauchboot über­lebte er die Fahrt übers Mittelmeer. Auf der berüchtigten Balkanroute fand er dann den Weg nach Wien.

Hütteldorf.

Heute fährt Bilal Albeirouti mit dem 1er, dem 2er, dem 9er, 37er, 38er, 40er, 41er, 42er, 43er und mit dem D. Und einige Leute, die er in seiner Heimat zurücklassen musste, glauben immer noch, dass er in der Ferne ­Busse lenkt. «Bei uns in Damaskus gab’s auch mal eine Straßenbahn, aber das ist lange her.»
Er lenkt gerne Züge durch Wien, doch er hat auch einen Wunsch: «Wieder als Journalist arbeiten zu dürfen.» Er hatte sich im Rahmen eines Praktikums beim Stadtmagazin biber gut bewährt. Doch von den fallweisen Honoraren als freier Mitarbeiter wäre das Leben seiner Familie (seine Frau ist Kosmetikerin, mit ihr hat er zwei Kinder) nicht finanzierbar gewesen.
Auf die Frage nach der hiesigen Religion («Austria oder Rapid?») lässt der Bim fahrende Sportjournalist wenig Raum für Spekulation: «Ich war schon einige Male im Stadion in Hütteldorf.»
Nach dem Erhalt eines positiven Asyl­bescheids hat Bilal Albeirouti gezählte 420 Bewerbungen abgeschickt, ohne zählbaren Erfolg. Den Beruf als Straßenbahnfahrer hat er dann mehr als nur hartnäckig angestrebt: «Ich ­wurde erst nach der dritten Bewerbung zur Ausbildung zugelassen.»
Die spezifische Ausbildung sei für ihn aufgrund der sprachlichen Barrieren auch nicht einfach gewesen: »Ich habe alle Lehrbehelfe vom Deutschen in meine Muttersprache übersetzt. Ich wollte das unbedingt schaffen, wollte ein Vorbild sein.»
Dieses Ziel hat er erreicht. Seit eineinhalb Jahren sichtbar mit der Tram in Wien unterwegs, kennen und schätzen ihn heute viele ­Leute. Und bald jeden zweiten Tag bekommt er eine Anfrage: «Bruder, was muss ich tun? Ich möchte auch zu den Wiener Linien.»

Erdberg.

Der Mitarbeiter der Verkehrsbetriebe ist gut unterwegs, auch was seine Sprachkenntnisse anlangt. Mittlerweile versteht er auch den urigen Slang der Kolleg:innen auf den Bahnhöfen. «Das war für mich anfangs ur schwierig.» Einen Ausbildner hätte er sogar bitten müssen, «Deutsch mit mir zu reden».
Das Wiener Superlativwort «ur» ist inzwischen in seinen Sprachgebrauch übergegangen, etwa wenn er erklären möchte, wie sehr er diese Stadt mag.
Und wer weiß, vielleicht landet ja Bilal Albeirouti noch in der Zentrale der Wiener ­Linien in Erdberg, als deren erster Pressesprecher aus Syrien. Oder im Westen der Stadt, als rasender Reporter bei den Grün-Weißen.

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