Augustin 316 - 03/2012

Eigentlich bräuchten SIE das Folgende nicht lesen

Möglicherweise ist Ihnen diese Geschichte eh bekannt. Eines Morgens an einem nasskalten Jänner stellte sich ein Straßenmusiker in eine U-Bahn-Station in Washington DC. Er spielte innerhalb von ca. 45 Minuten sechs Stücke von Bach. Während dieser Zeit herrschte starker morgendlicher Berufsverkehr. Mehr als 1100 Menschen gingen in diesem Zeitraum am Musiker vorbei.Nach vier Minuten erhielt der Musiker den ersten Dollar. Eine Frau warf ihm das Geld im Vorbeieilen zu, scheinbar beiläufig. Nach weiteren langen Minuten lehnte sich ein Mann an die Wand, um ihm zu lauschen, unterbrach dieses aber abrupt, als er auf die Uhr blickte.

In den 45 Untergrundkonzert-Minuten hielten nur 6 Leute an und blieben für eine Weile stehen. Etwa 20 Passant_innen gaben ihm insgesamt 32 Dollar. Dann wurde es still in der Station. Niemand applaudierte dem Künstler. Kein Hauch Anerkennung, von niemandem.

Niemand wusste allerdings, dass es sich bei dem Musiker um den Star-Geiger Joshua Bell gehandelt hatte. Um einen der talentiertesten Musiker_innen der Welt. Die Ironie: Erst zwei Tage zuvor hatte Bell ein Konzert in Boston gegeben volles Haus, Eintrittspreis durchschnittlich 100 Dollar.

Über die «Bedeutungen» oder «Botschaften» dieser Geschichte könnte man stundenlang debattieren. Man könnte sie als Ausdruck des in den Gesellschaften der reichen Länder grassierenden Sozialchauvinismus lesen: Die verbreitete Verachtung von Individuen und Gruppen und deren Hervorbringungen, die sozial mindestens um einen Grad unter der «eigenen» Schicht angesiedelt sind, einerlei, ob dieser Unterschied soziologisch verifizierbar ist oder einfach nur eingebildet. Hier wird Schönheit nicht wahrgenommen, hier wird Kunst unterbewertet, weil die Koryphäe, von der sie stammt, im Kleid des sozialen Outsiders auftritt und weil die Gesellschaft solchen Menschen vom Rand nichts zutraut, auch wenn sie noch so viel «geben».

So gesehen kann das missachtete Bach-Konzert als Metapher für Straßenzeitungsjournalismus begriffen werden. Unter den generell nicht willkommenen Gruppen sind zurzeit in Österreich neben den Tschetschen_innen die Roma aus der Slowakei und Rumänien die «unerwünschtesten». Medien wie «Global Player», deren «Klientel» von den Stigmata dieser beiden Herkunftsländer besonders geprägt ist, haben es doppelt schwer. Was von «Zigeunern und Bettlerbanden» vertrieben werde, verdiene keine Aufmerksamkeit. In seiner Arbeit über «Armutsmythen in österreichischen Tageszeitungen» im Rahmen eines Seminars des Publizistik-Instituts der Uni Wien geht Markus Alexander Gabl auf «die Angst vor dem Osten als Bestandteil der österreichischen Identität» ein. Eine verblüffende historische Kontinuität weist er im Fall des «Feindbildes Rumänen» nach. Eine der letzten Handlungen der Regierung Schuschnigg war ein Gesetz gegen die «Überflutung Österreichs» durch Migrant_innen aus Rumänien; Prognosen von «Hunderttausenden Flüchtlingen aus Rumänien» machten damals Schlagzeilen.

Der vielen Zeilen kurzer Sinn: Wir versuchen, ein lesenswertes Medienprodukt hervorzubringen, zuverlässig zweimal pro Monat. Aber wir haben ein kleines Problem: Sie, liebe Leserin, lieber Leser, sind die falscheste Adresse dieses Editorials. Gegenüber ohnehin längst Aufmerksamen sich über Aufmerksamkeitsdefizite (anderer) zu beklagen, ist ziemlich einfallslos …

Dialektjuwelen an der Goldmeile

Der Tschocherl-Report (9. Teil)

Früher war die Ögussa in der Gumpendorfer Straße allein auf weiter Flur. Dann kam die Wirtschaftskrise und rings um die Österreichische Gold- und Silberscheideanstalt sprangen die Goldhändler wie Schwammerl aus dem Boden. Mittendrin in Wiens Goldmeil… weiterlesen

Sparen

Offiziell wird nun also für Verständnis zum Sparen aufgefordert. Ganz nebenbei wird um Anständigkeit gebeten. Zwei Dinge, die von einer Regierung artikuliert werden, an einem Tag. Der Zeitpunkt spielt dabei keine Rolle. Das könnte längst gewesen sein… weiterlesen

«Jeder Mensch ist heiliger Boden»

Soziale Randgruppen: Vom Fürsprechen zum Selbstsprechen

Freak Radio, ein Rand-Radio, lud drei Menschen zur Diskussion. Augustin-Sozialarbeiter und Fotograf Mehmet Emir, Philosoph und Tänzer Michael Turinsky und Emmausgemeinschaft-Mitarbeiter Bernhard Herzberger philosophierten über das Zentrum und die Rän… weiterlesen

Nicht nur gezeichnet

Immer eine neue Masche: Trickfilme von Frauen

Mit Nadel und Faden stellen die Frauen der indischen Kutch-Region nicht nur Kleidungsstücke und textile Accessoires her, mit ihren Stickereien bilden sie auch ihre Lebenswelt ab. In «The Stitches Speak» bringt Nina Sabnani diese Handarbeiten in Beweg… weiterlesen

Die Integrationslüge

eingSCHENKt

Die Integrationslüge verschluckt die wichtigen Fragen, die hinter den Konflikten stecken: Bildung, Arbeitsmarkt, Wohnen, soziale Rangordnungen, Ohnmacht, Anerkennung. Die Integrationslüge spricht über die Anderen immer als Andersartige, macht Zugewan… weiterlesen

Causa BUWOG: Da fehlt doch ein Name!

Gratulation an die PR-Berater der Raiffeisengruppe

Wer zahlt, schafft an! In dieser Serie wurden die Zusammenhänge zwischen dem Medienengagement der Raiffeisengruppe und dem Erscheinungsbild der österreichischen Presselandschaft bereits wiederholt dokumentiert. Die Causa BUWOG liefert einen konkreten… weiterlesen

teilen: