Die Warnungen von Dora Schimanko
Eine utopische Geschichte.
In ihrer neuen Novelle «ZEITEN – eine Erzählung» spekuliert die Zeitzeugin und politische Aktivistin Dora Schimanko, in welcher Weise sich die Verhältnisse verändern würden, wenn ein Rechtspopulist (der «Wahre Vater») an die Macht kommen könnte…
Der AUGUSTIN freut sich einen Auszug aus «Zeiten» zu präsentieren. So beginnt die «Schlechte Neue Zeit»:
DER TAG X
Eva konnte sich zwar noch genau an die Gute Alte Zeit erinnern, als die Eltern noch miteinander über alles und oft ohne Grund gelacht hatten. Da spielte es nicht einmal eine Rolle, dass die Wohnung zu klein und das Geld eher knapp war.
Sie war auch die ganze Zeit in der Volksschule und später im Gymnasium neben ihrer besten Freundin gesessen. Was hatten die beiden miteinander gekichert! So manches Mal hatten sogar die Lehrkräfte dabei fröhlich gegrinst. Das alles gehörte zur Guten Alten Zeit.
Aber wann hat die Schlechte Neue Zeit wirklich begonnen?
Vielleicht als die Fragebögen erstmals in der Schule verteilt wurden? Damals konnten sich die Mädchen darüber noch lustig machen. Das wäre heutzutage nicht einmal denkbar! Das würde unbarmherzig bestraft werden: Je nach der betroffenen Lehrperson mit Nachsitzen, stundenlangem Abschreiben oder gleich mit dem Rohrstab.
Ja, es gab in der Schule auch wieder Schläge. Nur die Großeltern hatten das deswegen noch gekannt. In der Guten Alten Zeit konnten prügelnde Lehrer allerdings auch angezeigt werden.
Oder hatte die Schlechte Neue Zeit schon begonnen als die vielen Überwachungsanlagen überall Kameras hatten: In öffentlichen Verkehrsmitteln, in Hausfluren und in den Eingangsbereichen von Museen, Theatern und Kinos. Damals hatten die meisten Leute das als berechtigte Sicherheitsmaßnahme betrachtet und akzeptiert.
Warner als Spinner
Es gab Leute, die vor dem Verlust an Bürgerrechten, dem Abbau sozialer Sicherheit und der ausufernden Überwachung gewarnt hatten. Die wurden aber als ängstliche Spinner lächerlich gemacht.
Es galt die Behauptung: Wer nichts zu verstecken hat, braucht sich vor nichts zu fürchten.
Die Leute erfuhren erst wesentlich später, dass schon damals Millionen Telefongespräche in eine illegale Datensammlung aufgenommen wurden. Die winzigen Lauscher an der Wand fielen damals weniger auf als die gläsernen Augen.
Mutter sagte: «In dem Moment, da die Polizei willkürlich Kundgebungen verbieten, ganze Stadtteile absperren und Kritik wie auch Demonstrationen als kriminelle Tätigkeiten bewerten kann, ist der sogenannte demokratische Rechtsstaat in Gefahr!»
Das alltägliche Leben war noch das der Guten Alten Zeit, dachte Eva, da hatte die Schlechte Neue Zeit aber bereits schon angefangen.
An den so genannten Tag X erinnerte sie sich jedoch deutlich. Da läuteten alle Kirchenglocken, aber auch die Alarmsirenen, als ob das ganze Land brennen würde. Das Heer hatte unter irgendeinem Vorwand das Parlament und einige Ministerien besetzt.
In allen Straßen patrouillierten die Einsatzfahrzeuge der Polizei oder des Militärs. Und überall sah man plötzlich die Fahnen mit dem Riesenschirm und der Aufschrift: «Der Wahre Vater schützt euch!»
Der Wahre Vater war der Mann, der zuerst Bundeskanzler und dann Bundespräsident gewesen war, ehe er die ganze Macht im Staate an sich gerissen hatte.
Nach diesem Tag X hatte kein Mandatar mehr das Recht etwas zu den neuen politischen Verhältnissen zu sagen oder gar zu bestimmen. Das Land war keine Republik mehr.
