Worte für die WeltveränderungArtistin

Welchen Einfluss haben Geschichten auf Gesellschaft, Politik und das persönliche Handeln? In ihrem Institut für poetische Alltagsverbesserung spielt die Autorin Lisa Spalt ironisch mit der Zweckdienlichkeit von Literatur. Mit dem bildenden Künstler Otto Saxinger hat sie Utopien anderer Menschen gesammelt und präsentiert diese Gedankenexperimente bald als Videoinstallation im Literaturhaus Wien.

TEXT: MAGDALENA MAYER
FOTOS: REINHARD WINKLER

«Was stört Sie im Moment besonders?» Ganz ehrlich: Auf diese Frage würde wahrscheinlich allen auf der Stelle etwas einfallen. Auch bei Lisa Spalt hat sich Unmut angesammelt. Dabei wirkt sie ziemlich fröhlich, als sie in ihrem Linzer Arbeitszimmer sitzt und von ihrer experimentellen Literatur erzählt, für die sie heuer schon den Outstanding Artist Award der Republik Österreich bekommen hat. Immer wieder lacht sie herzlich über den Schalk, den sie so gerne mit der Sprache treibt: Spaß und Spiel nehmen in ihrem Schreiben eine zentrale Rolle ein, betont sie. Optimismus aber fällt ihr in der derzeitigen politischen und gesellschaftlichen Lage schwer. Untätigkeit in der Klimakrise, Affären in der Politik, Verschwörungstheorien, ertrinkende Flüchtende – man könnte in eine Schreckstarre verfallen, stellt sie fest und lacht diesmal nicht. «Aber mein Gedanke war, dass es zu keiner guten Zukunft kommt, wenn wir beim Negativen steckenbleiben und sich nicht jede Person überlegt, bei welchen Details sie oder er etwas tun kann», sagt Spalt. Diese Überlegung führte zu ihrem aktuellen Projekt Youtopia / Plan B, bei dem sie gemeinsam mit ihrem Partner Otto Saxinger – das Wortspiel im Titel verrät es – persönliche Utopien abgefragt und dokumentiert hat. Ihr Vorbild waren die Beschwerdebriefe, die kurz vor der Französischen Revolution erheben sollten, warum es in der Bevölkerung brodelte. Über zwei Jahre lang stellte sie Menschen aber nicht nur die Frage nach Störendem, sondern hängte stets auch eine zweite an: «Wie würden Sie das lösen?»

Bewegung statt Kritik.

Seit 2019 folgten mehr als fünfzig Gespräche, bei denen die Befragten gemeinsam mit Spalt utopische Vorstellungen konzipierten und niederschrieben. Foto/Film-Konzeptkünstler Otto Saxinger filmte mit. «Insgesamt haben wir sicher sechzig Stunden ganz ergebnis­offen über Zukunftsvisionen gesprochen», rekapituliert Spalt. In Ober­österreich, am Wiener Meiselmarkt und in anderen europäischen Städten plauderten vorab Ausgewählte und zufällig Vorbeikommende mit ihnen. «Schön war, dass es ganz unterschiedliche Leute waren», meint Spalt über die Beitragenden, von denen der jüngste acht, der älteste 85 Jahre alt ist. In Bukarest trafen sie etwa die Roma-Aktivistin Delia Grigore, die eine multikulturelle Welt ohne Grenzen imaginiert. In Kassel stellte sich die tanzbegeisterte Stefanie Wenzel vor, wie man Tango als Kommunikationstraining nützt. Fantastische Einfälle, wie eine «Die-kochen-auch-nur-mit-Wasser-Impfung» gegen Überlegenheitsgefühle, reihen sich in den entstandenen Kurzfilmen nun an ganz realitätsnahe Ansätze. Spalt erwähnt Otto Saxingers Mutter, die ihre Utopie schon umgesetzt habe: Sie lebt von Ackererzeugnissen, tauscht mit den Nachbarn Produkte. Nicht von düsteren Szenarien auszugehen, war schwierig. Negativ-Schlagzeilen, dystopische Texte und Filme kommen gut an. «Die Apokalypse scheint als Ziel der Geschichte fest­geschrieben», gibt Spalt zu bedenken, Veränderungswille wirke da naiv. Für das Projekt aber, das merkt man, ist Veränderung zentral. Wenn Spalt auf die Frage nach Einflüssen von Utopie-­Klassikern wie Thomas Morus‘ Idealstaat spricht, hört man indes Skepsis heraus. «Die arten schnell in schräge Regelwerke aus», lehnt sie derartige Weltsysteme ab, die einen statischen Endzustand imaginieren. Inspirierende Szenarien und Ideen fand Spalt bei der Recherche anderswo, bei Donna Haraways Interaktion der Spezies, Michel de Certeaus Kunst des Handelns oder Ernest Callenbachs Ökotopia-­Konzept. Bei einer Utopie, so wie sie Spalt versteht, gerät etwas in Bewegung: «Sie ist deshalb ein Nichtort, weil sie sich ständig entwickelt.»

