Augustin 310 - 12/2011
Keine gemeinsame Geschichte - na und!?
In Wien sei eine «Recht auf Stadt»-Bewegung wie in Hamburg (ausführlicher Artikel im Augustin Nr. 309) oder gar Allianzen wie auf dem Tahrir-Platz in Kairo nicht möglich, weil die Wiener Bevölkerung keine gemeinsame Geschichte habe. Mit dieser Aussage wurde die deutsche Politologin Margit Mayer im Rahmen ihres Vortrags «Recht auf Stadt ohne Armut», den sie am 25. November in Wien auf Einladung der Österreichischen Gesellschaft für Architektur gehalten hat, konfrontiert.
Egal ob in Wien, Kairo oder New York, entgegnete die Politologin, die in diesen Städten lebenden Menschen haben alle keine gemeinsame Geschichte und gerade Amerikaner_innen galten bis vor Kurzem als «zu individualisiert». Doch gerade die «Occupy Wall Street»-Bewegung zeige vor, wie sich heterogene Gruppen zusammenschließen können. Es gebe sehr wohl eine Protesttradition in New York, aber die neue Qualität bestehe darin, dass Schwarze, Hispanics und Weiße nun gemeinsam protestieren würden, und darüber konnten auch die Medien nicht länger hinwegsehen.
Dem jungen Vortragsbesucher dürfte die «Occupy Christkindlmarkt»-Aktion der Augustinverkäufer_innen und ihrer Unterstützer_innen entgangen sein (in dieser Ausgabe auf den Seiten 10 und 11 nachzulesen), sonst wäre seine Bestandsanalyse von Wien wohl nicht so resignativ ausgefallen. Hier zeigte sich am 19. November, dass einem nur wenige Tage zuvor lancierten Aufruf mehr als 200 Personen folgten, aber vor allem, dass Medien in einem nicht zu erwartenden Ausmaß darüber berichtet haben und dass gerade die Kommentarspalten von Tageszeitungen gefüllt wurden. Allgemeiner Tenor: So geht es nicht!
Daraufhin mussten die beiden großen Adventmarktverwalter zurückrudern und die Kolportage des Augustin erlauben, aber wie es um die Erlaubnis für andere Straßenzeitungen, die weniger etabliert als der Augustin sind, steht, wurde kaum diskutiert, und ganz zu schweigen von den Bettler_innen. Die werden nach wie vor ein Fressen für die Securitys sein.
Um wieder auf die Politologin Margit Mayer zurückzukommen. Initiativen, die gegen neoliberale Unternehmungen in Städten auftreten, müssen heterogene Positionen akzeptieren, sonst wären diese Bemühungen von vornherein zum Scheitern verurteilt. So ließe sich beispielsweise nur erfolgreich gegen eine Gentrifizierung eines Stadtteils arbeiten, wenn die linksalternative Mittelschicht, die Künstler_innen und die gebildeten Prekarisierten von diesen Gruppen gehen meist die Anti-Gentrifizierungs-Ideen aus die Migrant_innen und die weniger gebildeten Sozialhilfeempfänger_innen mit ins Boot holen. Anders ausgedrückt, ein alternatives urbanes Denken darf nicht dabei stehen bleiben, ein «Recht auf Stadt» gegenüber einer unternehmerischen Politik einzufordern, sondern muss dieses Recht auch Migrant_innen und überflüssig gewordenen Produktionskräften, die auf Transferzahlungen angewiesen sind, zugestehen.