Augustin 288 - 12/2010
Nutzt euch wer aus?
Hallo liebes Vertriebsteam vom Augustin, ich war gestern mit einer Gruppe von Freunden am Spittelberger Christkindlmarkt. Dort gingen einige Leute den Augustin verkaufen, so weit, so gut. Ein Kumpel von mir hat einem der Augustinverkäufer das Geld gegeben und der ist einfach weglaufen, ohne das eine Exemplar zu übergeben. Ist das eure neue Vorgehensweise? Ich kann mir nicht vorstellen, dass der zu euch gehört. Was uns dadurch alarmiert auffiel: Ganze Gruppen von «Verkäufern», jeweils nur mit einem Exemplar ausgestattet, strichen durch den Markt. Kann es sein, das irgendeine Organisation euer Image ausnutzt? Ich bin gern bereit, euer Anliegen weiterhin zu unterstützen, aber stellt sicher, dass euch und euren Namen niemand ausnutzt!Fast täglich empfangen wir solche Beschwerden. Viele davon in einem unfreundlicheren Tonfall. Claudia Dietls Reportage (Seite 8) über eine slowakische Roma-Siedlung, knapp hinter der österreichischen Grenze, beleuchtet einmal mehr die Hintergründe des «Betteltourismus», der in Wien derzeit von Politik und Behörden zur Sicherheitsgefahr Nummer 1 hochstilisiert wird und der ja, wie die Beschwerde-Mails signalisieren, unsere Anstrengungen untergräbt, eine urbane Gelassenheit gegenüber «dem Fremden» zu propagieren. Die von unserer Mitarbeiterin geschilderten Bedingungen lassen vielen Menschen aus solchen Siedlungen keine andere Wahl. In Wien werden sie aber zunehmend zu Opfern des Bettelverbots und in der Regel mehrfach bestraft: Sie zahlen wegen Verstoßes gegen die Bettelverordnung, sie zahlen wegen Verstoßes gegen die Bestimmungen der Wiener Linien (Aufenthalt in den Stationen ohne Fahrschein), sie müssen das von den BürgerInnen gespendete Geld der Polizei aushändigen, und sie kommen in Polizeiverwahrung, wenn sie die Doppelgeldstrafe nicht begleichen können. Ist das alles? Sexistische Demütigungen von Bettlerinnen in den Polizeiwachstuben sind «ausgeschlossen», behauptet die Polizeiführung. Verzweifelte Strategien der Betroffenen, Empathie zu erregen, in dem sie sich als Augustin-VerkäuferInnen ausgeben, dienen den AkteurInnen der «sozialen Säuberung» der Stadt dazu, Behinderungen des Augustin-Vertriebs zu legitimieren. Man macht den Augustin für gefühlte Sicherheitsbedrohungen und tatsächlich störende Verhaltensweisen verantwortlich, die in einer tausendjährigen Ausgrenzungsgeschichte wurzeln und angesichts der Überlebenszwänge auch verständlich sind.
Dass auch grundsolidarische Menschen ihre kommunikative Kompetenz verlieren, wenn sie «Fremden» in Form von BettlerInnen gegenüberstehen, deren Sprache sie nicht sprechen und deren Leidensgeschichten sie nicht vertrauen können diese offensichtliche Tatsache spricht Tina Leisch in ihrer «Beichte» an (Seite 7).
Während Rechtspolitiker überall in Europa die Unsicherheit gegenüber den Fremden in eine Angst gegenüber denselben verdunkeln wollen, um sich Schritt für Schritt an Wahlsiege heranzutasten, ist in Islands Hauptstadt einem absoluten Strache-Antipoden ein Wahlsieg gelungen. Ein neuerlicher Blick des Augustin auf das gebenedeite Reykjavik (Seite 30).