Augustin 292 - 02/2011
Das dienerische Wesen des Wienerischen
«Auf Schwarzfahren in Öffis droht Haft», las man kürzlich in einem «Standard»-Bericht über bevorstehende schärfere Gesetze, mit denen die griechische Regierung auf die rasch anwachsende «Ich zahle nicht»-Bewegung reagiert. Nichts gegen den Befund, in Griechenland vereise das soziale Klima! Doch dass irgendwo die Haft bloß «drohe», entlockt den Augustin-VerkäuferInnen ein müdes Lächeln. Manche von ihnen kennen, weil sie schwarzfahren müssen, die Appartements der Polizeihaft besser als ihre nicht vorhandenen Wohnungen. Seit Jahren.Von nahezu allen Regierungen der reicheren Erdhälfte ist zu erwarten, dass sie sich die Wahnsinns-Ausgaben für die Bankenrettung nicht in Form von erhöhter Reichtumsbesteuerung zurückholen, sondern durch Mega-Belastungen der Bevölkerung. Etwa mittels Preiserhöhungen bei Dienstleistungen. Dem Beispiel der griechischen Regierung, unter dem Druck der Einsparungs-Vorgaben des Internationalen Währungsfonds die Fahrpreise für Eisenbahn, Straßenbahn, U-Bahn und Busse drastisch zu erhöhen, werden bald auch andere Staaten folgen. Es sei denn, sie haben die griechische Lektion gelernt.
Nämlich, dass auch unbescholtene Menschen zu SaboteurInnen werden können, und zwar in Massen, wenn wie eben in Griechenland passiert die Bahntarife verdoppelt, die Bus- und U-Bahn-Tarife um 20 bis 50 Prozent erhöht und viele Öffi-Verbindungen gleich überhaupt aufgelöst werden. Plötzlich haben es die Politiker in Athen mit zwei neuen sozialen Bewegungen zu tun. Die eine ist die Mautboykott-Bewegung der AutofahrerInnen. Die Schranken an den Mautstellen zu heben und straffrei durchzufahren, ist zum beliebten Volkssport geworden. Die größere ist die Nulltarif-für-alle-Bewegung, die für massenhaft funktionslos gemachte Fahrscheinentwerter sorgt. Besonders hier macht sich ziviler Ungehorsam breit: Es gibt Schätzungen, dass annähernd die Hälfte der Fahrgäste gratis unterwegs seien.
Gäbe es die aktuellen Frustschutzmittel wie die Rebellionen der arabischen Internet-Generations oder die List der Athener Entwerter-ZukleberInnen nicht, hielte unsereins das «dienerische Wesen des Wienerischen» kaum aus. Wenn wir uns nicht irren, werden auch die schlechtesten Nachrichten dieser Augustin-Ausgabe kaum zum Aufruhr führen: der brutale Angriff auf unseren Verkäufer Anthony aus Kamerun, nur weil er die «Frechheit» besaß, das Klo einer ÖMV-Tankstelle zu benützen (Seite 6); die faktische Aufhebung der Verteidigungs-Rechte in der Prozess-Farce gegen TierschutzaktivistInnen (Seite 8); die Tatsache, dass sich in den 16 Jahren nach der Ermordung der vier Oberwarter Roma die Bevölkerung der dortigen Romasiedlung halbiert hat, weil die jungen SiedlerInnen in ihrer Region null Perspektive sehen (Seite 24); das neuerliche «Fremdenrechtspaket», zu dem Susanne Scholl nur einfällt: staatlicher Sadismus! (Seite 7)