Wort-Graffiti in multikulturellen ParksArtistin

Gucklöcher in die Welt der Gefühle

Thomas Northoff ist mit rund 16.000 Belegen in Dia-Form im Besitze des vielleicht größten Verbal-Graffiti-Archivs der Welt. Verbal- oder Wort-Graffiti – Northoff nennt sie die „inoffiziellen Wandbotschaften“ städtischer Jugendlicher – stehen zum Unterschied von den „Tags“ und Pieces“ der SprayerInnen, also den auffallenden, oft farbenreichen bildnerischen Graffiti im Schatten der Aufmerksamkeit. Im Auftrag des Wiener Integrationsfonds hat Northoff nun die gesprayten und gekritzelten Sprüche zum Thema „Ausländer“ untersucht. Hier Auszüge seines Berichts über die „inoffiziellen Wandbotschaften im Spannungsfeld von Migration, Interkulturalität und Integration“.Das Material habe ich im Laufe von bisher achtzehn Jahren hautptsächlich in Österreich, aber auch in Deutschland und in der Schweiz zusammengetragen. Diese Spurensuchen sind auch ein Versuch, Städte ganzheitlicher aufzufassen und in der Folge über das vorgefundene Material Bereiche der Lebenswirklichkeiten v.a. in Österreich systematisch zu erschließen.

Die Zahl der Fundorte zu diesem Thema ist praktisch unbegrenzt. Die Sammlung wird laufend erweitert.

Die Anonymität, die ein Typicum von verbalen Graffiti ist, fördert die Möglichkeit zu völlig unzensurierten Äußerungen, vor allem auf den Toilettenanlagen, wo man nicht fürchten muß, erwischt zu werden und seine Äußerung inhaltlich rechtfertigen zu müssen. Die Annahme ist daher berechtigt, daß es sich um unverfälschte Meinungen handelt.

Erwiesen ist auch die Ventilfunktion von Graffiti, die einen, wenngleich meist nur vorübergehenden, Spannungsabbau der schreibenden Personen ermöglicht. Wenn sich, laut einer 1999 durchgeführten Studie im Auftrag der Arbeiterkammer OÖ, 44% der in Österreich lebenden Ausländer unterdrückt fühlen, müßte sich diese Tatsache auch in deren Sprache an den Wänden ausdrücken.

Ley und Cybriwsky, die in den 70er Jahren über Stadt-Graffiti als Territorialmarkierungen arbeiteten, schreiben, daß Graffiti „kleine Einsichten, kleine Gucklöcher in die Gedanken und die Gefühlswelt von einzelnen Menschen“ seien, „die nicht nur für sich selbst, sondern auch für ihre Gesinnungsgenossen sprechen“.

Parks gehören zu den zentralen Orten ausländischer Kinder und Erwachsener. In den dortigen Graffiti der Jugendlichen spiegeln sich einerseits die Probleme aller Jugendlichen wie Liebe, Stars, Kraftmeiertum und Sexualität, andererseits stellen interkulturell sprechende Graffiti jeder Art einen beträchtlichen Anteil. Viele davon sind beschimpfend, beschuldigend bis drohend aggressiv. Sie dienen dazu Personen aus einer anderen soziokulturellen Herkunft stark gegen sich, den Botschaftenschreiber abzugrenzen.

Am auffälligsten in den 18 Jahren meiner Beobachtungen der Sprache an den Wänden war die schriftliche Spiegelung der Feindschaft zwischen Kroaten und Serben. Mit dem Krieg wurden Bosnien-Herzegowina-Graffiti sowie die Graffiti der albanischen Minderheit schlagartig mehr.

Ein Hauptelement der Graffiti dieser Gruppierungen, ähnlich wie bei FußballfanGraffiti, ist das Symbol. Das Zeichen, das in Österreich seit Jahren die Wände dominiert, ist längst nicht mehr das A im Kreis. Es ist das Cetnic-Zeichen, ursprünglich das Zeichen der serbischen Königstreuen. Das Anarchisten-A ist im Identitidätsrepertoir der slawischen Sprachen kaum zu finden.

