Augustin 328 - 09/2012
Die Würde der Polizei
Wer, wie der Augustin, teilnimmt am Alltagsleben einkommensloser Menschen, ist Zeuge einer Verschärfung ihrer Kontrolle durch die Polizei. Immer weniger bleibt es bei der Kontrolle, immer öfter melden Verkäufer_innen und besorgte Bürger_innen Vorfälle der Kriminalisierung der Armut.
Amtshandlungen zum Zwecke der Unsichtbarmachung der Armut in den neoliberalen Vorzeigezonen der Stadt richten sich vorwiegend gegen Bettelnde und Roma, aber auch gegen Wiener Augustin-Verkäufer_innen. Wir konnten es kaum glauben, dass Kolporteur Günter, die Seele des «Jonasreindls» (Öffi-Knotenpunkt in Uni-Nähe), nach der Straßenverkehrsordnung bestraft wurde: weil er mit seinem Hund Fußgänger zum Ausweichen zwang in einer Stadt, in deren Passagen und Fuzos Gott sei Dank noch so ein Leben herrscht, dass ständiges Einanderausweichen zum Alltagsverhalten zählt. Wir wünschen uns bei diesen Gelegenheiten, die richtigen Worte zu finden, um an die Polizei zu appellieren. Und wenn übermorgen auch in Wien die Plätze okkupiert sind durch unbewaffnete Empörte, wünschen wir uns eine Vereinbarung mit der Exekutive, dass Wasserwerfer und Pfefferspray keine Mittel zur Bekriegung von Ideen sind. Oder ist es schon wieder zu spät für solche Übereinkünfte?
Ein Zufalls-Einkehrschwung in den Blog des deutschen Autors Georg Seeßlen (ja, der schon wieder) führte mich an die Stelle, in der Seeßlen ebenfalls um das Offenhalten der Debatte des gegen die Istzustände Rebellierenden mit der Polizei ringt:
Es ist abzusehen, dass der Widerstand in der Bevölkerung gegen die Politik der ungerechten Verteilung der Gewinne und der Lasten zunehmen wird und dass an mehreren Orten, wie jetzt in Griechenland, entstehen wird, was unsere Medien «bürgerkriegsähnliche Zustände» nennen. Und es ist absehbar, dass die Regierungen, der populistischen Lippenbekenntnisse zum Trotz, in diesem Zustand einer an ihrer eigenen Ungerechtigkeit auseinanderbrechenden Gesellschaft gegen ihre unbotmäßigen Bürger immer mehr die Polizei einsetzen wird. Eine Polizei, die möglicherweise zum ersten Mal seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges um ihr demokratisches Grundverständnis ringen muss. Denn offensichtlich häufen sich Einsätze, die nicht mehr dem Auftrag unseres Polizeigesetzes unterliegen, nämlich die öffentliche Sicherheit und die öffentliche Ordnung zu gewährleisten, sondern den Interessen sehr spezieller politisch-ökonomischer Allianzen dienen () Eine Polizei, die vorwiegend Stärke zeigt, zeigt vor allem die Schwäche der Demokratie. Eine Polizei, die ihr «robustes» Vorgehen als Erfolg ausgibt, produziert vor allem Menschen, die das Vertrauen zu dieser Institution der Gesellschaft gründlich verlieren und andere, die mehr an Macht als an Demokratie glauben. Eine Polizei, die den öffentlichen Raum nicht zu schützen, sondern ihn zu leeren auszieht, erzeugt an der Stelle von Öffentlichkeit deren Fortsetzung und Gegenteil: Heimlichkeit. «Leicht», sagt einmal jemand in einem amerikanischen Film, «leicht ist die Arbeit eines Polizisten nur in einem Polizeistaat.» Die Würde eines Polizisten in einer demokratischen Gesellschaft besteht darin, dass er sich die Arbeit nicht leicht macht und nicht leicht machen lassen will.
Einer freilich nicht mehr ganz aktuellen Media-Analyse zufolge ist es sehr wahrscheinlich, dass die Reichweite des Augustin sogar den einen Polizisten oder die andere Polizistin erfasst. Diesem und dieser empfehlen wir, sich den gesamten Text zu Gemüte zu führen (www.seesslen-blog.de). Wir versprechen ihnen: Wir machen uns die Arbeit auch nicht leicht.