Augustin 313 - 02/2012
Nur der Finderlohn ist verdient der Rummel ist eine Farce
Wie schon im Editorial der letzten Ausgabe ist auch in diesem ein «Obdachloser» der Protagonist. Was die beiden über diese Stellung in der Gesellschaft hinaus noch vereint, ist ihr Verzicht auf Geld: im ersten Fall eine Riesensumme, im aktuellen Fall eine beträchtliche. Zur Erinnerung noch mal ein Blick nach Südtirol.
Giovanni Valentins Mutter, die vor zwölf Jahren gestorben sei, schrieb Kollege Robert Sommer in der Ausgabe 312, habe ein beachtliches Vermögen hinterlassen. 250.000 Euro auf dem Konto, Grundstücke, eine Villa und einige Wohnungen. Doch Valentin pfiff auf dieses Vermögen, und somit auf eine drohende Abhängigkeit vom Geld. Er ging sogar so weit, auf Sozialleistungen und Wohlfahrtsangebote zu verzichten. Er wusste sich schon durchzuschlagen. Seine Verweigerungshaltung ging durch die Medien, als er Ende letzten Jahres starb. Mit einem Feuer wollte er sich wärmen, doch er wurde Opfer der Flammen. Und hunderte Menschen zeigten in Bozen öffentlich Trauer.
Ein paar Wochen später konnte man in Wien einen «Obdachlosen» streng genommen einen Wohnungslosen, denn der Betroffene lebt in einem Übergangswohnheim zum Helden hochstilisieren, denn Herr Sch. (Name der Redaktion bekannt, dazu unten mehr) fand auf der Straße ein Kuvert, in dem 7000 Euro steckten, und übergab es der Polizei. Welch wundersame Story unmittelbar nach Weihnachten, nicht nur für die lokale Presse, auch deutsche Medien berichteten darüber. Weil 7000 Euro in die Hände eines ehrlichen Finders fielen, nein, weil 7000 Euro in die Hände eines ehrlichen obdachlosen Finders fielen! Und das ist die Sensation, einen Spagat zwischen Mittellosigkeit und Ehrlichkeit hinzulegen, was bei näherer Betrachtung zu dem Umkehrschluss führen muss, dass in der öffentlichen Meinung Obdach- und Wohnungslose per se unehrlich seien. Und darin ist auch der qualitative Unterschied in der Berichterstattung zwischen dem Verweigerer aus Südtirol und dem ehrlichen Obdachlosen aus Wien zu verorten. Bei Herrn Valentin ging es um die Sache, sich dem Geldfetisch zu entsagen; bei Herrn Sch. eigentlich um ein (natürlich nicht offen ausgesprochenes) Ressentiment, das zur großen Verwunderung nicht bestätigt wurde, obwohl schon lange bekannt sein sollte, dass nicht alle Schwäne weiß sind. Beispielsweise titelte der «Kurier» mit «Wiens ehrlichster Obdachloser», oder die deutsche «Die Welt» leitete einen Onlineartikel ein mit «Die Geschichte eines Mannes, der alles verlor, außer Ehrlichkeit und Anstand».
Auch der Augustin hätte bereits in seiner letzten Ausgabe darauf eingehen können, zumal Herr Sch. als Kolporteur bei uns eingetragen ist und der Redaktion seit Wochen diese Begebenheit bekannt ist. Sie verzichtete aber darauf, und mehr als zu Recht, wie sich noch herausstellen sollte. Der «Kurier» zitiert eine Sozialarbeiterin, die den Finder betreut, in einem nachfolgenden Artikel mit: «Herr Sch. (im «Kurier» wird der Name ausgeschrieben, Anm.) ist vom Rummel psychisch mitgenommen. Er ist mit der Situation völlig überfordert und braucht jetzt Ruhe.» Manche Geschichten sind einfach so schön, um damit Quote zu machen. Auf der Strecke bleibt halt «Wiens ehrlichster Obdachloser», und man kann nur hoffen, dass der Finderlohn eine Funktion als Schmerzensgeld erfüllen kann.