Wonach riecht Wien?vorstadt

Immer der Nase nach (III. Teil)

Welche Gerüche assoziieren wir mit Wien? Gibt es einen typischen Wien-Geruch? Kann man Lebensqualität riechen? Eine Umfrage von Stephanie Weismann (Text) unter Wiener_innen erzählt von deren Geruchseindrücken. Fotos: Mario Lang

Stadtluft gilt gemeinhin als schmutzig und ungesund. Doch neben Autoabgasen und Industriesmog prägen zahlreiche andere Geruchsfaktoren eine Stadt: Sommers riecht sie anders als im Winter, eine Hafenstadt riecht anders als eine Stadt in der Steppe, zusätzlich bringen ihre unterschiedlichen Bewohner_innen ihre jeweiligen Duftnoten ein (vor allem, wenn es um Kulinarisches geht), und ob man eine Voest- oder eine Manner-Fabrik vor der Nase hat, macht ebenfalls einen olfaktorischen Unterschied. Jede Stadt hat ihre spezifischen Geruchslandschaften. Unsere (Stadt-)Wahrnehmung ist trotz der mittlerweile vorherrschenden visuellen und akustischen Reize vor allem vom Riechen beeinflusst und gesteuert. Der Geruchssinn ist laut dem Soziologen Georg Simmel die «intimste Wahrnehmung», weil Gerüche eine körperliche UND emotionale Erfahrung sind. Gerüche haben einen großen Einfluss darauf, welche Orte, Situationen und Menschen wir positiv oder negativ wahrnehmen. Riecherfahrung ist eine der mächtigsten Erfahrungen und deshalb nicht zu unterschätzen. Stadtluft erzählt also keineswegs nur von Umweltverschmutzung, sondern vor allem von Menschen und ihren Gewohnheiten, von historisch und topographisch gewachsenen Besonderheiten und lokalen Spezifika – die zusammen den Eigengeruch einer Stadt ausmachen.

Olfaktorische Stadtidentitäten.

Der Stadthistoriker Peter Payer beklagt eher pessimistisch: «Das ehemals schillernde Geruchspanorama Wiens ist einem monotonen Dunst gewichen.» Und gewiss haben Autoabgase und Industrieemissionen heutzutage alle Großstädte fest im Griff, doch gilt es gerade deshalb, den (gar nicht so) subtilen Gerüchen einer Stadt mehr Aufmerksamkeit zu schenken, um so dem Charakter einer Stadt auf die Spur zu kommen. Die norwegische Geruchsspezialistin Sissel Tolaas beschäftigt sich seit Jahren mit den Geruchslandschaften verschiedener Städte und ihren spezifisch urbanen Geruchsidentitäten. In ihrem Projekt «Smell Landmark Munich» etwa hat sie Münchens Geruchsidentität als zwischen «Bier, Fleisch und teuren Parfums» festgelegt und als Duft kreiert. Was augenscheinlich nach Klischee riecht, mag seinen wahren Kern haben. In meiner Umfrage zum olfaktorischen Porträt Wiens, kamen folgende Gerüche zu Tage: «Wien, das sind Pferdeäpfel.» Unter den ersten olfaktorischen Assoziationen mit Wien nimmt der Fiaker und seine dementsprechenden Ausdünstungen den ersten Platz ein – auch, weil Fiaker die Stadt tatsächlich großflächig beduften: Der charakteristische Geruch von uringetränktem Stroh und herbem Leder, Pferdeschweiß und warmen Pferdeäpfeln begleitet uns aus den Stallungen von Meidling bis Hernals bis in die Innenstadt und drücken einer beachtlichen Fläche urbanen Raums ihren olfaktorischen Stempel auf. Mancher ermisst an diesem Geruch sogar Spuren des Habsburger-Mythos: «Der Pferdegeruch der Fiaker zeugt vom langen Nachleben des imperialen Wien» – da können Sacher-Torte oder Sisi-Veilchen einpacken.

Grätzlgerüche.