Ungeachtet ihrer individuellen Verschiedenheiten sind den Mitgliedern einer Gruppe die Symbole gemeinsam. Sie sind gewissermaßen unter einer Flagge vereint.

Die Graffiti belegen das. Hier nimmt sich einer die Zeit und breitet akribisch zeichnend die ganze Landes-Flagge aus und schnitzt das Wappen unauslöschlich ein. Oft wird das Symbol mit Strahlen bekränzt oder die Strahlen gehen von ihm aus. Andere Varianten sind Siegeskranz, doppelter Kreis, Totenkopf etc. Beliebige Ländernamen sind einsetzbar.

Es eint aber das eigene Symbol genauso wie der Kampf um Degradierung der Symbole der anderen.

Der Inbegriff der Beleidigung eines Symbols, das der andere wertschätzt, ist die Löschung oder eine graffitistische Veränderung, die das Symbol lächerlich erscheinen läßt. Wenn im Cetnic-Zeichen neben den vier C im Kreuz plötzlich vor jedes C der Buchstabe W hinzugefügt wird, wie in Graffiti öfter vorhanden, meint das wahrscheinlich, daß diese Gruppierung und ihre Ziele für die Klospülung geeignet seien. Und alle Passanten können die Schmach sehen.

Die Erforschung des Matznerparks….

Ich beobachte über die Jahre vier Parks und statte ihnen immer wieder Besuche ab. Ein interkultureller Sonderfall ist der Stadtpark. In der Hälfte zwischen Ring und Wienfluß sind Fremde als TouristInnen erwünscht und ballen sich besonders vor dem Strauß-Denkmal. Dennoch gibt es nur wenige „Ich-war-hier-Graffiti“, die an solchen Orten zum normalen Erscheinungsbild gehören. Die Szene der österreicherreichischen und fremdsprachigen Dealer, die sich über lange Strecken des Tages im Nahebereich aufhält, hinterläßt keine Spuren. Hingegen sind die Bänke im Parkbereich jenseits des Wienflusses voll mit Pop-Gruppen-Namen, Tags und Gang-Namen, auch Fußballgraffiti, Scherze, Beschimpfungen, Haß und Liebe. Der von zahlreichen Jugendlichen mehrerer Ethnien besuchte Parkteil weist (zuletzt Dezember 1999) fast keine fremdenfeindlichen Graffiti auf.

Aber der Stadtpark ist nicht typisch. Nehmen wir den Matznerpark im 14. Wiener Gemeindebezirk. Dieser liegt etwa zehn Fußminuten vom 15. Bezirk, Wiens dichtestem Zuwandererbezirk. Der Park ummantelt den Penzinger Friedhof. Von der Verteilung der BesucherInnen her kann man an ihm einen „Einheimischenteil“ und einen „Ausländerteil“ unterscheiden. Im „Ausländerteil“ befinden sich nebst zahlreichen Bänken unter Kastanienbäumen ein eingezäunter Fuß- und Basketballplatz (in einem) und eine große Sandkiste mit Holzkletterburg für Kinder.

Juni 1998 führte ich in Zusammenarbeit mit Kollegin Anna Härle und zwei Klassen einer Sonderschule und deren Lehrerinnen eine Sondierung der Botschaften im Matznerpark durch. Die Schule liegt nahe dem Matznerpark, den die Kinder in ihrer Freizeit selbst besuchen. Unter den durchschnittlich vierzehnjährigen SchülerInnenen befand sich nur ein Jugendlicher mit österreichischer Staatsbürgerschaft.

Wir erforschten die Bänke, Tische, Wände, Spielgeräte im Park nach verbalen Botschaften, kategorisierten diese kindgerecht und besprachen Inhalte dieser Sprachäußerungen. Zunächst hatten die Jugendlichen jedoch ungestüme Lust, nur die Liebesgraffiti unter vielen Kommentaren zu verfolgen. Sie erkannten aber bald, daß sie mit einer Vielfalt an Botschaften konfrontiert sind.

Viele Jugendliche hinterlassen in Parks mit ihrem Namen nur die Botschaft, daß sie da waren. Manche fügen hinzu, daß, wo ihr Name prange, niemand anderer sitzen dürfe. Nur einmal kommt vor: Niemand + Niemand.

