Augustin 319 - 04/2012

So triumphiert die Idee Auto

Die gegenwärtige politische und wirtschaftliche Krise bewirkt keinen Galgenhumor unter den Eliten. Es fehlt ihnen nämlich das Bewusstsein, dass ihre Welt zum Tode verurteilt ist. Blöderweise liegen sie damit nicht ganz falsch. Die Todesflecken, die wir Kritiker_innen am Körper des vermeintlichen Kadavers Kapitalismus zu sehen glaubten, sind vielleicht doch nur Sommersprossen.Ich greife einen Sektor der kapitalistischen Warenproduktion heraus, in der die Repräsentant_innen der TINA-Politik («There is no Alternative») in einem besonders kecken Ausmaß unbelehrbar sind. Das ist die Welt der Autohersteller.

Wissenschaftler der Uni Freiburg haben gemeinsam mit einem Automobilhersteller einen Kunststoff aus Orangenschalen entwickelt. Aus dem Stoff können Formteile für Autos hergestellt werden für duftende Autos, die das «linke» Klischee der stinkenden und Abgase hinterlassenden PKWs korrigieren sollen.

Herr Degenhart, Chef des Autozulieferkonzerns Continental, ist ein leidenschaftlicher Fan einer autogerechten Zukunft. In einer tiefen Krise sagte er einem Journalisten: «Wenn wir keine tiefen Krisen bekommen bis 2020, dann werden weltweit 100 Millionen Autos pro Jahr produziert, um 30 Prozent mehr als heute.»

Als eine Wirtschaftswissenschaftlerin im Sommer 2011 beim Forum Alpbach ihr wachstumskritisches Impulsreferat hielt, bildete sich im Saal und am Podium ein entrüsteter Mob, bestehend aus Industriellen und VP-Politiker_innen. «Gehen S nach Moldawien und schaun S, wie sich die dort alle zehn Finger nach Wachstum abschlecken.» Den ungebrochenen Triumph des Wachstum-Denkens erkennt man schon allein daran, dass in ganz Österreich nur doppelt so viele Menschen Carsharing betreiben als allein in der Stadt Bremen.

Barack Obama besuchte im aktuellen Wahlkampf eine Autofabrik, wo er in seiner Rede nicht etwa das Anwachsen des Autoverkehrs als Problem benannte, das nach politischen Lösungen schreit, sondern das Anwachsen des Anteils der chinesischen Autos. «Ich mag kein Zeug, das in China produziert und dann hier verkauft wird. Die Dinger sollen hier produziert und dort verkauft werden», so der Hüter der US-Vorherrschaft. Der schon genannte Degenhart will dagegen deutsche Autos auf der Siegerstraße sehen: «Bei Nässe fahren Sie mit uns wie auf Schienen und mit einem chinesischen Billigreifen wie auf Glatteis», behauptete der Autonationalist.

Anfang 2012 gab es in Deutschland 43 Millionen PKW, davon 0,01 Prozent mit alternativem Antrieb. Nachdem Kanzlerin Merkel und die deutschen Automanager vor vier Jahren versprachen, bis 2020 eine Million Elektroautos auf die Straße zu bringen, hat die deutsche Autoindustrie heute die Lust auf Stromantriebe verloren. VW-Chef Piech sagte kürzlich, das «Ein bis zwei Liter»-Auto mit Verbrennungsmotor sei viel ökonomischer als der Stromantrieb.

Der Autolobby hat scheinbar mühelos erreicht, dass im Verkehrsdiskurs nur ihre Sprache verwendet wird die selbst Autohasser_innen scheinbar irreversibel verinnerlicht haben. Zwei Beispiele: Fußgängerzonen werden als «verkehrsfrei» bezeichnet, obwohl sich dort nach dem Aussperren der Autos meist ein Vielfaches an Menschen als vorher bewegt; die Autolobby eignete sich den Begriff «Verkehr» an und niemanden scheint das zu stören. Noch ärgerlicher ist die Tatsache, dass wir erfolgreich darauf getrimmt wurden, den Autoverkehr als «Individualverkehr» und den Bim- und Bahnverkehr als «Massenverkehr» zu bezeichnen. Korrekter wäre, Gehen oder Radeln als Individualverkehr zu betrachten.

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