Erzählen beeinflusst.

Ein Grundgedanke dahinter: Für neue Vorstellungen braucht es neue Geschichten und einen achtsamen Umgang mit Sprache. Denn viele prägende Erzählungen sind nicht konstruktiv und haben trotzdem eine Auswirkung: «Mit ‹Macht euch die Erde untertan!› kommen wir nicht weiter», so Spalt. Auch bei sprachlichen Taktiken und Storytelling-Methoden der Politik beobachtet sie beängstigende Tendenzen. «Stichwort ‹soziale Hängematte›: Da werden Feindbilder von Menschen geschaffen, die die Gesellschaft ausnützen», nennt sie ein Beispiel von vielen. In Hinblick auf manipulierte Meinungsumfragen in­ter­essant ist das Thomas-Theorem aus der Soziologie, mit dem sie sich schon lang beschäftigt. Es besagt: Wenn man etwas (oft) behauptet, dann sind die Folgen davon so, als hätte es wirklich stattgefunden. Lässt sich das ins Gute drehen, eine wünschenswerte Welt herbeierzählen? Das Herstellen von Realität durch Sprache interessiert Spalt, die Germanistik und Romanistik studiert hat, seit jeher. 2016 – als Trump Präsident der USA und alternative Fakten ein Begriff wurde – gründete sie das Institut für poetische Alltagsverbesserung, kurz IPA, um mit der politischen Lage literarisch umzugehen und nach dem Platz von Literatur zu fragen. In diversen Kollaborationen widmet sich das IPA seitdem als sogenannter Dienstleistungsbetrieb der konstruktiven Erbauung durch Poesie und nimmt ironisch auf den Anspruch Bezug, dass Kunst zur Verschönerung da sei. Spalt hat mit Das Institut 2019 auch ein Buch über das IPA vorgelegt, in dem es verhindert, dass Poesie als Instrument einer Diktatur missbraucht wird. Den vermeintlichen Nutzen von Literatur dreht das Institut mit wortwörtlicher Auslegung ins Absurde – bei Inszenierungen, mit denen man das Geschichtemachen in der Realität ausprobieren kann, seien es aberwitzige Handlungsanweisungen auf Schluckbildern oder essbares, kompostierbares Geld. Die anstehende Jahresversammlung im Literaturhaus wird als Leistungsschau zeigen, wie das Institut humorvoll Sinnfragen aufwirft, Festgefahrenes subvertiert, mit Paradoxien und Funktion spielt. Auch Youtopia / Plan B ist ein IPA-Projekt und läuft im Dezember in der Literaturhausbibliothek erstmals auf drei Bildschirmstationen vollständig als Videoinstallation.

Experimente fortsetzen.

Auch wenn das Projekt damit für Spalt und Saxinger abgeschlossen ist, wird es andernorts fortgeführt werden. Studierende in Timișoara sollen bald mit Utopie-­Gesprächen weitermachen. Die Frage nach Ohnmacht und Verantwortung, die die Videoinstallation aufwirft, bleibt dringlich. Spalt wünscht sich abseits der Literatur viele kleine selbstermächtigte Initiativen, anstatt nur «die da oben» walten zu lassen: «Vielleicht ist das Schöne am Projekt, dass man nicht darüber gesprochen hat, wer an unserer Stelle etwas tun soll, sondern: Was will ich, und wie würde ich es selbst lösen? Ich hoffe, dass wir dazu animieren, unmittelbar etwas in Angriff zu nehmen. So ging es uns selbst ja auch, die Detail-Utopien machen richtig euphorisch.» Und freilich bleibt es für Spalt die Literatur, die Raum für Veränderung schafft: «Man braucht diesen Ort, an dem man einen Schritt rausgehen, reflektieren, mit einer weltschaffenden Sprache experimentieren kann.»

16. 12., 19 Uhr: Präsentation Youtopia / Plan B
Literaturhaus, 7., Seidengasse 13
www.lisaspalt.info