Augustin 312 - 01/2012
Ein Märchen aus Südtirol
In Bozen, der Stadt meiner Herkunft, ist etwas passiert, was euch interessieren sollte, meinte die ehemalige Augustin-Mitarbeiterin Elisabeth Malleier. Und machte uns auf das Schicksal des Bozener Originals Giovanni Valentin aufmerksam, in ganz Südtirol als «Hansele» bekannt.Der Stadtstreicher, der sich sogar geweigert hatte, in Obdachlosenheimen zu schlafen und deren subventionierte Armensuppen zu löffeln, sondern es vorzog, im Freien zu übernachten und Mülltonnen nach Essensresten durchzustöbern, ist dieser Tage qualvoll ums Leben gekommen. Er hatte versucht, ein Feuer zu entfachen, um sich in der Nacht aufzuwärmen. Hunderte Menschen zündeten am Bozener Kornplatz Kerzen an, um ihrer Erschütterung über den Tod des berühmtesten Erbschaft- und Besitzverweigerers Italiens Ausdruck zu verleihen.
Valentins Mutter, die vor zwölf Jahren starb, hatte ein beachtliches Vermögen hinterlassen. 250.000 Euro auf dem Konto, Grundstücke, eine Villa und einige Wohnungen. Am Sterbebett wollte ihm die Mutter sagen, dass er alles geerbt hätte. Doch er lebte sein Leben in einer Parallelwelt fernab von Wohlfahrtsinstitutionen, Geld und Bussi-Bussi. «Hansele» hatte die Erbschaft nie akzeptiert nicht nur weil es ihm obszön erschien, ohne Leistung zu so einem Vermögen zu kommen, sondern weil er sich prinzipiell weigerte, «Sklave des Geldes» zu sein. «Die Regeln, die von der Gesellschaft aufgezwungen werden, waren ihm ein Gräuel», ist in einer Regionalzeitung über den 1945 geborenen Aussteiger zu lesen.
Insgesamt 13 Cousinen von Giovanni Valentin sind nun erbberechtigt. Am gerechtesten wäre es, so sagen nun viele in Bozen, wenn die Cousinen das Geld an Obdachlosenorganisationen spenden würden. Oder zumindest einen Teil davon.
Was sagt uns dieses reale Märchen aus Südtirol? Die Anteilnahme der Bozener_innen zeigt, dass es in der Gesellschaft trotz aller Gier- und Neid-Anlagen ein latentes Gespür dafür gibt, dass Reichtum zu erben jenseits von aller Moral ist. Umso mehr, wenn die Erbschaft nicht einmal besteuert wird, wie das in Österreich seit 2008 der Fall ist. Seither gibt es hierzulande praktisch keine Besteuerung des Vermögens mehr. Ausnahmen: Grundsteuer und Kapitalertragssteuer, beide sind als Umverteilungsinstrumente nicht relevant. Wären die Journalist_innen dieses Landes wirklich unabhängig, dann hätten sie seit damals unentwegt auf die GrundLÜGE als Grundlage der Leistungsgesellschaft hingewiesen. Lügen muss, wer angesichts der Tatsache, dass geerbtes Vermögen ohne die geringste Leistung zu haben ist, fortfährt, das Leistungsprinzip im Munde zu führen. Die wenigsten Reichtumserbinnen und -erben werden die Konsequenz Hanseles haben was nicht zu kritisieren ist. Man weiß jedoch, dass viele Erb_innen sensibel mit ihrer «unverdienten» Privilegierung umgehen und zu selbst organisierten Umverteilungen (und sei es auch nur im symbolischen Bereich) bereit sind. Erb_innen mit sozialem Verantwortungsbewusstsein könnten nur so ein Vorschlag ein konkretes Projekt unterstützen: die Straßenzeitung Augustin und ihre rund 500 Kolporteur_innen. Sie gäben mit dieser Unterstützung zugleich ein politisches Statement für eine sozialere Steuerpolitik ab.
Das ist mehr ein sichtbar gemachter Gedanke als ein fertiges Sponsor-Projekt: Jedoch hat es in meinem Schädel schon einen Namen: das Giovanni-Valentin-Projekt …