Im Matzner-Park herrscht im Jugendteil das Thema Liebe vor, bei Graffiti von Buben sehr oft erweitert durch Forderungen nach Sexualverkehr.

Dem Nationengemisch im Park entspricht die Vielfalt der favorisierten Fußballvereine (z.B. Fenerbace) und ebenso jene der angefeindeten (z.B. Rapid). Rapid unterstützende Graffiti sind öfter mit ausländerfeindlichen Inhalten verbunden und groß über die Graffiti der MigrantInnen-Jugendlichen geschrieben oder gesprüht.

Friedhofsmauern sind für Schreiber und Bildersprayer im allgemeinen tabu. Entlang der Mauer um den kleinen Matzner-Friedhof findet sich nur ein einziges, eher unscheinbares Piece. Pieces gehören den American Graffiti an und sind von ihren ErzeugerInnen als Kunstwerke konzipiert. Auch ihre Erzeugung hatte ursprünglich Motivationen von interkulturellem Belang. Sie finden sich z.B. im 14. Bezirk in größerer Zahl entlang des Wienflußbettes. Das Piece im Matzner-Park befindet sich im „ÖsterreicherInnen-Teil“ und ist nicht zuordenbar.

Im „Einheimischenteil“ halten sich tagsüber hauptsächlich ältere Menschen auf. Tische und Bänke waren dort seltener beschrieben, doch ebenso in mehreren Sprachen.

An vorkommenden Sprachen haben die Kinder vor allem Serbisch, Bosnisch, Türkisch und Deutsch erkannt.

Aus der politischen Emblematik sind das Zeichen der Cetnics, das Zeichen der Ustascha, weiters das Wappen von Bosnien und der Sichelmond mit Stern im „Ausländerteil“ am zahlreichsten angebracht. Auch Partei-Namen finden sich auf den Tischen. Eine Schülerin behauptete von einem bestimmten Graffito, sie hätte es geschrieben. Es war die Abkürzung für eine fundamentalistische türkische Partei, die inzwischen verboten wurde.

Ein Tisch dürfte PKK- freundlichen Jugendlichen vorbehalten sein, da oftmals, der Oberflächenverwitterung nach aber durch längere Zeit „PKK“ eingeschrieben war.

Nazi-Zeichen und-Sprüche finden sich im ganzen Park. Es sind wenige, und ihre Auftragung ist sichtlich schon lange her.

Aus den Gesprächen mit den Jugendlichen war zu erkennen, daß die in verbalen Graffiti sich zeigenden Konflikte auch einen Teil der Wirklichkeit spiegeln, welche die den Park frequentierenden Kinder selber erleben. Tagsüber vermittelt die geographische Verteilung v.a. der Erwachsenen den Eindruck, als würde sich jede Ethnie ihren Raum gegen die anderen abgrenzen.

… und des Bahnhofs Penzing

Die gesammelten Spuren aus dem Park, in welchem überwiegend ausländische Kinder und Jugendliche verkehren, stellten wir im nächsten Schritt der

Sammlung an einer Stelle des Bezirkes gegenüber, die nur 4 Minuten Fußweg vom Park entfernt liegt. Es ist die Fußgängerunterführung des Bahnhofs Penzing.

Das Bild war hier ein völlig anderes: Die Liebe hat im Tunnel nur einen Randplatz an den Wänden. Auch Fußball ist nicht so wichtig.

Zahlreiche sogenannte Schimpfwörter stehen allein oder sind in politische Botschaften eingebettet. Neben Deutsch herrschen dieselben Sprachen vor wie im Park. Ein aggressiver Charakter des größeren Teils der Aussagen ist ist nicht zu übersehen.

Hier, wo viele Leute aus der weiteren Umgebung zur Linie 52, zu zwei Schnellbahnen oder zur U4 ihren Weg finden müssen, können GraffitischreiberInnen rechnen, daß ihre Botschaft von vielen Menschen aus den in regelmäßigen Wellen durch die Unterführung schreitenden Mengen aufgenommen wird. Es senden nicht Jugendliche an Jugendliche ihre Botschaften aus, sondern ältere Jugendliche oder Erwachsene an Alle. Das zeigen die ausladenden Schriftzüge an, die Höhe der Anbringungen und oft der Wissenshintergund.

