Women of RockArtistin

Borgers` Film über Nomadinnen widersteht der Versuchung, mit Mitleid zu punkten

Mit ihrem Film über die Kronen Zeitung löste die belgische Regisseurin Nathalie Borgers im Jahr 2002 ein Flut von Diskussionen über die wichtigste Zeitung in diesem Land und ihre Macher aus. In Die Frauenkarawane, ihrer aktuellen Dokumentation, zeigt Nathalie Borgers eine Gruppe von Frauen vom Nomadenvolk der Toubou, die einmal im Jahr durch die Sahara zieht, um sich damit ein Stück Freiheit zu erwirtschaften. Winds of Sands, Women of Rock ist der englische Titel des Films. Im Augustin-Interview erzählt die Filmemacherin über die Stellung der Frau in der Toubou-Kultur und davon, was sie von den Frauen gelernt hat.Du beschäftigst dich in deinen Filmen oft mit Frauen, was ist dein spezielles Interesse?

Ich denke, es ist wichtig eine Frauenperspektive zu zeigen. Die Medien zeigen oft eine Perspektive der Männer, wir sind geprägt davon. Das ist nur ein Teil der Gesellschaft und der Erfahrung.

Was hat dich an der Frauenkarawane interessiert?

Es geht um die Erfahrung der Frauen, wie sie das Leben sehen, wie sie sich an die Umwelt anpassen, wie sie mit Männern umgehen. Es geht natürlich um diese Reise, weil das in ihrem Leben sehr wichtig ist. Dadurch können sie ökonomisch unabhängig sein und sich ein bisschen mehr Freiheit verdienen. Aber es geht auch um diese drei Frauen und ihre Geschichten, Hoffnungen und Lebensansichten.

Der Handlungsspielraum der Toubou-Frauen ist sehr eingeschränkt. Wie bist du damit umgegangen, hat dich das wütend gemacht?

Wenn ich mit den Männern gesprochen hätte, hätte ich mich vielleicht mehr geärgert. Aber ich hab ja mit den Frauen geredet. Der ganze Kontext ist ja auch so anders. Du denkst natürlich, es wäre gut zu zeigen, wie es anders sein kann. Aber dann fragst du dich wieder: Inwieweit ist es gut, die Gesellschaft, wie sie ist, zu ändern? Sicher, bei einigen Dingen wäre es gut, wenn sich alle Gesellschaften ändern würden. Auf der anderen Seite steht die Frage, ob unsere Gesellschaft besser ist. Wenn es um Gewalt gegen Frauen geht, dann natürlich. Aber das ganze Volk der Toubou ist härter und kämpferischer und brutaler. Die Frauen können sich teilweise sehr stark verteidigen. Die älteren Frauen lachen immer, wenn sie diese Geschichten erzählen, aber die jungen Frauen … Deswegen ist die Hochzeit für sie so wichtig. Bis zu diesem Moment sind sie wirklich nichts. Die Burschen können ab dem Alter von zwölf Jahren mit den Männern Tee trinken, die Mädchen nicht. Sie können nichts sagen, dürfen nur mit gleichaltrigen Mädchen reden. Wenn sie verheiratet sind, dann fangen sie an, ein bisschen Macht zu haben. Wenn der Mann etwas macht, was die Gesellschaft als nicht richtig erachtet, dann kann die Frau, wenn der Mann schläft, ihn mit einem Stück Holz schlagen, wirklich fest. Dann läuft die Frau zu ihren Verwandten und die Familie wird sie verteidigen wenn sie wirklich Recht hat.

Wer urteilt darüber, ob sie Recht hat oder nicht?

Entweder sie finden ganz schnell eine Lösung zwischen den Familien der Frau und des Mannes oder, wenn es ein bisschen komplizierter ist, kommt ein alter Mann und beurteilt es. Für die Toubou-Frau ist es zum Beispiel selbstverständlich, dass sie treu ist. Aber wenn sie mit einem anderen Mann schlafen würde, würde nichts Schlimmes passieren. Die Leute gehen davon aus, dass ihr Ehemann sie nicht zufrieden gestellt hat. Er kann sich dann gegenüber dem anderen Mann beschwerden, aber nicht gegenüber der Frau. Die Frauen können sich auch scheiden lassen, und wenn sie geschieden sind, dann können sie ihre Entscheidungen selber treffen. Sie können auch Liebhaber haben.

Ein Film ist auch ein Eingriff in das Leben der ProtagonistInnen. Wie entscheidest du für dich, wo die Grenze ist, wann ist es genug?

