Musikarbeiter unterwegs mit Jonas Goldbaum zum zweiten Album
2004 legten die Wahlwiener ihr Albumdebüt vor. Dieser Tage erscheint mit Unsere Welt braucht dich der Nachfolger.
Trotz Wiederholungsgefahr: Die Zeit ist ein Raubvogel, der rasend seine Runden über unseren verfallenden Schädeln zieht. Kinder, gerade noch ein bisschen größer als zwei Handvoll, stehen frei und ganz schön hoch (sag nie wieder Kurzer!) in der Gegend herum (solange sie sich diesen temporären Triumph über die Schwerkraft selbst nicht vergegenwärtigen), und eignen sich überhaupt Kulturtechniken schneller an, als selbst der begnadetste Trunkenbold sie im Rausch vergessen kann. Bands, die sich gerade noch tonträgerlos live nachhaltig in Ohren und Herzen rockten, wacheln mit einem zweiten Album. Vielleicht ein Indiz für die Normalisierung (ha!) der hiesigen Popkultur (ha ha!), dass es so etwas wie zweite Alben überhaupt gibt.
Also wir sind hier im Alternativsektor abermals zum Spiel von Auf-GoTv-Videoeinsatz-RadioFM4-und-97.9-Radioeinsätze-und-
auf-alles-was-man-an-Printmedien-kriegen-kann-losgehen-und-
live-spielen-wos-nur-geht’angetreten. Das eh wieder zu Nichts führt, zu vielleicht 500 (hui!) oder gar 1000 (hallo!) verbreiteten Tonträgern. Die von Journalisten in Secondhand-Läden getragenen Promoexemplare mitgerechnet. Servas (ka) Gschäft! Das hat jetzt der Zyniker in mir gesagt, der sich aber im Kaffeehaus nach dem Photoshooting Resultat unten! den Mund selber mit Ham-and-Eggs stopft und sich dadurch per erhöhtem Cholesterinspiegel auch gleich selbst geißelt. Der Sager von es wird Zeit, dass einer stirbt als potentiellem Titel (und spitzenmäßigem Marketingtool) für das dritte Album kommt daher von Jonas Goldbaum-Bassist Flo.
Auf beiden Ohren hellhörig
Doch im Ernst, Zynismus und gerne derben Musikerhumor per Seite: Jonas Goldbaum sind eine sehr, sehr lässige Band. Entgegen der markigen Aussage hat Flo seine Kollegen (Sänger/Gitarrist Arne, Gitarrist Martin und Drummer Thorsten) wahrscheinlich schon lieb
und sie ihn auch. Merke: Ein Indiz für ein intaktes Bandgefüge ist, dass sich nach dem Geschäftlichen alle noch wie von selbst sozial versammeln. Auch dass das erste Bier erst nach einer Antialk-Aufwärmrunde bestellt wird, macht ein gutes Bild. Sicher, wieviel Unsere Welt braucht dich jetzt tatsächlich bewegen wird, darf man sich fragen. Aber das ändert nichts daran, dass es ein sehr schöner, fast unschuldiger Moment ist, als Arne und Thorsten mit den fertigen Cds im schmucken Digipack! nachkommen und alle mit einem gewissen Stolz das neue Werk anschauen und angreifen.
Die Musik 11 neue Lieder ist wenigstens so schön wie die Verpackung, die Weiterentwicklung einer Band dokumentierend, die seit ihrem Debüt viel live gespielt hat, dabei ihre ursprünglichen Qualitäten herzhaftes Reklamieren, Querulieren, unprätentiöses, unbekümmertes Nachvorn-Spielen und ein ungeniertes, unpeinliches Benennen persönlicher Glücksmomente nicht aus dem Auge und Sound verloren hat. Dabei betreten Jonas Goldbaum mit dem erstaunlichen Lied Fallschirm auch Neuland. Bei verhaltenem Tempo geht Texter Arne emotional ganz schön in die Tiefe: Und alles was wir wollten, war doch nur so richtig leben. Alles was wir liebten war das Leben in Extremen, ohne Rücksicht auf Verluste haben wir uns den Kick gegeben. Und den Fallschirm übersehen. Wenn er am Ende des Songs die Frage wie lange noch bis zum Schluss? wiederholt, eine Frage, die man sich schon einmal stellen kann (hallo Raubvogel!), mag es einem schon die Gänsehaut aufziehen. Weniger, weil es einen so schön gruselt, sondern weil das passiert, was gute Musik ausmachen kann man ist nicht mehr allein, mit etwas, was einen beschäftigt, man fühlt sich verstanden, im positiven Sinn erwischt.
Und bitte glaube mir dein Leben liegt noch vor dir. Jonas Goldbaum haben auch das gute alte Hoffnungs-Guzzi drauf, und sie geizen nicht damit, wie bei der Single Yeah Yeah Yeah. Das geile an ihnen ist, dass sie die seltene Art Partyband sind, die weiß, dass eben nicht Alles für alle immer Party ist, dass da immer dieser andere Raubvogel Wirklichkeit mitkrächzt, wenn das Quartett seine adrenalin-und testosteron-gesättigten Rockeuphorien in deinen Allerwertesten kickt, bis du ihn dann doch schwingst, was wiederum die weiche Birne ganz schön freimachen kann.
Live ist diese Band ein Fest für sich. Was einen als Zeuge eines ihrer Gigs bei dem eine ungenannt bleibende Band, die demnächst bei einem Major erscheint, erbärmlichen Support spielte, fragen lässt, was die Qualifikationen heimischer A&R-Menschen sind: Derrisch und ahnungslos? Doch genug von den Tragödien des Arbeitsmarkts, zurück zur Band. Parallel zu Unsere Welt braucht dich wird in Deutschland eine Cd mit den besten Stücken ihrer beiden Alben veröffentlicht, was ja schon einmal nicht Nichts ist.
Und vielleicht geht ja auch in A einmal mehr als üblich.
Jonas Goldbaum Unsere Welt braucht Dich (Acute / Edel)
www.jonasgoldbaum.com