In der Unterführung sind die Aussagen sehr oft gesprayt, größer und optisch knalliger als im Park.

Mehrere deutschsprachige Äußerungen drücken Sympathie für einen Rechtsextremisten aus. Nur in einem einzigen Graffito wird Friede gewünscht.

Im Krieg der Cetnics und der Ustaschisten wird teils unübersichtlich groß geschrieben. Die Nähe der Wände und in Wellen eben auch die Dichte der Passanten benötigt Aufmerksamkeit und läßt keine breitwinkeligen Sichten zu.

Bosnier werden als Schweine beschimpft, indem ihr Landesname in eine entsprechende Zeichnung gebracht wurde. Diese Gruppen verwenden hauptsächlich schwarze Sprays. Schwarz kann im künstlichen Licht und auf engem Raum bedrohlich wirken. Die Stereotypen nebeneinander überzeichnen, wirken aber m.E. im Unterbewußtsein fort. Trotz dieser Dominanz hatten die teils jahrelang bestehenden Graffiti in der Bahnhofsunterführung und an den Stiegenaufundabgängen zu den Perrons thematisch eine große Vielfalt aufzuweisen, zb Humor.

Der Anteil an fremdsprachigen Wortbotschaften oder in irgendeiner Weise fremdenfeindlichen oder freundlichen deutschen WortGraffiti lag bei knapp der Hälfte, was relativ gesehen sehr viel ist.

Die Fußgeher-Unterführung des Bahnhofs Penzing wurde im Frühsommer 1999 leider gelöscht.

Was schreiben Mädchen?

Burschen und Mädchen bzw Männer und Frauen drücken sich und ihre Themen sehr unterschiedlich in Graffiti aus.

Es fiel mir auf, daß im Matznerpark und anderen Parks besonders viele LiebesGraffiti auftauchen, die den Eindruck erwecken, sie seien von sehr jungen Mädchen geschrieben. Mädchen schreiben diese gerne, herzlicher und selten mit Vulgärausdrücken. Dennoch: Im gesamten Alltagsbild scheinen auch zum Thema Liebe männliche Jugendliche bis siebzehn in Graffiti öfter auf als weibliche.

Einen Grund, daß so zahlreiche von weiblichen Jugendlichen ausgeführte Graffiti zu finden waren, mag in der von Benard/Schlaffer beschriebenen Eigenschaft frühjugendlicher Mädchen liegen, sich gerne auf einen Platz zurückzuziehen. Von Seiten der Buben wird dies mit sofortigem Raumgreifen beantwortet.

Die zahlreichen Botschaften der pubertären und nachpubertären Burschen bezüglich Liebe vermitteln den Eindruck, daß Kommunikation über Sexualität gesprächsweise kaum fruchtbringend stattfindet. Vielmehr zeigen sie m.E. ein starkes Bedürfnis nach Kommunikation zum Thema Sexualität. Und es sind zotige verbale Posen, die das Nichterwartenkönnen der Ausübung von Sexualität, das diesem Alter vor allem Burschen innewohnt, hervorruft. Da schreibt einer mit türkischem Namen die vielen Namen der Mädchen auf, die er vernascht hätte, ein anderer prahlt mit den großen Gliedern, welche die Männer seiner Nationalität hätten und ein Dritter behauptet, er ficke die Mutter des Mädchens, das ihn offensichtlich nicht erhört, in den Arsch. Markant ist der Machismo seitens der Burschen, die den Mädchen keine sexuellen Erfahrungen zubilligen, außer mit dem jeweiligen Schreiber selbst.

Seit etwa drei Jahren sind LiebesGraffiti, die den Namen nach auf bikulturelle Pärchen hinweisen, im allgemeinen Graffitibild normal. Vielleicht deuten hier die Graffiti in liebenswürdig schlichter Art eine interkulturelle Tendenz voraus.

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