Augustin 304 09/2011
Ohne Masel keine günstige Wohnung
Ende August wurde mir des Öfteren gratuliert. Weder feierte ich einen runden Geburtstag noch wurde ich beim Augustin befördert der Grund für die Glückwünsche war die Verlängerung meines Mietvertrages, was im Bekanntenkreis als eine kleine Sensation abgehandelt wurde.
Sensation insofern, da es sich um eine sogenannte Substandardwohnung handelt. Ich bin in dieser Wohnung vor zehn Jahren eingezogen und hatte damals schon Glück, denn zu diesem Zeitpunkt waren nicht sanierte und somit für Studierende leistbare Wohnungen kaum noch zu finden. Mittlerweile sind Substandardwohnungen mit zumutbarer Wohnfläche mehr oder weniger vom Markt verschwunden, denn nach einer Sanierung können diese mindestens um den doppelten Zins vermietet werden. Zeigen sich Vermieter_innen auch noch kreativ bei den Zuschlägen so ist der Redaktion ein Lagezuschlag bei einer Wohnung wegen ihrer Nähe zum Theater in der Josefstadt bekannt (!) , dann ist eine Bruttoquadratmetermiete jenseits der 10-Euro-Marke problemlos herauszuholen.
Noch regen sich in den österreichischen Städten keine Widerstände gegen diese Wucherei. Entweder werden die hohen Mieten zähneknirschend in Kauf genommen oder die Mobilitätsbereiten ziehen aufs Land. Dagegen kam es in Israel völlig überraschend zu einer riesigen Protestwelle. Bis zu 300.000 Menschen gingen wegen der hohen Lebensunterhaltskosten auf die Straßen bzw. verweilten über mehrere Wochen hinweg dort. Den Protest-Stein soll eine 25-Jährige Regisseurin ins Rollen gebracht haben, die es satt gehabt habe, wieder einmal ohne leistbare Wohnung dazustehen. Eva Illouz, die weit über Israel hinaus bekannte Soziologin, analysierte in der deutschen Wochenzeitung «Die Zeit» die Hintergründe dieser Proteste, mit denen niemand gerechnet habe, «als siie in Tel Aviv ausbrachen einer Stadt, die für ihren fieberhaften individualistischen Hedonismus bekannt ist und von jungen Leuten aus der Mittelschicht ausgingen, die lange im Ruf standen, politisch eine missmutige Passivität zu pflegen».
In Wien sei der Zenit der Mieten und der Preise für Eigentumswohnungen noch lange nicht erreicht, lautet der Kanon der Immobilienexpert_innen, wenn auch in den letzten Monaten vereinzelt Stimmen zu vernehmen waren, die von bereits überhitzten Vierteln sprachen. Es ist aber davon auszugehen, dass politische Konzepte, die der Immobilienspekulation einen Riegel vorschieben könnten, nicht einmal in den Schubladen der Parteizentralen zu finden sind. Und kritisch wird es, wenn selbst eine für viele junge Wiener_innen aus der Mittelschicht wählbare Politikerin wie Maria Vassilakou zur «Presse» am Sonntag sagt, die Stadt Wien könne beispielsweise noch im Wohnbau sparen.
Hab ich ein Masel, dass mein Vermieter kein Geld für eine Wohnungssanierung hat.