Du kannst schon weit gehen zwischen Frauen. Sie geben dir das, was sie wollen. Ich denke, ich habe so viel gemacht, wie ich konnte unter diesen Bedingungen. Ich habe oft zwei bis drei Themen bei jeder Station der Karawane angesprochen. Aber es ist eine Reise, du kannst nicht zurückkommen. Du kannst nicht dasselbe Bild wieder verwenden, wenn die Karawane im Film schon weitergezogen ist. Es ist auch schwierig, etwas zu machen, wenn die Gesellschaft so fremd ist und man dann die Zusammenhänge gar nicht versteht. Deswegen bin ich nur bis zu dem Punkt gegangen, wo alle noch verstehen können.

Der Film drückt einen großen Respekt vor den Frauen aus, er versucht nicht, Mitleid zu erregen.

Ja, das wollte ich auf keinen Fall. Was ich hoffe, dass die Leute von dem Film mitbekommen, ist die Stärke dieser Frauen und dass man für seine Umwelt selbst kämpfen muss. Wichtiger als dass sie Rechte bekommen, ist für mich, dass sie Selbstvertrauen bekommen. Oft geht das damit einher, aber Rechte bringen nicht automatisch Selbstvertrauen. Das Gesetz bringt manchmal zwar Klagen, aber wir verteidigen uns deswegen nicht besser. Andere Männer machen das für uns, durch Anwälte zum Beispiel. Selbstvertrauen und Selbstwert ist das, was diese Frauen mir gezeigt haben. Wir haben oft viel weniger davon, obwohl diese Frauen von ihrer gesellschaftlichen Position aus in einer viel schlimmeren Situation sind.

Die Frauenkarawane

Einmal im Jahr zieht im südlichen Niger eine Frauengruppe vom Nomandenvolk der Toubou mit Kindern und Kamelen ein paar hundert Kilometer durch die Sahara. Grund dafür sind die vollen Dattelbäume in der Oase von Bilma, deren Ertrag den Frauen eigenes Geld bringt. Rund drei Wochen dauert es, bis die 30-köpfige Karawane den beschwerlichen Weg durch die Wüste, bei 50 Grad im Schatten, hinter sich gebracht hat und mit der Dattelernte beginnen kann. Der Verkauf der Datteln ist neben der Zucht von Kamelen, die den Männern vorbehalten ist, eine Möglichkeit, Geld zu verdienen. Die eine oder andere Frau aus der Karawane hat allerdings andere Pläne für das Geld, als damit eine Jahresration Hirse zu kaufen. Amina Ahmed, beispielsweise, möchte ihre Erträge in ein eigenes Geschäft investieren. Als geschiedene Frau ist die 27-Jährige ohnehin frei in ihren Entscheidungen. Ganz im Gegensatz zur sonstigen Realität der Toubou-Frauen, die erst durch die Heirat mit einem Mann zu einem wahrnehmbaren Mitglied der Gesellschaft werden. Im acht Wochen dauernden Dreh entstehen faszinierende Landschaftsaufnahmen, Bilder des Karawanenalltags und Porträts von drei Frauen der Karawane. Dankbar ist man der Regisseurin Nathalie Borgers für ihren Zugang zum Film, der nicht vordergründig exotische Bilder fremder Kulturen zeigen will, sondern das Leben der Frauen unter diesen extremen Bedingungen. Extrem sind dabei sowohl der gesellschaftliche Stellenwert als Frau als auch die Wüste als Lebensraum. Auch die Kamele der Karawane sind wichtige Protagonisten im Film wie im Leben der NomadInnen. Im wirtschaftlichen System der Toubou sind die Kamele das Maß aller Dinge. Selbst ein Menschenleben wird in Kamelen gezählt, wobei das Leben einer Frau 50, das Leben eines Mannes jedoch 100 Kamele wert ist. Die Neugierde auf die Protagonistinnen der Frauenkarawane kann der Film nicht ganz stillen. Gleichzeitig aber drückt die gefühlte Distanz zu den Frauen einen großen Respekt gegenüber ihnen und ihrer Kultur aus, was versöhnlich stimmt. Zu sehen ist die eindrückliche Dokumentation über die einzige existierende Karawane, die von Frauen geführt wird, ab 15. Jänner im Wiener Gartenbaukino. Bei der Vorpremiere am 13. Jänner gibt es anschließend an den Film eine Diskussion im Beisein der Regisseurin.

Info: Die Frauenkarawane Winds of Sands, Women of Rock Regie und Buch: Nathalie Borgers BE/A/F 2009, 90 min., Om 15. bis 21. Jänner, tägl. um 17, 19 und 21 Uhr im Gartenbaukino Vorpremiere: 13. Jänner, 20 Uhr im Gartenbaukino

www.frauenkarawane.at

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