Augustin 266 - 01/2010
WienerInnen ohne Eigenschaften
Ich habe es mir abgewöhnt, skeptisch zu sein, ob Uwe Mauch seine Porträts von «Lokalmatadoren» oder «-madatorinnen» endlos fortsetzen kann. Wien hat fast zwei Millionen LokalmatadorInnen, denn der Kurier-Journalist, der nebenbei auch Coach der Augustin-Ballesterer und eben unermüdlicher Menschen-Porträtist ist, findet auch in den «unscheinbaren» BewohnerInnen dieser Stadt Dispositionen, die die journalistische Aufmerksamkeit rechtfertigen, die der Schreiber ihnen entgegenbringt. Die latente Individualität vermeintlicher «Männer ohne Eigenschaften» (und auch der entsprechenden Frauen) freizulegen, scheint die Eigenschaft Uwe Mauchs zu sein. Bekanntlich ist ja nicht einmal Musils «Mann ohne Eigenschaften» eigenschaftslos.Er hat, im Gegenteil, zu viele Eigenschaften, als dass man ihn in irgendeine Charakterschublade stecken könnte. Mauch hat nicht wie Musil 1000 Seiten zur Verfügung, um das Spektrum einer Persönlichkeit zu entfalten, sondern jeweils nur eine. Ist das der Unterschied zwischen Literatur und Journalismus?
Längst steht «Lokalmatador» nicht nur für die traditionsreichste Rubrik im Augustin, sondern ist Logo eines «Betriebes»: Uwe Mauch stellt die von ihm Porträtierten in öffentlichen Veranstaltungen vor, wie jüngst an den 24 Abenden des musikalischen «Adventkalenders» von Friedl Preisl, und er tut damit dem Augustin mehr Gutes, als er ahnt: Mir scheint, dass er einen autonomen Beitrag leistet, unser Blatt im Weichbild der Stadt zu verankern, und zwar als Stadtzeitung, die weit davon entfernt ist, ein Zentralorgan der Tristesse, des Mitleids und des Protestes zu sein, um ein paar noch gängige Klischees aufzuzählen. Kurzum: Vorliegende Ausgabe (Seite 19) enthält die zweihundertsiebzehnte Vorstellung eines Lokalmatadors, was an sich kein Grund zum Jubilieren ist, weil 217 als Zahl nichts hergibt. Wohl aber ist zu feiern, dass Uwe Mauchs Menschenserie genau vor zehn Jahren startete. Hasta la ducentesima quincuagésima!
Richard Schuberths neue Rubrik hingegen wird es bloß 24-mal geben, was aber mit der Tatsache zu tun hat, dass die 24 Buchstaben unseres Alphabets die Gliederung seines «Neuen Lexikons des Teufels» vorgeben. Es ist eine Enzyklopädie, die sich an das «Wörterbuch des Teufels» anlehnt, das der US-amerikanische Dichter, Aphoristiker und Journalist Ambrose Bierce (18421914) im Jahre 1911 veröffentlichte. Ein Beispiel aus den aphoristischen Definitionen aktueller und zeitloser Begriffe aus Bierces Buch:
Genie, das Geistige Überlegenheit, die es ihrem Besitzer gestattet, von seinen Bewunderern angenehm zu leben und unausgesetzt betrunken zu sein, ohne dafür geschmäht zu werden.
Möge das «Devils New Dictionary» seinem Autor, Richard Schuberth, jenes angenehme Leben bereiten! Bierce zu kopieren ist unmöglich denn Schuberths Alphabet reicht nicht, wie beim Amerikaner, vom Abendland bis zum Zyniker, sondern von Al-Khaida bis zur Zahnspange. Begriffe, zu denen selbst dem Genie Ambrose Bierce nichts eingefallen wäre, vor hundert Jahren.