Augustin 306 - 10/2011
Slowakischer Parallel-Augustin?
Turbulent, diese letzte Septemberwoche. Die Polizei bestätigt einen Bericht der «Niederösterreichischen Nachrichten» (NÖN), wonach in der Slowakei nicht nur Ausweise für Augustin-Verkäufer_innen, sondern auch die Zeitung selbst gefälscht werde. Jemand soll gestanden haben, dass der nachgemachte Augustin um zehn Cent pro Stück zu haben ist. Damit könne die Straßenzeitung mit dem ausgewiesenen Verkaufspreis von 2,50 Euro mit einer verlockend attraktiven Gewinnspanne vertrieben werden.Die Geschichte mit dem falschen Augustin gefällt den Journalist_innen. Und sie wollen natürlich wissen, wie sie UNS gefällt. Das hat uns gerade noch gefehlt. Im Produktionsstress müssen wir uns nun auch noch eine erstens dem Ernst der Lage adäquate, zweitens unserer legendären Gelassenheit entsprechende Presseerklärung überlegen.
Im ersten Teil unseres Statements geben wir zu, dass wir «schwerwiegende Auswirkungen auf unser Sozial- und Medienprojekt befürchten» sollte sich der Verdacht der Fälschung unserer Zeitung und des organisierten Vertriebs dieser «Raubkopien» bestätigen. Unser Rechtsanwalt sei dabei, ein Einschreiten nach dem Urheberrecht zu prüfen. Für etwaige slowakischen Kolporteurs-Kolleg_innnen, die beim Augustin registriert sind und solche Parallelentwicklungen unterstützten, hätten wir null Verständnis. Langfristig bedrohe nämlich das illegale Kopieren des Augustin eines der wenigen Sozialprojekte, das allen Bedürftigen, egal welcher Nationalität, gleichermaßen offen steht.
Im zweiten Teil des Statements ersuchen wir die Medien, den sozial-ökonomischen Hintergrund zu beachten; andernfalls würden Menschen aus Osteuropa zu Sündenböcken gemacht, die die öffentliche Aufmerksamkeit von den Verursachern der Wirtschaftskrise abzulenken haben. Die Slowakei sei eine Art Vorzeigemodell der Neoliberalen und stolz auf besonders «radikale» Wirtschaftsreformen. Diese seien aus Erfahrung immer mit einem Rückbau wohlfahrtsstaatlicher Standards verbunden letztendlich mit einer Vergrößerung der Schere zwischen Arm und Reich. Eine Alleinstehende bekomme 60,50 Euro pro Monat (nicht pro Woche!) Sozialhilfe, bei einem landesweiten Durchschnittslohn von rund 750 Euro und einem «Zigeunerjob»-Marktpreis von unter 200 Euro pro Monat. Bei diesem österreichisch-slowakischen Gefälle dürfe man sich über das Spektrum der angewandten Überlebensstrategien nicht wundern.
Im dritten Teil unserer Presserklärung stellen wir natürlich augenzwinkernd fest, dass man das Ganze ja auch als Kompliment annehmen könne. Nur eine soziale Marke, die ein hohes Image besitze, verlocke eben zu Übertretungen des Urheberrechts.
Fast alle großen Nachrichtenmedien Österreichs, auch die sogenannten qualitätsvollen, übernehmen die APA-Straffung unseres Statements. Wiedergegeben wird überall der erste und der dritte Punkt unserer Erklärung. Die Hintergrundinformationen über die Lebensbedingungen der niedrigsten sozialen Schichten der Slowakei eine Voraussetzung jeder Suche nach Lösungen trifft bei keinem dieser Medien auf Interesse. Eigenartig, wie sehr wir immer noch darüber staunen.