Im ersten Rausch hatten viele Leute noch dem Diktator zugejubelt: Endlich eine starke Hand, die der Korruption und der unersättlichen Gier der Mächtigen ein Ende bereiten wollte.
Kaum ein Jahr später war die Schlechte Neue Zeit voll etabliert. Nur wenige Bürger merkten, dass der Diktator nicht die Korrupten bestrafen ließ, sondern jene, die Bestechlichkeit bekämpften; dass nicht die Lügen und die Gier gebremst wurden, sondern nur die Kritik und die freie Meinung.
Es verbreiteten sich unter den Leuten geflüsterte Sprüche. Einer davon hieß: «Das Strom-Dom-Land ist jetzt zum Tochter-Sohn-Land geworden, aber wir haben jetzt noch weniger Rechte als die Kinder in der Guten Zeit.»
Als Gute Zeit wurde der Rechtsstaat, die Republik bezeichnet.
Der Begriff Gute Alte Zeit wurde dann geprägt, als der Wahrhafte Vater (im sehr schlechten Latein auch als ‹Papa Veritas› bezeichnet) seine Herrschaft nach dem Tage X Schöne Neue Zeit nannte.
Nach diesem Tag machte der Diktator die Gesetze ganz alleine, allerdings im Sinne der großen Banken und Konzerne. Denn sonst wäre er wohl kaum erst an die Macht gekommen?
Zwangsmaßnahmen
Verschiedene Zwangsmaßnahmen wurden plötzlich eingeführt, die zunächst nur sogenannte Minderheiten betrafen; wer dachte als Junger schon an das Risiko der Invalidität? Wer war betroffen, wenn Invaliden-Pensionen nur für eine bestimmte Zeit und nicht wie in der Guten Alten Zeit auf Lebzeiten genehmigt wurden?
Alles, was nach Armut aussah, wurde in den Untergrund verdrängt. Betteln wurde ebenso verboten wie das Schlafen auf öffentlichen Plätzen. Die Gefängnisse, die ohnehin voll waren, wurden laut solcher Gesetze durch viele Arten von Arbeitslagern ergänzt.
Viele Leute erkannten diesen für alle gefährlichen Trend erst als ihre nicht als angestammte Bürger befundenen Nachbarn abgeholt und in Lager verbannt wurden.
Das geschah aber Wochen nach dem Tage X und der sogenannte «Papaver» hatte schon längst durch Polizei und Bundesheer die Macht in Händen.
Über die Autorin:
Dora Schimanko nimmt die Losung «Nie wieder!» ernst. Wo und wann immer sie befürchtet, dass «vergessliche Nazirelativierer» aktiv werden (auf Demonstrationen, sog. «Akademikerbällen» usw.), steht sie auf und spricht (oder schreibt) und erinnert daran, wie DAMALS alles begann, und Gegner der bürgerlichen Demokratie ganz demokratisch die Basis der Demokratie zerstörten.
Als sechsjährige wurde sie 1938 aus Österreich vertrieben; viele ihrer Verwandten wurden in KZs ermordet, wenig anderen gelang die Flucht vor den Nationalsozialisten.
Nach ihrer Rückkehr in das von den Nazis befreite Österreich war sie in der Freien Österreichischen Jugend und dann in der KPÖ aktiv und absolvierte eine Lehre als Gärtnerin.
Und heute ist sie überall dort zu finden, wo mehr Demokratie eingefordert wird und demokratiefeindliche Tendenzen bekämpft werden; z.B. in den Initiativen «Rassismusfreie ZoneN» oder dem «Josefinisches Erlustigungskommitee», das für die Erhaltung des Augartens als öffentlichen Raum kämpft.
2006 veröffentlichte Dora Schimanko ihre Familiengeschichte «Warum so und nicht anders –
Die Schiffs / Eine Familie wird vorgestellt», Theodor-Kramer-Gesellschaft.
Dora Schimanko: ZEITEN – Eine Erzählung
Edition Tarantel, Wien 2015
Ca. 76 Seiten. 10 Euro