Augustin 320 - 05/2012
Schöner Wohnen, besser Essen
1946 war ein Großteil der Londoner Einwohner_innen dermaßen arm und ihre ohnehin nicht dem Schöner Wohnen zuzurechnenden Behausungen von den Bombenangriffen der Nazis zerstört, dass viele von ihnen sich nach einem neuen Blechdach über dem Kopf umsehen mussten.
Die so genannte «Nissen Hut», seit 1916 vor allem zu militärischen Unterbringungszwecken verwendet, wurde ihrer zivilen Nutzung zugeführt: Aufgelassene Militärcamps in Großbritannien wurden besetzt, und in manchen Teilen Australiens wurden gar neue Nissen-Hütten gebaut, um eine Übergangslösung für verarmte, wohnungslose britische Migrant_innen zu schaffen wenig überraschend, dass aus dem Übergang Dauerhaftigkeit wurde. Wie es die Geschichte der Wohnräume so will, werden heute ankommende Flüchtlinge in Zimmern zu sechs bis zehn Betten gesteckt, während die Nissen-Hütten gute Chancen haben, zum australischen Kulturerbe erklärt zu werden.
Zurück nach London 1946: Die Unzufriedenheit der schlecht wohnenden Londoner_innen stieg mit einer gewissen Parallelität zur Unfähigkeit der städtischen Wohnungspolitik. Während Tausende ihre Namen auf Wartelisten des Londoner Wohnungsamtes eintrugen, tat die Stadtregierung das ihre dazu, dass den Besitzer_innen leer stehender Luxuswohnblocks der Rücken frei gehalten wurde. Nichts logischer als dass die quasi Wohnungslosen das Wohnproblem selbst in die Hand nahmen. Im September 1946 machten sich um die tausendfünfhundert Wohnbegierige auf, um die «Luxury Duchess of Bedford» Flats im Londoner Stadtteil Kensington zu besetzen. Zuerst wurde den Familien Wohnraum beschafft, die restlichen Besetzer_innen zogen weiter, um umliegenden Leerstand nutzbar zu machen. «Innerhalb von zwei Tagen haben wir Wohnungen in Marylebone, Abbey Lodge und Regents Park eingenommen die waren gleich voll. Dann begann die Aufregung. Erst hat die Presse mit uns sympathisiert, aber innerhalb von zwei Tagen hat die Regierung Überzeugungsarbeit geleistet, dass wir gestoppt werden müssten», erinnert sich Jack Gaster, 40er-Jahre-Squatter und Parteikommunist. Heute ist die Londoner Miete ein geflügeltes Wort des Grauens. Im ehemals besetzten Wohnblock der «Luxury Duchess of Bedford» werden Zimmer zu Zwecken des Olympischen Sommerspielbesuchs um zweitausend Pfund pro Woche angeboten.
Alle Großstädte der Welt haben eine Wohnfrage zu lösen. Wenn die Konditionen auch unterschiedlich sind, gilt im Großen und Ganzen: Es gibt kein Ressourcen sondern nur ein Verteilungsproblem. Darum ist die Aufregung der Obrigkeit auch nur mit vielen Fußnoten über den Klassenkampf verständlich, wenn sich Leute, die bei der Verteilung leer ausgegangen sind, selbst um genügend Raum zum warmen und trockenen Leben, zum Spielen und Sozialsein, Lesen, Schlafen, Kochen und Essen kümmern. Und zum Anbauen. So geschehen beispielsweise in den Grünanlagen der Universität für Bodenkultur im 21. Bezirk, die am 17. April besetzt und in den Morgenstunden des 26. schon wieder mit wie üblich völlig überzogenem Aufwand geräumt wurden. Wie es weiter geht, werden Zeit und Bedarf weisen, genug Platz wäre jedenfalls da wie die Autor_innen in diesem Heft mehrfach bestätigen.