Platz zwei der olfaktorischen Wien-Kulisse nehmen wenig überraschend die charakteristischen Duftmarken der Ottakringer Brauerei und die Manner-Fabrik ein. Wien wäre wohl ohne die beiden dominanten Werke um einen olfaktorischen Identitätsmarker ärmer. Lebensmittelindustrien gehören trotz strenger Auflagen und neuer Filtersysteme zu den geruchsintensivsten. Bier- und Mannerschnittenproduktion sind dementsprechend aus ihren jeweiligen Bezirken nicht wegzudenken, ja sie würden geradezu fehlen! Denn auch jeder Stadtteil, oder wie in der Umfrage betont wurde, «jedes Grätzl hat seinen eigenen Geruch», man muss ihn nicht mögen und doch kann er einem teuer sein. Diese Grätzlgerüche machen auch die Vielfältigkeit einer Stadt aus. «Manche sind sehr eindrucksvoll, manche nicht wahrnehmbar. Wien ist dann ein Potpourri davon.» Somit wird Wiens Geruchsidentität als «divers wie seine Bezirke» beschrieben, aber auf jeden Fall «lebendig und bunt».
Stadtverwaltungen und Stadtplaner_innen dagegen assoziieren mit lebendigen Geruchslandschaften eher notwendige Kontrollmaßnahmen und effizienteres Geruchsmanagement – geruchsintensive Industrie auslagern, störende Gerüche verbieten, entlüften, stattdessen künstlich beduften – dabei wird oft vergessen, dass bestimmte Gerüche erhaltenswert sind, weil die das Leben und auch unsere Orientierung in der Stadt ausmachen. Tolaas hat für Berlin erschnüffelt, dass Neukölln nach Döner und Weichspüler riecht – hier wohnen viele kinderreiche Familien. In Charlottenburg hingegen hat man Seifensauberkeit in der Nase. Reinickendorf riecht nach Sonnenstudio. Und aus dem S-Bahn-Schacht Jannowitzbrücke kann man noch immer den sozialistischen Vorwendezeitdunst von Kohleöfen und scharfen Putzmitteln erhaschen. Gerüche prägen immer noch grundlegend den (vielseitigen) Charakter einer Stadt und sind wesentlicher Teil der Stadtidentität und ihrer Bewohner_innen. Was macht also neben Pferdeäpfeln und Hopfengeruch noch den Charakter Wiens aus?
Wiener Geruchscharakterstika. «Gerüche von Gras und Wasser gehören zu Wien», ist ein weiteres dominantes Ergebnis der Umfrage. Wien darf sich also nicht von ungefähr ein weiteres Mal «lebenswerteste Stadt» nennen, denn «je nachdem, wo man wohnt, hat man in Wien mehr oder weniger den Genuss von Bäumen, Sträuchern und dem Duft von frisch gemähtem Gras». Wien duftet «botanischer, als man für eine Großstadt meinen würde», und «Wien riecht zumeist sehr sauber», vor allem, wenn man (aus Bangkok kommend) in Wien landet, «da denkt man sich, man sei in einem Luftkurort». Zu den liebgewonnenen Gerüchen in Wien zwischen Gras und Wasser gehört auch die Geruchskulisse der Wiener Badekultur. Diese Präferenz mag dem Sommer geschuldet sein, und doch mögen auch der Geruch von «Alte-Donau-Wasser» und «der Geruch nach altem Holz und Sonnenöl in den alten Umkleidekabinen im Kongressbad» neben den charakteristischen Ausdünstungen des «Badebuffets» zum Status der lebenswertesten Stadt beitragen.

Olfaktorische Intoleranzen.

George Orwell schrieb, dass alle Unterschiede in Ethnien, Religion, Bildung, Moral und Temperament überwindbar sind, nur die körperliche, geruchliche Ablehnung des Gegenübers nicht. Sissel Tolaas aber sagt: «Wer ein offener Staats- und Weltbürger sein möchte, muss mit der Toleranz der Nase beginnen. Die ist lernbar, wenn man den Geruchssinn wieder ins Bewusstsein holt.» Sich in Toleranz zu üben schadet auch den Wiener_innen ganz und gar nicht, denn zu den einstimmig lästigsten Geruchskomponenten Wiens gehören «ungewaschener Schweißgeruch in den Öffis», wobei hier die U6 als prominentester Ort des Anstoßes fungiert. Und was den Bewohner_innen der Bundeshauptstadt trotz oder gerade aufgrund groß angelegter Kampagnen immer noch kräftig stinkt, ist «der Geruch von Hundekot».
Damit den Menschen aber trotz dampfender Hundeköttel und schwitzender Passagiere der Spagat zwischen organischer Gegenwart und imperialer Vergangenheit gelingt, hat der Duftpoet Paul Divjak ein Parfum für «Wiener und Wienerinnen von Welten» geschaffen. Das Parfum «Eau Majesty» ist an Maria Theresias Duftlandschaften der Schönbrunner Orangerie angelehnt. Also in Zukunft niemals U6 fahren ohne «Eau Majesty»!